Im Inneren des verwitterten Baukolosses öffnet sich dem Blick ein Raum großzügiger Geometrie. Klare Linien und Winkel, viel Platz und Licht auf den drei versetzt übereinander angeordneten Etagen unter der massiven Dachschräge der "Kunstbrücke" von Bratislava: ein idealer Ort für Ausstellungen, der jedoch schon seit Jahren keine Kunst mehr gesehen hat.

Vielen Stadtbewohnern, so erläutert Henrieta Moravcikova, Architekturtheoretikerin aus Bratislava, gelte der in den 70er-Jahren von Vladimir Dedecek errichtete Zubau zur Slovakischen Nationalgalerie als "Monument des Sozialismus", das sie am liebsten aus den Augen haben wollten. Die von außen rauhe Ästhetik - braun verschindelt hängt der längliche Kasten zwischen zwei Barocktrakten der Galerie in der Luft - widerspreche den in der heutigen Slowakei lebhaft geäußerten Wünschen nach Gefälligem und Folkloristischem.

Zum Glück jedoch, so Moravcikova, hätten Kunstinteressierte und Stadtplaner den "Mehrwert" des Objekts erkannt. Kommenden Herbst soll ein Architektenwettbewerb starten (Info: www.sng.sk). Zu hoffen sei, dass nicht das Bedürfnis nach optischer Verdrängung obsiegen werde, sondern "der Wille, Qualität zu erhalten".

Die stilechte Sanierung des Trakts wäre nicht einfach, ergänzt der in Wien wohnhafte Architekturtheoretiker Jan Tabor. Die bei der Errichtung verwendeten einfachen Materialien seien "ermüdet und schwer zu ersetzen". Überhaupt sei die Materialfrage ein Hauptproblem bei der Adaptierung von in die Jahre gekommenen Bauwerken der - mehr oder weniger - schlichten Moderne.

Im Unterschied etwa zum Jugendstil sei "die Architektur aus den 60er- und 70er-Jahren äußerlich schnell kaputtzumachen" doziert er vor den Teilnehmern des vierten, von ORTE, dem architekturnetzwerk niederösterreich, organisierten "Symposiums unterwegs" mitten in Bratislava gegen den Straßenlärm an. Ein neuer, falscher Verputz, dichte Plastik- statt zugiger Holzfenster - und schon, so Tabor, habe das Haus "sein Charakteristisches verloren".

Mit stilistischen Details aus sämtlichen Jahrzehnten des vergangenen Jahrhunderts wartet Bratislava, die aufstrebende Hauptstadt der Slowakei, in großer Fülle auf. Ein Spaziergang durch das Zentrum führt an imperialem k.u.k-sowie nationalistisch gefärbtem ungarischen Jugendstil vorbei, an stillgelegten Passagen.

Gleich daneben sachlich konzipierte Hochhäusern eines Emil Bellous mit US-amerikanischen Anklängen aus der wirtschaftlichen Aufschwungzeit der tschechoslowakischen Ersten Republik. Nicht zu vergessen die sozialen Wohnbauten aus den 30er-Jahren eines Bedrich Weinwurm, Gebäude im Stil des sozialistischer Realismus samt Kolonnaden und steinernen Proletariern aus der Zeit nach 1948, Kasten gewordene Umbauutopien aus den 70er-Jahren à la Hotel Kyjev sowie - schließlich - die Postmoderne aus der Zeit nach der "samtenen Revolution" 1989: Besuchern aus Österreich ist die Stadt, die von Wien nur 50 Kilometer entfernt liegt, optisch vertraut und dann wieder ganz fremd.

Ähnlich und dennoch ganz anders als in Österreich mutet auch der expansive Städtebau der 80er-Jahre an. Ein Drittel aller - samt Pendlern - 600.000 Einwohner Bratislavas wohnt in den Plattenbauten des Vororts Petrzalka, wo auch die Direktzüge aus Wien enden. Mit bemerkenswerter Konsequenz, aber ohne jede Infrastruktur und überdies anders als ursprünglich geplant wurden die dichten Hochhaus-Siedlungen damals ins Donauauengebiet platziert.

Geschäfte, Spiel-, Sportplätze und Verkehrsmittel seien den Pertrzalkas Bewohnern den letzten Jahren zum Glück nachgeliefert worden, erläutert der Vorsitzende der slowakischen Architektenkammer, Peter Denuska. "Dort leben ist heute kein Nachteil mehr". Noch offen jedoch sei, ob sich die Siedlung in Zeiten stärkeren Auseinanderdriftens von Arm und Reich zu einem sozialen Randgebiet entwickeln werde.

Die zeitgenössische slowakische Architektur hingegen hat sich noch an keinem vergleichbaren Großprojekt beweisen müssen. Von der Badehütte über das Einfamilienhaus bis zum Bankgebäude erstreckt sich das Spektrum international beachteter Objekte.

Die Badehütte ist ein Eigenbau des für die Biennale 2002 nominierten slowakischen Archiotekten Jan Studeny. Ganz aus Holzplatten errichtet und aus der Wand klappbaren Holzmöblierung, steht sie am Ufer eines Badeteichs in Senecke Jazera. Ein Wochenendhaus also für Heimwerker mit Sinn für die architektonische Moderne und spielerische ästhetische Details.

Die Lichtschalter nämlich stammen sämtlich von Maschinen aus der Schwerindustrie, ein kreuz und quer gespanntes Seil ersetzt die Balkonbrüstung im ersten Stock: Eine Umfunktionierung einfacher Materialien, wie sie auch bei einem weiteren, aufwendigeren Hausprojekt Studenys in Zusammenarbeit mit dem Architekten David Kopetzky stattfinden.

An einer der Längsseiten dieses in Stupava, einem Vorort von Bratislava, errichteten zweistöckigen Hauses mit Wänden aus grünem Prophelytglas spielt ein weißes Netz die Rolle eines Stiegengeländers. Auch dieses Projekt, so Jan Tabor, sei im Vergleich zu Hausbauten hierzulande preiswert gewesen. Rund 200.000 Euro habe die Erbauung gekostet. (Von Irene Brickner/DER STANDARD, Printausgabe, Sa./So., 28.6.2002)