Wien - 28 ist derzeit die Messlatte für die EU-Beitrittskandidaten: 31 Kapitel gibt es in den Erweiterungsverhandlungen, von der Agrarpolitik bis zur Zollunion. Neben dem Restposten "Sonstiges" werden davon die zwei unmittelbar miteinander verknüpften und unter den derzeitigen EU-Ländern noch am vehementesten umstrittenen Materien "Haushalt" und "Landwirtschaft" wohl erst nach dem Sommer zum Abschluss auf den Tisch kommen. Somit gibt es für die Beitrittskandidaten derzeit 28 theoretisch abschlussreife Verhandlungskapitel.Und drei Länder dürften diese Wegmarke nach der heute, Montag, beginnenden Verhandlungsrunde auf Ministerebene auch tatsächlich schon erreichen. Die Erweiterungsverhandler im österreichischen Außenamt erwarten, dass dabei Lettland, Litauen und Zypern bis zu dieser Marke vorstoßen werden. Lettland dürfte demnach mit bis zu vier Kapitelabschlüssen den größten Sprung nach vorne machen. Problemfall Malta Ungarn und Tschechien können mit keinen weiteren Kapitelabschlüssen rechnen. Malta bleibt mit bloß 22 erledigten Kapiteln nach wie vor Problemkind unter den zehn Ländern, die beim EU-Gipfel von Laeken als Kandidaten für eine Big-Bang-Erweiterung erkoren wurden (vgl. Grafik). Die Problemfelder für die in den Abschlüssen noch zurückliegenden Länder liegen zum einen in der Wettbe- werbspolitik. Darauf weist auch der Fortschrittsbericht der Kommission hin (vgl. nebenstehenden Artikel). Ungarn wiederum will so lange als möglich seinen niedrigeren Körperschaftssteuersatz für ausländische Direktinvestitionen beibehalten. In sechs Kandidatenländern bleibt auch das Kapitel Regionalpolitik noch offen, weil man sich dabei mit der Europäischen Kommission nicht über die Abgrenzung der für die Regionalförderung berechtigten Regionstypen geeinigt hat. Dies ist etwa für Slowenien ein Problemfall, weil man dort fürchtet, als gesamtes Staatsgebiet zu einer einzigen Region deklariert zu werden. Diese hätte dann aber dank der starken Dynamik um den Zentralraum Ljubljana eine relativ hohe Wirtschaftsleistung und drohte, aus der Förderung herauszufallen. Die schwergewichtigsten Knackpunkte der Verhandlungen bleiben aber die Kapitel Budget und Landwirtschaft. Hier haben die 15 EU-Länder noch nicht zu einer einheitlichen Position gefunden, über die man mit den Kandidatenländern verhandeln könnte. "Harte Viererbande" Die im Diplomatenjargon "Viererbande" genannte Gruppe von Nettozahlern (Deutschland, Niederlande, Vereinigtes Königreich und Schweden) verfolgt einen sehr restriktiven Ansatz: Sie pocht auf die Beschlüsse zur Agenda 2000 und will den darin für Beitritte ab 2002 vorgesehenen Ausgabenrahmen bloß um zwei Jahre nach hinten verschieben. In Summe kommt sie damit auf Gesamtausgaben von 31,13 Mrd. Euro (von 2004 bis 2006). Die Europäische Kommission hat demgegenüber im Jänner einen Vorschlag gemacht, der die Erweiterung mit Ausgaben von 40,16 Mrd. Euro budgetiert. Die beiden Positionen liegen also um neun Mrd. Euro auseinander. Diese höheren Ausgaben im Kommissionsplan gehen dabei zu einem Gutteil auf die darin vorgesehenen ansteigenden Direktzahlungen für die Landwirte der Beitrittskandidaten zurück. Vor allem dagegen läuft die "Viererbande" an mit dem Argument, dass Direktzahlungen für die EU-Kandidaten ursprünglich in der Agenda 2000 gar nicht vorgesehen waren. Sie würden die Budgetbelastung der EU in den Jahren nach 2006 explosiv nach oben treiben. In Brüsseler Diplomatenkreisen wurde zuletzt aber eine Aufweichung der harten Haltung in der Viererbande registriert. Die Nettozahler hätten Bereitschaft erkennen lassen, im Agrarkapitel schon vorweg über Quoten und Referenzmengen zu verhandeln, was nur Sinn mache, wenn man auch das Prinzip der Direktzahlungen anerkenne. (DER STANDARD, Print, 10.6.2002)