Neo-Burgtheaterdirektor Stefan Bachmann am Dienstag auf der Bühne seines zukünftigen Hauses.
Neo-Burgtheaterdirektor Stefan Bachmann am Dienstag auf der Bühne seines zukünftigen Hauses.
APA/HELMUT FOHRINGER

Seine Spuren im Burgtheater wird Stefan Bachmann ab Herbst hinterlassen, den Spielplan dafür stellte er am Dienstag vor. Derweil pendelt er fast wöchentlich zwischen Köln und Wien. Hinter vorgehaltener Hand hört man von umsichtiger Bescheidenheit, mit der er sich in seinem neuen Haus gebärdet.

STANDARD: Das größte Theater im Sprachraum, das "erste" Theater deutscher Zunge, wir Österreicher bilden uns viel aufs Burgtheater ein. Wie ist der Blick von Deutschland aus aktuell und abseits des Mythos?

Bachmann: Mein Blick hat sich vom allgemeinen schon sehr in einen spezifischen verwandelt, und mein Blick ist inzwischen: Wie möchte ich, dass das Burgtheater sich entwickelt? Aber ich würde sagen, es gibt eine große Aura, und es hat einen Ruf, der relativ stabil zu sein scheint.

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STANDARD: Wo sind die Entwicklungspotenziale?

Bachmann: Burg ist ein perfektes Label auf dem Niveau des Mercedes-Sterns, weil es vielleicht kein Theater gibt, das in so einer kurzen Form sofort beschrieben ist. Die Implikationen müssen wir jetzt aber verändern. Burg hat etwas hochgradig Traditionalistisches, Ehernes, Festgefahrenes. Wir müssen dafür sorgen, dass eine gewisse Leichtigkeit und Diskursbereitschaft, etwas Humorvolles, Zukunftszugewandtes und Offenes entsteht. Die kulturellen Angebote im urbanen Raum werden nicht kleiner, wir haben während der Pandemie erlebt, dass Menschen zu den Streamern abgewandert sind. Ich will einen Ort mit hoher Fluktuation eines vielfältigen Publikums und dass die Burg "talk of the town" ist.

STANDARD: In Köln haben Sie das die letzten elf Jahre geschafft. Wie viel Stadttheater darf die Burg sein?

Bachmann: Ich habe keine schnellen Antworten, finde es aber gut, wenn man die Frage stellt, wie weit wird es gelebt, dass dieses Theater mitten in Wien repräsentativ fürs ganze Land ist. Bildet sich das ganze Land ausreichend ab in dem, was sich hier tut? Wird man ausreichend von Menschen aus dem Rest des Landes besucht? Am Stadttheater kann man schnell sagen, es setzt sich mit der Stadt auseinander. Das wäre im Fall der Burg viel zu eng.

STANDARD: Die schwerfälligen Strukturen und Hierarchien an einem Tanker wie der Burg stehen heutigen Werten vor allem auch der Kulturszene entgegen: Kollektive, Diversität, Inklusion. Zugleich gehen die Abonnentenzahlen zurück. Wie findet sich so ein großes Haus in der Gegenwart zurecht?

Bachmann: Ich fand es immer am schönsten, Widersprüche zu versöhnen oder auch stehenzulassen. Ich sehe es als ganz zentrale Aufgabe, Abonnenten, von denen es hier noch vergleichsweise viele gibt, zu halten und ihnen entgegenzukommen. Und andererseits zu beginnen, erstarrte Strukturen aufzulösen. Ich habe in Köln die Erfahrung gemacht, dass beides zugleich möglich ist.

STANDARD: Sie haben schon in Wien inszeniert und gelebt. Wie ist das Wiener Publikum, und muss man es entwickeln?

Bachmann: Publikum muss man immer ein Stück weit entwickeln, wenn man die Absicht hat, dass es sich erweitert und in die Zukunft erstreckt. "Erziehen" würde ich nie sagen, man muss einfach ein guter Gastgeber sein, sagen, ich probiere dafür zu sorgen, dass ihr was Gutes bei uns erlebt. Zu wünschen wäre, dass das Theater eine Strahlkraft bekommt, wo es vielleicht gar nicht so ins Gewicht fällt, ob einem eine Aufführung zugesagt hat oder nicht, sondern dass es einfach eine Selbstverständlichkeit ist, in die Burg zu gehen, weil man denkt, man verpasst zu viel, wenn man es nicht tut.

STANDARD: Legen Sie es auf Theaterskandale an?

Bachmann: Ich weiß, dass Wien Skandale liebt. Ich sehe mich aber nicht als jemanden, der für Skandale sorgt. Manchmal habe ich sogar ein bisschen ein schlechtes Gewissen der Stadt gegenüber, weil ich mir denke, reicht das aus, was ich zu bieten habe? Müsste ich nicht Skandale bringen, damit sich hier alle wohlfühlen?

STANDARD: Wie politisch wollen Sie sein? Es wird im Herbst gewählt, wenn jemand ein Statement von Ihnen zur Innenpolitik will ...

Bachmann: ... reiße ich mich nicht darum. Ich finde es nicht unbedingt Aufgabe des Burgtheaterdirektors, sich zu jeder tagespolitischen Frage zu äußern. Das tue ich wählend als Privatperson, und eine der großen Errungenschaften der Demokratie ist es, dass Wahlen anonym stattfinden. Wenn wir jetzt aber sehen, dass Demokratien grundsätzlich so bedroht sind wie lange nicht, an der Abstumpfung der Bevölkerung gearbeitet wird, finde ich das angsteinflößend. Mein Ansatz ist da grundsätzlicher zu versuchen, eine attraktive Gegenwelt auf der Bühne zu formulieren, und damit in der Frage, wollt ihr es so oder so, besser abzuschneiden. Ein Klima zu schaffen, das ein bisschen optimistischer und kollegialer ist.

STANDARD: Verbindendes in polarisierten Zeiten?

Bachmann: Man muss so aufpassen, dass man sich nicht griesgrämig in Ideologien verhärtet. Es werden heute Kämpfe um Bagatellen ausgefochten bei Menschen, die sich eigentlich grundsätzlich einig darüber sind, in was für einer Welt sie leben wollen. Es kann positiv bestärkend sein, sich zu unterhalten. Auch Schönheit an sich steht schon im kompletten Widerspruch zu nationalistischen und rechtspopulistischen Bestrebungen. Das empfinde ich eher als politische Aufgabe, denn dass ich mich ganz konkret einschalte.

STANDARD: Gibt es abseits des künstlerischen Programms strukturelle Themen, die Sie anpacken müssen?

Bachmann: Die gibt es immer, aber das will ich nicht zuerst groß von außen annoncieren.

STANDARD: Verbesserungswürdig ist auch das Klima am Haus, das unter Martin Kušej nicht optimal war.

Bachmann: Auch da würde ich ungern öffentlich mit Rezepten herumwuchern, das ist eine sensible Geschichte und hat viel mit Vertrauen zu tun. Am Ende geht es ganz konkret um das, was man jeden Tag im Betrieb lebt.

STANDARD: Wie gut läuft die Übergabe von Kušej an Sie?

Bachmann: Das läuft vollkommen okay. (Michael Wurmitzer, 24.4.2024)