Amazon ist gegen Lidl ein Lercherl. Zumindest in Großebersdorf. Mit 70.000 Stellplätzen schuf der Diskonter vor den Toren Wiens um 180 Millionen Euro ein Logistikzentrum, das jenes des Onlinerivalen nebenan klein aussehen lässt. 110 Filialen werden von hier aus beliefert, rechnet Lidl-Österreich-Chef Alessandro Wolf vor, während er das Lager flotten Schrittes durchmisst. Firmenlogos prangen keine auf den grauen Fassaden. Was manche Lieferanten dann doch falsch zu Amazon abbiegen lässt.

Lidl-Österreich-Chef Alessandro Wolf: "Wir brauchen keine längeren Öffnungszeiten."
Heribert Corn

STANDARD: Was macht Ihnen mehr Appetit aufs Grillen? Ein Burger aus Erbsenprotein oder ein Rindersteak?

Wolf: Meine Frau macht hervorragende Hamburger. Ich mag ein gutes Stück Fleisch, auch wenn des Öfteren Käse bei uns auf dem Griller landet.

STANDARD: Supermärkte verkaufen sich gern als vegan. In vielen Einkaufswagen ist davon aber wenig zu sehen.

Wolf: Entscheidend ist der Preis. Seitdem wir die Preisparität eingeführt haben, stieg der Absatz von Veganem um mehr als 50 Prozent.

STANDARD: Dennoch zählt Fleisch zu den Lebensmitteln mit den höchsten Aktionsanteilen. Warum?

Wolf: Ich behaupte, Bier wird noch stärker rabattiert. Aber klar, Fleisch ist ein Frequenzbringer. Der Fleischkonsum der Österreicher ist im Vergleich zu anderen EU-Ländern hoch.

STANDARD: Fleischiges nachzubauen braucht Hirnschmalz. Die dafür nötigen Zutaten sind jedoch billig. Woran verdient Lidl mehr, an einer Hühnerbrust oder einem Planted Chicken?

Wolf: Derzeit verdienen wir aufgrund der Preissenkung der veganen Produkte mehr am Fleisch.

STANDARD: Fleisch- und Milchproduktion wird in der EU anders als Veganes stark subventioniert. Zu stark?

Wolf: Gezielte Förderung ist sinnvoll. Die Corona-Krise hat bewusstgemacht, wie wichtig Selbstversorgung in der Lebensmittelproduktion ist. Europa tut daher gut daran, sicherzustellen, nicht von anderen Weltmärkten abhängig zu werden.

STANDARD: Sollten Pflanzendrinks niedriger besteuert werden, wie es ja auch bei Kuhmilch der Fall ist?

Wolf: Warum sollte Kuhmilch günstiger sein als pflanzliche Alternativen? Es ist eine politische Diskussion, der sich unsere Kunden jedoch nicht mehr stellen, da die Preise dafür nun de facto gleich sind.

Herzstück des Logistikzentrums von Lidl in Großebersdorf vor den Toren Wiens ist ein 40 Meter hohes automatisiertes Hochregallager. Mit weithin sichtbaren Firmenlogos spart der Diskonter.
Heribert Corn

STANDARD: Lidl arbeitet an einer Kennzeichnung der Tierhaltung in Österreich mit. Ist eine Einigung mit der Landwirtschaft und anderen Handelskonzernen in Sicht?

Wolf: Das hoffe ich. Wir haben vor mehr als zwei Jahren als Erste einen Haltungskompass gefordert. Sensibilisiert werden Kunden am Regal. Solange nicht plakativ sichtbar wird, was genau sie kaufen, ist es schwierig, den Markt für Tierwohl auszubauen. Derzeit ist dieser undurchsichtig.

STANDARD: Wäre es nicht hoch an der Zeit, mehr Transparenz auch bei verarbeiteten Fleischprodukten zu bieten?

Wolf: Frischfleisch ist der erste Schritt. Ich sehe keinen Grund, warum es nochmals drei Jahre dauern sollte, diesen auch bei verarbeiteten Produkten zu setzen. Andere Länder zeigen vor, dass es geht. Was die Herkunftsbezeichnung betrifft, ist man im Handel weit. Aber wissen Sie, woher das Fleisch in der Gastronomie kommt? Kunden sollten das Recht darauf haben, es zu erfahren, ohne nachfragen zu müssen.

STANDARD: Die Schwarz-Gruppe als Lidl-Eigentümer zählt zu den größten Lebensmittelherstellern Europas. Getränke, Brot, Fleisch, Schokolade, Eis und Nudeln aus eigenen Fabriken sorgen für Milliardenumsätze und höhere Profitabilität. Halten sich Händler für die besseren Produzenten?

Wolf: Nein, aber Lidl ist in 32 Ländern präsent. Wir haben eine Größe, in der es um Versorgungssicherheit geht. Mit eigenen Produktionen können wir diese sicherstellen.

