Windkraft, Holz, Modvion
Von außen sehen die Windräder von Modvion aus wie herkömmliche Anlagen. Unter der weißen Lackierung des Turmes verbergen sich jedoch viele miteinander verleimte Holzschichten.
David Olivegren, Modvion

Rund 1600 Tonnen Beton und circa 200 Tonnen Stahl stecken in einem Windrad – Tendenz steigend. Denn Windräder werden immer größer, schon jetzt sind einige Anlagen über 250 Meter hoch. Der Grund: Je größer die Rotoren sind, desto mehr Strom können die Anlagen erzeugen, zudem bläst der Wind in höheren Lagen meist stärker und stabiler. Gleichzeitig wächst dadurch auch der Bedarf an Beton und Stahl, die in den Türmen verbaut sind. Über ihre Lebenszeit sparen Windräder zwar hunderte Male mehr CO2 ein, als für ihre Herstellung benötigt wird. Dennoch entstehen beim Bau und besonders bei der Herstellung von Zement zunächst einige Hundert Tonnen CO2.

Das schwedische Start-up Modvion glaubt, eine Lösung für dieses Problem gefunden zu haben. Statt aus Stahl und Beton will das Unternehmen Windanlagen aus Holz bauen. Dadurch sollen Windräder nicht nur klima- und umweltfreundlicher, sondern in Zukunft noch wesentlich höher gebaut werden können. Wie vielversprechend ist die Idee?

144 Schichten Holz

Eine erste Anlage, die Modvion als das größte Holzwindrad der Welt bezeichnet, hat das Unternehmen bereits circa 130 Kilometer östlich der schwedischen Stadt Göteborg errichtet. Von außen sieht das Windrad nicht viel anders aus als herkömmliche Windräder: ein weißer Turm mit weißen Rotorblättern, der circa 150 Meter hoch ist und bald Strom für 500 Haushalte liefern soll. Erst im Inneren wird das hellbraune Holz sichtbar, das in den einzelnen Teilen des Turmes steckt.

Die Teile fertigt das Unternehmen in einer Fabrik in Göteborg an. Dort schneiden Roboterarme, bestückt mit Kreissägen, die 16 bis 24 Meter langen Holzmodule zurecht. Jedes einzelne Modul besteht laut Modvion aus 144 Schichten Furniersperrholz, die miteinander verleimt werden. Das Holz beziehe das Unternehmen aus skandinavischen Fichtenwäldern. Unter hohem Druck werden die Module anschließend gekrümmt, per Lkw zu dem jeweiligen Bauort transportiert und dort zu Zylindern zusammengefügt und übereinandergestapelt, um den Turm des Windrads zu bilden.

Modvion, Windkraft, Holz
Am Aufstellort werden die einzelnen Holzteile zu dem Turm zusammengefügt.
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Vor Regen geschützt

Außen sei dieser mit einem speziellen Lack beschichtet, um das Holz besser vor Regen und anderen Umwelteinflüssen zu schützen. Theoretisch könnte ein solches Holzwindrad auch offshore gebaut werden, heißt es von Modvion. Die massive Holzbauweise sei zudem schwer entzündlich und damit gut vor Bränden geschützt. 25 bis 30 Jahre soll die Konstruktion halten – in etwa so lang wie herkömmliche Windräder –, dann können die Materialien laut Unternehmen beispielsweise in der Bauindustrie wiederverwendet werden.

"Wenn man das gut umsetzt, könnte das durchaus die Zukunft sein", sagt Josef Füssl, Experte für nachhaltige Baumaterialien und Ingenieurholzbau an der TU Wien. Holz habe im Vergleich zu Stahl oder Beton gleiche oder sogar bessere Eigenschaften: Es sei extrem leicht und dennoch sehr fest, lasse sich gut verarbeiten und einfacher wiederverwerten. "In Summe ist Holz ein weit optimierteres und intelligenteres Material als Beton oder Stahlbeton, das zudem viel CO2 speichern kann."

CO2-negativ

110 Tonnen CO2 würden zunächst entstehen, um einen 110 Meter hohen Holzturm für ein Windrad anzufertigen und aufzustellen, heißt es von Modvion. Gleichzeitig seien in dem Holzturm aber zwischen 240 und 950 Tonnen CO2 gespeichert. Das Windrad habe damit eine negative Netto-Klimabilanz. Die 300 bis 1200 Kubikmeter Holz, die pro Windrad benötigt werden, wachsen laut Modvion im Durchschnitt innerhalb von ein paar Minuten in schwedischen Wäldern nach.

Modvion, Windkraft,  Holz
Zwischen 240 und 950 Tonnen CO2 speichert jeder Windradturm laut Modvion. Zum Vergleich: In Österreich beträgt der CO2-Ausstoß pro Kopf und Jahr durchschnittlich sieben Tonnen.
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Ganz so einfach lassen sich Stahlbauer von diesen Argumenten jedoch nicht überzeugen. "Jede Bauweise versucht, sich selbst so zu präsentieren, dass sie möglichst gut dasteht", sagt Josef Fink, Experte für Stahlbau an der TU Wien. Rechne man beispielsweise den Fußabdruck auf die gesamte Lebenszeit und über die erzeugte Energie eines Windrads, könnte Stahl sogar besser abschneiden als Holz – etwa dann, wenn sich mit Stahl höhere Windräder bauen lassen, die mehr Energie erzeugen.

