Tag für Tag stehen die AbtreibungsgegnerInnen der Organisation "Pro-Life" vor der Wiener Abtreibungsklinik "Lucina", ehemalige "Mairo", um Patientinnen am Schwangerschaftsabbruch zu hindern. Die Organisation hat Wohnungen über der Klinik aufgekauft und eine Räumungsklage gegen Lucina eingebracht – die in erster Instanz abgelehnt wurde. In den letzten Jahren hatte die Klinik immer wieder mit Schikanen bis hin zu Morddrohungen zu kämpfen, Pro-Life konnte davon aber bis jetzt nichts nachgewiesen werden. dieStandard.at im Interview mit der Leiterin von Lucina, Therese Beham.

dieStandard.at: Frau Beham, im Januar 2000 ist ihre Klinik von der Taborstraße in die jetzigen Räumlichkeiten übersiedelt. Wann haben die Aktionen der Pro Life-AbtreibungsgegnerInnen vor ihrer Klinik begonnen?
Therese Beham: Die Bekanntschaft mit dieser geradezu fanatischen militanten Gruppe von Fristenregelungs-GegnerInnen haben wir erstmals Mitte Februar 2000 gemacht. Davor wurden wir bereits mit Schikanen seitens der Hausparteien eingedeckt, kaum dass wir damit begonnen hatten, die neuen Räumlichkeiten zu adaptieren: Es wurden unentwegt Anzeigen bei der Baubehörde und bei der MA 15 gemacht, um unsere Krankenanstalt zu verhindern. Als das nichts nutzte, holten sich drei Wohnungseigentümer aus den oberen Stockwerken die Organisation Pro-Life, mit ihrem Anführer Dietmar Fischer ins Haus, um uns doch noch hinaus zu bringen. Das hat uns Herr Fischer selbst bestätigt. Die Hausparteien treten äußerst querulant und aggressiv uns gegenüber auf. Unter anderem werden Briefe an den Wiener Bürgermeister oder an das Sozialministerium geschrieben, mit dem Hinweis, dass Frauen im Treppenhaus zusammenbrechen oder herumschreien. Ich werde mir aber diese Schikanen und ekelhaften Verleumdungen über die Klinik nicht weiter gefallen lassen. Unsere Patientinnen werden höchst professionell und sehr einfühlsam betreut. Wir verhalten uns sehr ruhig – es spürt uns keiner.

dieStandard.at: Sie haben ihre Klinik von „Mairo“ auf „Lucina“ umbenannt. Hängt das mit den Aktionen von Pro-Life zusammen? Befürchteten Sie, dass der Name „Mairo“ in der Öffentlichkeit schon zu negativ behaftet sein könnte?
Therese Beham: Nein, überhaupt nicht. Der Name wurde gewechselt, weil sich Mairo aus den Anfangssilben der Namen der ehemaligen Klinik-Eigentümer in der Taborstraße zusammensetzt. Ich habe ihn geführt, bis wir umgezogen sind – wenn wir ihn mitnehmen hätten wollen, hätte das eine Menge gekostet und da habe ich mich entschieden, lieber nach einem eigenen zu suchen. Lucina, das ist früher eine Privatklinik in Wien gewesen, in der ich geboren wurde.

dieStandard.at: Die ehemaligen Klinik-Räumlichkeiten in der Taborstraße gehören ja jetzt dem Verein Pro-Life?
Therese Beham: Ja, die Klinik hat Dietmar Fischer für fünf Jahre gepachtet. Dazu hat er schon im September 2001 die Trägerorganisation "Addams Frauen – Forschungszentrum GmbH" gegründet. Im Branchenverzeichnis der neuen Telefonbücher steht diese Organisation schon mit der Adresse Taborstraße 11b. Das war unser alter Standort der Mairo-Klinik. Die Frauen werden dann also in die vermeintliche Klinik Mairo gehen und glauben, dass dort Schwangerschaftsabbrüche gemacht werden – nicht vorstellbar, was dann dort passiert! Fischer sagte auch in einem Interview: "Wir haben eine Anzeige mit einer Hotline in den gelben Seiten, welche direkt neben der Anzeige der Abtreibungsklinik platziert ist, mindestens 25 Prozent der Mütter kontaktieren uns über diese Hotline."