STANDARD: 80 Prozent Ihres Sortiments sind Eigenmarken. Gemeinhin entscheiden in Österreich zwei Handvoll Chefeinkäufer darüber, was in Supermärkten in den Regalen liegt. Nach Vielfalt sieht das nicht aus.

Wolf: Bei uns entscheidet der Kunde, was im Regal landet. Wir bemühen uns, starke Marken zu führen. Wir lassen uns aber nicht jeden Einkaufspreis bieten. Am Ende des Tages ist es Verhandlungssache.

STANDARD: Lidl hat Marken wie Haribo nach Preiskonflikten ausgelistet. Vermissen Ihre Kunden diese Marken?

Wolf: Haribo ist in Österreich wieder gelistet. Wir versuchen, partnerschaftliche Lösungen zu finden. Auf unseren Eigenmarken sind die Produzenten ersichtlich. Aktionen zahlen wir immer aus eigener Tasche.

Stellplätze erstrecken sich auf 70.000 Quadratmetern. Es ist das weltweit zweitgrößte Logistikzentrum des Konzerns, der in Großebersdorf 500 Menschen aus 34 Nationen beschäftigt.
Heribert Corn

STANDARD: Lidl ist global ein Riese, in Österreich verglichen mit Spar, Rewe, Hofer aber ein Zwerg. Rächt sich der späte Einstieg in den Markt? Oder hat Österreich für den Konzern nicht viel mehr Bedeutung als ein weiteres deutsches Bundesland?

Wolf: Nein, wir sind eigenständig. Entscheidungen für Österreich werden in Salzburg getroffen. Die Raumordnungsgesetze wurden aber restriktiver, was die Expansion nicht einfacher macht. Filialen, die unseren Ansprüchen nicht entsprachen, wurden in den vergangenen Jahren geschlossen. Wir wollen jährlich drei bis fünf neue eröffnen. Derzeit haben wird 253 Märkte – Ziel sind 280 bis 300. Der Fokus liegt auf Wien und Innsbruck. Spannend wären für uns auch Standorte in Bahnhofsnähe. Tun sich hier Möglichkeiten auf, werden wir sie nutzen.

STANDARD: Verkaufte Lidl zu lange zu wenig österreichische Produkte?

Wolf: Wir haben die Expansion zu Beginn vielleicht ein bisschen verschlafen. Der Österreich-Schwenk begann 2012. Anfangs wollten beziehungsweise konnten nicht alle Lieferanten mit uns als deutschem Diskonter zusammenarbeiten, zumal es ganz andere große Player am Markt gab ...

STANDARD: ... die wenig Interesse an einem neuen Rivalen hatten?

Wolf: Heute sorgen wir auch ohne das größte Filialnetz für ordentlichen Preiskampf. Etwa rund um vegane Lebensmittel. Auch bei der Senkung der Mehrwertsteuer für einen Monat zogen alle Marktbegleiter nach. Wir sind in Österreich eine kleine Mücke. Und eine solche kann recht störend sein.

STANDARD: Mittlerweile stammt die Hälfte der verkauften Lebensmittel aus Österreich. Bekommen Sie genug Ware?

Wolf: Ja. Rind, Schwein und Hendl kaufen wir zu 100 Prozent in Österreich. Nur Aktionswaren und Puten kommen auch aus dem Ausland.

STANDARD: Weil strengere Auflagen in der Tierhaltung österreichische Puten kostspieliger machen?

Wolf: Viele Kunden sind nicht bereit, dafür höhere Preise zu zahlen.

STANDARD: Das Geschäft mit Bio dominieren Eigenmarken der Rivalen. Ist deren Vorsprung noch aufzuholen?

Wolf: Wir sind bei Bio 2023 um 11,8 Prozent gewachsen. Die starke Inflation machte es für Bio nicht leicht. Dennoch sehen wir hier große Chancen. Vor fünf Jahren hatten wir 50 Bioprodukte, heute sind es 350.

Lidl-Chef Alessandro Wolf reizen Bahnhöfe als Standorte: "Tun sich hier Möglichkeiten auf, werden wir sie nutzen."
Heribert Corn

STANDARD: Rückenwind haben Diskonter derzeit nicht. Klassische Supermärkte halten Diskonter auch mit dem rasanten Ausbau ihrer Eigenmarken auf Abstand.

Wolf: Lidl ist in Österreich seit zwei Jahren unseren internen Zahlen zufolge Wachstumssieger. Wir haben unseren Marktanteil in Österreich seit 2020 von 4,8 auf sechs Prozent erhöht.

STANDARD: Rewe will Filialen länger offen halten. Bringt das mehr Kunden, Umsätze und Arbeitsplätze?

Wolf: Wir brauchen in Österreich keine längeren Öffnungszeiten. Für uns wären sie von Nachteil. Abgesehen davon, dass der gesamte Handel unter Personalmangel leidet.

STANDARD: An Tankstellen, die rund um die Uhr aufsperren dürfen, ist Lidl nicht vertreten. Ein Wettbewerbsnachteil?

