Im neuen Kremser Museum, glaubte man anfangs, gehe es eh nur um Deix. Nun geht es auch durch dick und dünn, und die Institution findet ein neues Selbstverständnis. Eine Begehung von Michael Freund.

Einer Karikatur kann sich niemand entziehen. Der Betrachter nicht, dafür sorgt das Plakative, das in diesem Genre Programm ist. Und der oder die Gezeichnete, in jedem Sinn Betroffene erst recht nicht, dafür ist die Zeichnung ja da. Sie ist direkt, meist böse, kaum subtil: alles Gründe, warum Karikaturen selten in den Pantheons der Kunst Aufnahme fanden. Wie einer aus der Riege, Hans Traxler, es formuliert hat: "Darf Kunst komisch sein? Und wenn sie komisch ist, ist es dann Kunst?" Zu seiner Studienzeit war die Antwort "ein barsches Nein".

Erst als man begann, auch der "Popularkultur" etwas abzugewinnen, wurde der böse Strich museumsfähig. Einer der Orte dafür steht bekanntlich seit vorigem Jahr in Krems offen und zeigt an diesem Wochenende seine zweite Sonderschau. Gewidmet ist sie Körperbildern und Schönheitsidealen, im Titel führt sie die beiden Pole dieses Gebietes an: "Dick und dünn"; betroffen kann sich somit die Mehrheit der Besucher fühlen.

Wie es überhaupt dazu kam, dass Krems seine "Kunstmeile" durch ein einschlägiges Museum verlängern konnte, hat selbst etwas Karikaturhaftes. Dem Museumschef Severin Heinisch zufolge begann alles damit, dass Kulturpolitiker durch den Erfolg einer Deix-Ausstellung in Wien bzw. einer Fassadenbedeckung in Graz angelockt wurden. Niederösterreich war schneller als die Steiermark, außerdem bestand eine gute Verbindung zwischen St. Pölten und dem rührigen Gustav Peichl, der nicht nur als Ironimus einschlägig tätig ist, sondern vor Jahren auch Karin Spießhofer, eine in der Schweiz beheimatete Kunstsammlerin, für die Sphäre des schrägen Strichs begeistern konnte. Alles das kam zusammen, als Landeshauptmann Pröll grünes Licht für eine Institution gab, die Peichl entwarf und die in erster Linie auch Deix und dem Architekten selbst gewidmet schien.

Die Eröffnung des Baus im vergangenen Herbst verstärkte zunächst den Eindruck des etwas Inzestuösen, als nämlich die Regierungs- und Kulturpolitiker sich mit Peichl und Deix, auch wenn sie deren Opfer waren, verbrüderten - die Freude, vor laufenden TV-Kameras zu stehen, machte es wie üblich möglich. "Das Museum ist selbst eine Karikatur", wie es ein Beteiligter trocken formulierte.

Was dabei zu kurz kam, war der dritte Teil der Eröffnungsausstellung: Neben den "vorläufig permanenten" (Heinisch) Personalen über die beiden österreichischen Stars zeigte das Museum einen Querschnitt durch "Das gezeichnete 20. Jahrhundert", Raritäten hauptsächlich eben aus der Collection Spießhofer: von den frühen Bösartigkeiten aus dem Simplicissimus bis zu Originalen der von der Sammlerin über alles geschätzten Cartoonisten des New Yorker. Das war Zeichenkunst vom Feinsten, es sprengte den Rahmen des für Wechselschauen vorgesehenen Raums im Erdgeschoß.

Bei der neuen Ausstellung gingen die Ko-Kuratoren Heinisch und der für die Gestaltung zuständige Christian Feichtinger zurückhaltender vor. Sie hätten noch ein gutes Drittel mehr zeigen können, opferten es aber einer größeren

Konzentration auf das Typologische. Dick und dünn: Warum sind Menschen mit ihrem Körper unzufrieden? Warum essen die einen zu viel und bekommen die anderen zu wenig? Was haben wir vom Fitness-Wahn? Nicht dass die Schau darauf endgültige Antworten geben könnte. Aber sie zeigt, wie Zeichner, Maler, Grafiker und ein Figurenhersteller die Fragen immer neu stellen, sie mit Witz und Bosheit beladen - eben karikieren. Eine englische Radierung aus dem späten 18. Jahrhundert zeigt den Unterschied zwischen dem "Elend" im eigenen Land und der "Glückseligkeit" in Frankreich, ironisch betitelt und entsprechend dargestellt. Eine Formensprache war hier bereits entwickelt, die man in den Beispielen der nächsten hundert Jahre nur selten findet. Auch der Simplicissimus-Humor bediente sich einer vergleichsweise kruden Semantik, erst in den neueren Beispielen der Ausstellung spürt man das Tempo, die Verdichtung der Karikatur, hier entfaltet sich all das, was man dick und dünn auftragen kann.

Und einiges mehr. Die Themenpaare Völlerei & Esskultur, Mann & Frau, Politik & Sozialkritik und Schönheitsideale & Körperbilder geben einen so großen Rahmen vor, dass es an den Rändern in sozusagen normale Cartoons ausfranst. Das ist nicht weiter schlimm, ergibt sich hier doch ein Blick auf einige Leckerbissen der Collection Spießhofer. Im Kern aber geht es immer noch um Über- und Untergewicht, und das legt dem Betrachter eine Art Test nahe: Man merkt, wie einen manche Zeichner/Stile/Pointen eher ansprechen als andere, und man kann aus den vielen unterschiedlichen Zugängen etwas über das eigene Verhältnis zu Karikaturen lernen: ob man die didaktischen Strips von papan eher schätzt als die zarten Striche und Pointen von Miroslav Barták; ob man sich eher mit der politischen Satire befreundet oder mit dem Ewig-Menschlichen.

"Der alltägliche Diätwahnsinn ... und der Weg bis hin zum chirurgischen Eingriff sind natürlich dankbare Themen für die Zeichner", schreibt Heinisch im Katalog. Der Eingriff mit der Feder sei dabei nicht unbedingt harmloser als der mit dem Skalpell.

Mit der zweiten Schau befreit sich das Kremser Museum von dem Ruf, nur ein Deix-Wallfahrtsort zu sein. Zwar kann es noch keine wissenschaftliche oder archivarische Tätigkeit finanzieren, aber eine Vernetzung mit Institutionen in Basel, Angouleme und anderswo schafft die Basis für eine ernsthafte Beschäftigung mit dem vorgeblich Unernsten. Und auch auf die einschlägigen Schätze der Albertina wird das Museum weiterhin zugreifen können.

Zunächst aber ist, dem Wunschrhythmus des Direktors entsprechend, wieder eine Personale angesagt. Star der nächsten Austellung im Herbst ist Robert Crumb. (DER STANDARD, Printausgabe, Sa./So.,15.6.2002)