dieStandard.at: Und was für ein Zentrum wird das genau sein?
Therese Beham: Dort soll ein Frauen-Forschungs-Dokumentations- und PAS-Heilungszentrum entstehen. Ein PAS-Forschungszentrum, inklusive Übernahme des Namens "Ärzteinstitut Mairo" als Privat-Ambulatorium! Zur Zeit ist ein Bewilligungsverfahren bei der MA 15 anhängig. Im letzten Spendenaufruf von Pro-Life stand, dass Fischer für das Ambulatorium eine Neuausstattung mit diversen medizinischen Geräten, wie Ultraschallgerät, Gynstuhl und Instrumente braucht! Hier hoffe ich doch auf die Wiener Stadträtinnen Pittermann und Brauner, das zu verhindern, sowie zuständige Frauenorganisationen, denen es ein Anliegen sein sollte, diese Zustände aufzugreifen und Gegenmaßnahmen zu setzen.

dieStandard.at: In den letzten Jahren gab es zahlreiche, teils bedrohliche Vorfälle rund um Lucina, bei denen sie vermuten, dass sie von Pro-Life initiiert wurden.
Therese Beham: In der Tat wurde ich in den letzten Jahren mit eher makabren Vorfällen konfrontiert. Sie reichen von Morddrohungen, abgehörten Telefonleitungen bis hin zum Giftanschlag 1994 in meiner Wohnung. Als wir wieder mit extremsten Drohanrufen konfrontiert wurden, ließ ich eine Fangschaltung einrichten. Bezeichnenderweise waren alle Anrufe protokolliert, bis auf die wichtigen, die waren nicht vorhanden! Der Verdacht liegt nahe, dass hier nicht alles mit rechten Dingen zugeht.

dieStandard.at: Und die Polizei kann da nichts tun?
Therese Beham: Die Polizei ist sehr bemüht, uns zu helfen, aber es fehlt anscheinend die gesetzliche Grundlage dazu. Daher würden wir dringend ein Sicherheitsgesetz zum Schutz dieser Kliniken benötigen. Das neue Gesetz in Frankreich wäre vielleicht ein Denkanstoß. Bei unserem Frauenminister habe ich noch nicht versucht, um Hilfe anzufragen. Ob ich dort Gehör finden würde, weiß ich nicht.

dieStandard.at: Gab es in letzter Zeit wieder schlimmere Vorfälle?
Therese Beham: Im letzten halben Jahr ist nichts Gröberes passiert, aber Vorfälle gibt es laufend. Erst vor zwei Wochen ist ein Hauptschullehrer mit seiner rumänischen Freundin irrtümlich in der Pro-Life-Beratungsstelle im Nachbarhaus gelandet. Ihren späteren Erzählungen zufolge wurden die beiden sofort voneinander getrennt. Eine Pro-Life-Aktivistin hat sich um den Mann angenommen. Als sie merkte, der Mann ist von seinem Standpunkt einen Schwangerschaftsabbruch bei seiner Freundin vornehmen zu lassen, nicht abzubringen, wurde sie grob, beschimpfte ihn als Mörder und Beihelfer zum Mord. Eine andere rumänisch sprechende Beraterin hat sich seiner Freundin angenommen und versucht, sie zu bekehren. Die Schwangere war Baptistin und man zwang sie stehend, fortwährend Kreuzzeichen zu machen. Diese Tortur der beiden dauert eineinhalb Stunden. Der Mann regte sich so auf, dass er sich vor dem Eingang übergab. Er zitterte am ganzen Körper. Solche oder ähnliche Vorfälle gibt es dauernd.