Wolf: Nein. Sehen Sie sich die Preise an Tankstellen an. Da werden doppelte und dreifache Preise für etwas verlangt, das Supermärkte um die Ecke führen. Unsere Kompetenz ist der Diskont.

STANDARD: Wie hält es Lidl mit kleineren Geschäften in Innenstädten?

Wolf: Unser Konzept funktioniert sehr gut auf mindestens 700 bis 800 Quadratmetern, von Bahnhöfen abgesehen. Andernfalls verlieren wir die Vorteile eines Diskonters, auch rund um die Logistik.

STANDARD: In Österreichs Onlinehandel mischt Lidl nicht mit. Haben Sie keine Angst, etwas zu verschlafen?

Wolf: Lidl sammelt damit in vielen Ländern Erfahrungen. Unser deutscher Onlineshop zählt zu den größten des Landes. Natürlich überlegen wir, auch in Österreich einen zu eröffnen. Zuerst startet jedoch unsere Schwester Kaufland im Sommer mit ihrem Marktplatz Kaufland.at.

STANDARD: Der Onlineverkauf von Lebensmitteln gilt als Verlustgeschäft.

Wolf: Weil die letzte Meile zu teuer ist. Weil Fachkräfte fehlen. Weil die Kunden nicht bereit sind, dafür zu zahlen. Sie gehen für ihre Wocheneinkäufe lieber selbst in die Filialen.

STANDARD: An Kapital dafür würde es Lidl international nicht fehlen. Muss der Konzern in Österreich überhaupt Geld verdienen?

Wolf: Natürlich.

Lidl-Chef Alessandro Wolf: "Wir verdienen in Österreich nicht mehr Geld als in Deutschland."
Heribert Corn

STANDARD: Die Lebensmittelinflation sank erstmals wieder unter die allgemeine Teuerung. Verglichen mit Deutschland kaufen die Österreicher aber deutlich teurer ein. Zu Recht?

Wolf: Der Aktionsanteil ist in Österreich fast doppelt so groß. Lohnkosten sind höher. Die Logistik ist aufgrund der Topografie teurer. Österreich hat mehr Filialen pro Einwohner. Nur unwesentlich höher ist die Quadratmeterzahl: Es kostet mehr, zwei kleine Märkte zu unterhalten anstelle eines großen.

STANDARD: Rechtfertigt das zweistellige Preisdifferenzen? Zumal Lidl dank seiner 4600 Eigenmarken die Kalkulation vieler Lebensmittel selbst in der Hand hat?

Wolf: Wir verdienen hier nicht mehr Geld als in Deutschland. Die Kostenstrukturen sind andere. Österreich ist kein margenträchtiges Land.

STANDARD: Wie bewähren sich Lidls digitale Preisschilder?

Wolf: Sie sind in allen Filialen im Einsatz und entlasten das Personal. Der Arbeitsaufwand wird aufgrund des neuen Pfandsystems ja massiv zunehmen. Um Ihre nächste Frage vorwegzunehmen: Dynamic Pricing wird es bei uns nicht geben.

STANDARD: Gibt es bei Lidl in naher Zukunft Selbstbedienungskassen?

Wolf: Wir werden sie ab dem dritten Quartal in ersten Filialen testen. Es ist ein zusätzlicher Service, der neue Kundengruppen anspricht.

STANDARD: In Deutschland testen Ihre Mitbewerber kassenlose Filialen. Abgerechnet wird über Smartphones. Die Zukunft des Einkaufens?

Wolf: Da ist viel Show dahinter. Auf dem Stand von heute ist die Technologie dafür zu teuer und zu fehleranfällig. Keiner redet über die Leute, die die Videokameras überprüfen. Was neben der klassischen Kasse aber sicher rasch kommen wird, sind Self-Checkout und Self-Scanning.

STANDARD: Was Arbeit spart. Finden Sie in Österreich trotz Überzahlung ausreichend Personal?

Wolf: Ja, aber es ist schwieriger als vor fünf bis zehn Jahren.

STANDARD: Lidl-Gründer Dieter Schwarz gilt trotz hohen Alters als aktiv und technikaffin, lebt aber extrem zurückgezogen und scheut die Öffentlichkeit. Manche fragen sich, ob es ihn überhaupt gibt. Haben Sie je persönlich mit ihm gesprochen?

Wolf: Nein.

STANDARD: Sie selbst kehren im Herbst in die Schweiz zurück. Ihr Nachfolger ist wie acht der neun Geschäftsführer in Österreich ein Mann – in einer Branche, in der überwiegend Frauen arbeiten. Ist das wirklich noch zeitgemäß?

Wolf: Nein. Unser Ziel ist es, den Anteil an Frauen deutlich zu erhöhen. Sie sollen stärker in die Geschäftsleitung Einzug halten. Wir machen kleine Schritte, sind aber lange noch nicht dort, wo ich uns gerne hätte.