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Linzer Eisenbahnbrücke

Foto: APA/Peter Hirhager/PR
Wer Lokomotiven über weite Landstriche rollen lassen wollte, der musste damals, in der Anfangszeit der Eisenbahnen, auch Bäche, Schluchten, Gebirgszüge überwinden und mit Brücken überspannen. Die Geschichte der Eisenbahn ist deshalb auch eine Geschichte des Brückenschlagens, doch die ist von schmerzlichen Misserfolgen geprägt. Eine Brücke ist, in Vereinfachung ausgedrückt, nichts anderes als die Kunst, Kräfte möglichst weit über die Vertikale zu bringen, um sie dann in der Horizontalen sicher abzuleiten. Dank moderner Berechnungsmethoden und so probater Baumaterialien wie Stahl und Beton stellt eine solche Prozedur heute nur noch gewaltigen Aufwand, kaum je aber jene Gefahr für die späteren Nutzer dar wie die Eisenbahnbrücken des vorvergangenen Jahrhunderts.

All die Misskalkulationen der Brückenarchitekten und Ingenieure sind schmerzlich in die Annalen der verschiedenen Landstriche eingegangen, auf die all die falsch berechneten Konstrukte herabdonnerten - meist kamen Arbeiter oder Passagiere dabei ums Leben.

Die erste und bisher größte Eisenbahnkatastrophe, in der eine Brücke die tragende Rolle spielt, ereignete sich in einer stürmischen Nacht des Jahres 1879 in der schottischen Tay-Bucht. Zwei Eisenbahngesellschaften standen damals im Wettkampf um die Erschließung des Nordens Großbritanniens. Die eine führte ihre Bahntrasse im Westen, die andere im Osten, da wie dort legte man die Schwellen um die Wette, dass es nur so dampfte. Beide Eisenbahnlinien mussten große Wasser überqueren, um an das Ziel zu gelangen, und lange Zeit quälte man die Passagiere mit Unterbrechungen der Reise, mit Fähren und mühsamen wie zeitraubenden Umsteigeprozeduren. Die North British Railway ging schließlich als Siegerin dieses Eisenbahnwettrennens durch das Ziel, weil sie, den kühnen Plänen eines Ingenieurs Glauben schenkend, eine gewaltige Brücke über die ärgerlichen Wasserhindernisse geschlagen hatte. Diese Brücke war die damals längste der Welt und führte in zwei je rund eineinhalb Kilometer langen Etappen über die Flüsse Tay und Forth.

Queen Victoria hochselbst reiste an, um das Machwerk zu bestaunen und auch gleich via Dampflok zu überqueren. Die Königin zeigte sich dermaßen beeindruckt, dass sie dem Konstrukteur des Technologiewunders, Thomas Bouch, den Ritterschlag verpasste.

Der kam ein wenig zu früh. Denn bereits ein Jahr nach der festlichen Eröffnung fegte ein kräftiger Sturm eine gesamte Zugsgarnitur mitsamt 75 Passagieren in die Fluten des Tay. Kein Mensch überlebte. Sir Bouch wurde verurteilt, weil man ihm fahrlässige Rechenfehler und Schlamperei nachweisen konnte.

Auch in den Vereinigten Staaten häuften sich in dieser Pionierzeit der Eisenbahn - und damit der ersten Blütezeit der Eisenbahnbrücken - die Katastrophen. Im Jahr 1876 überquerte etwa ein Zug gerade eine der Ohio-Brücken, als der Zugsführer plötzlich einen lauten Knall vernahm. Er drehte sich um und konnte hinter sich gerade noch einen Waggon nach dem anderen in die Tiefe kippen sehen. Unter Volldampf erreichte gerade noch er selbst mit seiner Lokomotive das rettende Ufer, der restliche Zug donnerte mitsamt der Brücke in den Fluss.

Auch in Kanada kam es zu Katastrophen. Als man 1907 den St.-Lorenz-Strom bei Quebec überbrücken wollte, brach die gesamte komplizierte, aber trotzdem falsch berechnete Fachwerkskonstruktion noch vor der Fertigstellung in sich zusammen und riss 85 Arbeiter mit sich in die Tiefe. Nur elf der Männer überlebten. Neun Jahre später unternahm man einen neuerlichen, desgleichen falsch berechneten Versuch. Wieder barst das Tragwerk, wieder fiel die Brücke in sich zusammen, elf Männer starben in den Fluten.