dieStandard.at: Aber wie ist es möglich, dass die Leute dort so lange festgehalten werden können? Warum gehen sie nicht?
Therese Beham: Die Frauen sind, wenn sie kommen, in einer psychisch aufgewühlten und ängstlichen Verfassung und in diesem Gemütszustand treffen sie auf die Pro-Life-AktivistInnen, die auf sie einreden. Sie üben einen indirekten Zwang auf die Frauen und deren Begleitpersonen aus. Kaum reagiern die Leute auf eine Anrede, werden sie so in ein Gespräch verwickelt, dass sie nicht mehr aus dem Strudel herauskommen. Oder es wird ihnen der "Stumme Schrei" vorgeführt, ein grausamer Film, der nichts mit der Fristenregelung in Österreich zu tun hat. Dieses Machwerk gehört verboten.

dieStandard.at:Welche Möglichkeiten haben sie, die Patientinnen vor solchen Aktionen zu schützen?
Therese Beham:Meine Mitarbeiterinnen und ich schützen unsere Frauen selber. Ein Mitarbeiter steht auf dem Balkon, erwartet die Patientinnen und begleitet sie in die Klinik. Natürlich können wir nicht verhindern, dass ihnen Propagandamaterial aufgedrängt wird. Mit Taxifahrern haben wir auch schon Vereinbarungen getroffen, dass sie bei der Tür warten und die Patientinnen zum Auto begleiten.

dieStandard.at: Haben Sie schon einmal den Dialog mit den AktivistInnen gesucht?
Therese Beham: Anfänglich versuchte ich, mit ihnen zu reden, aber das ist sinnlos. Es ist offensichtlich, dass den AktivistInnen eine Art Gehirnwäsche verpasst wird. Anfänglich sind "Neue" noch sehr ruhig und halten persönlichen Respektabstand. Dies ändert sich aber bald. Dann sind sie wie wild gewordene Roboter und stürzen sich auf alle Leute, die sich vor der Klinik bewegen. Aus verlässlicher Quelle weiß ich, dass einige psychisch krank sind und über die Organisation Legio Mariae in psychiatrischen Klinik angeworben werden und dann Mitglieder bei Pro Life sind.

dieStandard.at: Hat sich eigentlich, seit sie mit der Beratung von ungewollt Schwangeren Ende der Siebziger Jahre begonnen haben, ihre persönliche Einstellung zur Abtreibung geändert?
Therese Beham: Nein! Ich bin in meiner Ansicht, das Richtige zu tun, nur noch bestärkt worden. Gerade in der Auseinandersetzung mit Sektierern, fragwürdigen Weltverbesserern und krankhaften Moralisten wird mir täglich aufs Neue bewusst, wie wichtig das Gesetz der Fristenregelung ist und in weiterer Folge das individuelle Selbstbestimmungsrecht der Frau. Ich persönlich bringe Abtreibung nicht mit Mord in Verbindung. Es war ein jahrzehntelanger Kampf von Frauen für Frauen bis der Todesparagraph 144, unter dem Abtreibung strafbar war, aus dem österreichischen Gesetzbuch gestrichen wurde. Meine Großmutter ist in den Dreißiger Jahren noch bei einer Engelmacherin gestorben und meiner Mutter haben die Ärzte in den Fünfziger Jahren eine medizinische Indikation für einen Schwangerschaftsabbruch verwehrt – obwohl sie wussten, dass sie eine weitere Geburt nicht überleben würde. Sie starb bei der Geburt meines Bruders. Wenn sich heute eine Frau zum Schwangerschaftsabbruch entschließt, dann ist ihr professionelle Hilfe straffrei garantiert. Und dieses Gesetz muss den Frauen heilig sein – es garantiert ihnen das Recht auf Gesundheit.

dieStandard.at: Was bringt sie dazu, trotz der Schikanen immer noch weiterzumachen?
Therese Beham: Die tägliche Bestätigung meiner Patientinnen, dass sie mich brauchen. Die Dankbarkeit, gesund wieder nach Hause zu gehen, das gibt mir Energie, weiterzumachen. Natürlich kostet mich diese tägliche Auseinandersetzung mit dieser Pro-Life-Organisation viel Kraft, aber wo ein starker Wille, da auch ein Weg. (red)