Bis zu 1500 Meter hoch?

Modvion widerspricht dem. Auf der Website wirbt das Unternehmen damit, dass 150 Meter hohe Holzwindräder nur der Anfang seien. In Zukunft seien theoretisch Höhen von bis zu 1500 Metern möglich. Zum Vergleich: Das derzeit höchste Gebäude, der Burj Khalifa in Dubai, hat eine Höhe von 828 Metern. Der Grund für die potenziellen Höhen laut Modvion: Während Stahltürme immer schwerer werden und immer mehr Material benötigen, um höher zu werden, seien Holzwindräder bei gleichem Gewicht stärker und kostengünstiger.

Dass Windräder aus Holz eines Tages 1500 Meter hoch werden könnten, halten die meisten Experten jedoch für völlig aus der Luft gegriffen. "Ab einer Höhe von 200 Metern kommt für mich nur noch Stahl infrage. Es würde mich sehr wundern, wenn das auch mit Holz gelingt", sagt Fink. Mit Stahl könne man theoretisch auch Windräder bauen, die 400 Meter oder höher sind. "Die Frage ist vielmehr, ob das den Aufwand wert ist." Schließlich steige mit der Höhe auch das Risiko, dass Rotorblätter während des Betriebs brechen und mehrere Hundert Meter weit weggeschleudert werden.

Alte Idee

Vor mehr als zehn Jahren ist der Traum vom Holzwindrad schon einmal geplatzt. Damals stellte das deutsche Start-up Timbertower ein Konzept für ein solches Windrad vor und entwickelte sogar einen 100 Meter hohen Prototyp, dessen weiße Rotorblätter sich bis heute am Wissenschaftspark Marienwerder auf dem Gelände der Leibniz-Universität in Hannover drehen.

Auch Timbertower wollte alles richtig machen: Die Holzplatten sollten von lokalen Betrieben vor Ort hergestellt werden, um lange Schwertransporte zu vermeiden, zudem sollte sich der Turm einfacher zurückbauen lassen im Vergleich zu Stahl- und Betontürmen und damit insgesamt wesentlich nachhaltiger sein.

Teures Projekt

Als sich das Unternehmen jedoch an größeren Holzwindrädern verwirklichen wollte, kamen Zweifel an der Belastbarkeit und Standfestigkeit auf. Auch das Versprechen vom reinen Holzturm konnte nicht gehalten werden. "Die Holzteile waren nicht nur verleimt, sondern auch mit Stahl verschraubt", sagt Andreas Reuter, Experte für Windenergietechnik an der Leibniz-Universität Hannover. Insgesamt sei damit fast genauso viel Stahl verbaut worden wie in herkömmlichen Windrädern, was das Projekt auch ziemlich teuer gemacht habe. "Das Projekt hat das Schlechte aus beiden Welten kombiniert: teures Holz und teure Stahlteile."

Macht Modvion alles anders, oder könnte das Unternehmen dasselbe Schicksal ereilen wie einst Timbertower? "Dass das Unternehmen alle Teile nur noch verklebt, halte ich für clever", sagt Reuter. Zwei Fragezeichen stellen sich dem Experten jedoch noch. Erstens: "Was kostet der Spaß?" Und zweitens: "Haben sie genug Erfahrung, um die Windräder so zu bauen, dass diese über 20 bis 25 Jahre gut halten?" Immerhin müsse die Konstruktion große dynamische Lasten aushalten, was sich auch auf die Verleimung auswirken könnte.

Nicht ganz recycelbar

Holzbauexperte Füssl hält es für realistisch, dass Holzwindräder auch über eine lange Zeit funktionstüchtig bleiben – sofern man das Material gut vor Feuchtigkeit schützt. Lediglich beim Recycling hat der Experte noch seine Zweifel. "Momentan gibt es für diese Teile noch keine 100-prozentige Lösung." Er sei jedoch optimistisch, dass dies in 30 Jahren, wenn die Holztürme dann aussortiert werden müssen, besser möglich ist.

Einigen Problemen der Windindustrie kann jedoch auch Modvion nicht entgehen. Die Rotorblätter sind dieselben wie bei herkömmlichen Anlagen, also eine Kombination von Harz, Glas- und Carbonfasern, Balsaholz und unterschiedlichen Polymeren und Metallen, und haben deshalb momentan noch mit den gleichen Recyclingschwierigkeiten zu kämpfen. Zudem brauchen auch die Holztürme ein stabiles Stahlbetonfundament, mit dem diese verbunden sind. Und während sich Stahl gut recyceln lässt, ist das bei Beton deutlich schwieriger.

Der deutsche Energiekonzern RWE scheint dennoch Vertrauen zu haben, dass das mit den Holzwindrädern funktioniert. Im vergangenen Jahr ist der Konzern eine Partnerschaft mit Modvion eingegangen. Ziel sei es, die Nachhaltigkeit zu verbessern und die Kosten für erneuerbare Stromproduktion zu senken, heißt es. In Zukunft könnten dann auch in den eigenen Windanlagen Holztürme zum Einsatz kommen. (Jakob Pallinger, 4.5.2024)