Zu guter Letzt sei noch kurz das Schicksal der "Galoppierenden Gertie" beschrieben, die im Jahr 1940 ihren Dienst über den Puget Sound im US-Bundesstaat Washington aufnahm. Es handelte sich im Falle dieser Brücke bereits um den fortschrittlicheren Typus des Hängetragwerks, doch auch die ausgefeiltere Technologie war vor Niederlagen nicht gefeit.

Man hatte Gerties Masse schlicht falsch berechnet. Die hohe, schlanke Brücke war zu leicht gebaut, sodass sie zuoberst auch schon bei geringerem Windaufkommen regelrechte Wellen zu schlagen begann, was den witzelnden Volksmund natürlich zu dem Spitznamen "Galoppierende Gertie" inspirierte. Noch im Jahr der Inbetriebnahme der Brücke kam ein heftiger Sturm auf, die gute Gertie galoppierte endgültig auf und davon und krachte spektakulär in sich zusammen. So recht getraut hatte dem Konstrukt offenbar ohnehin keiner mehr. Die Brücke war zu diesem Zeitpunkt zum Glück leer, und es kam niemand, bis auf den mit Schande bedeckten Konstrukteur, bei diesem Unglück zu Schaden.

Das Brückenkonstruieren war also stets ein gefährliches Unterfangen, egal zu welcher Zeit und mit welchem Material hantiert wurde. Jede Epoche versuchte, ihre technischen Möglichkeiten bis an die Grenzen auszureizen, dabei wurden stets die fortschrittlichsten Materialien und Konstruktionen eingesetzt, die gerade zur Verfügung standen. Fast zweitausend Jahre lang blieben Holz und Stein die wichtigsten Stoffe, aus denen Brücken gemacht waren, und an Konstruktion und Bauprinzip änderte sich im Grunde genommen nichts Wesentliches.

Doch mit einem neuen Material entstanden auch neue Möglichkeiten und neue Formen. Als mit der Industriellen Revolution das Gusseisen und in weiterer Folge die Eisenbahnen erfunden wurde, begann man mit diesem aufregenden und viel versprechenden Material und Vorläufer des Stahls auch im Brückenbau zu experimentieren. Die erste gusseiserne Brücke der Welt ist heute eine der beliebtesten Touristenattraktionen Englands: Sie überspannt den Fluss Severn bei Coalbrookdale, einem Zentrum der Eisenschmelze Großbritanniens.

Die Ingenieure der Brücke über den Severn hielten sich an die schon von den Römern erfundene Bogenform, konnten die Konstruktion aber kraft der überlegenen Druckfestigkeit des neuen Materials erheblich schlanker und filigraner ausführen als die antiken Brückenvorbilder. Erstmals in der Geschichte verband eine fast durchsichtige Konstruktion ein Ufer mit dem anderen - eine unerhörte Sensation für die damalige Zeit. Bei genauer Analyse ist die berühmte Severn-Brücke natürlich ein etwas holpriges Mischwesen aus Holz-, Eisen- und Steinbautraditionen, doch sie läutete unbestritten eine völlig neue Epoche der Ingenieursbaukunst ein. Und sie steht immerhin noch.

Heute werden große Brücken so gut wie ausschließlich aus Stahlbeton gemacht, der Schweizer Ingenieur Robert Maillart gilt hier als der Pionier der Szene. Seine Konstruktionen waren immer hochelegant und schlank und noch dazu meist billiger als jene der Konkurrenz. Trotzdem: Die Geschichte der Eisenbahnbrücken hat sich erschöpft, nun dominieren die "Autobahnpontifexe". Die berühmteren neuen Brücken der letzten Zeit haben allesamt mit Zügen und Eisenbahnen nichts mehr am Hut.

Trotzdem ein paar zeitgenössische Brückenbeispiele anbei: Einer der bekanntesten zeitgenössischen Brückenbauer ist etwa der Spanier Santiago Calatrava, seine Konstruktionen sind äußerst eigenwillig und sofort zu erkennen. Gerade hat er in Orléans die hundertste Brücke über die Loire geschlagen; und auch die Stadt der Brücken schlechthin, Venedig, wird sich einer Brücke des Spaniers rühmen können. Nicht zur Freude aller übrigens.

Die Oresund-Brücke zwischen Malmö und Kopenhagen, vor drei Jahren vollendet, gilt als skandinavisches Jahrhundertbauwerk, in Japan wurden die Inseln Honshu und Shikoku soeben mit einer Brücke verbunden, Italien überlegt eine Verbindung zwischen Sizilien und Kalabrien, und auch die Pläne, die zwar schmale, aber sehr tiefe Meerenge bei Gibraltar zu überspannen, wurden noch nicht ganz aufgegeben. (Ute Woltron/DER STANDARD, Printausgabe, Sa./So., 22./23.6.2002)