Im Gastblog stellt Linguist Joachim Matzinger ein Buch vor, das ein wichtiges Ereignis für die Sprachgeschichte des Albanischen war.

Eine der bedeutendsten technischen Erfindungen der frühen Neuzeit war der Buchdruck. Im Gegensatz zu den Handschriften ermöglichte er nicht nur, geschriebene Texte jeder Art in unbegrenzter Stückzahl zu pro- und reproduzieren, sondern garantierte auch deren weite Verbreitung unter den damals Lesekundigen. Dabei kristallisierten sich in Europa bestimmte Zentren des Buchdrucks heraus, an denen nicht nur in der jeweiligen Landessprache gedruckt wurde, sondern auch in verschiedenen europäischen sowie auch außereuropäischen Sprachen und Schriften.

Venedig als Zentrum für Buchdruck

Ein Zentrum des frühneuzeitlichen europäischen Buchdrucks war unter anderem Venedig, wo Druckereien nicht nur über die üblichen lateinischen Drucklettern verfügten, sondern unter anderem auch über Drucklettern für das kyrillische Alphabet. Die Serenissima war darüber hinaus im 15. und 16. Jahrhundert für den albanischen Raum, der seit circa 1500 unter der völligen Herrschaft der Osmanen stand, ein Zielpunkt für albanische Exilanten, die sich in der Stadt, aber auch auf dem venezianischen Festland, der Terra ferma, bis hinauf nach Friaul ansiedelten. In Venedig selbst ließen sich die durchaus geschätzten Neubürger vor allem im nördlichen Sestiere (Stadtteil) Cannaregio nieder, wo sie vielfach im Textilgewerbe tätig waren. Ihre Hauptkirche war dem alttestamentarischen Propheten San Giobbe (Hl. Ijob) geweiht, die jetzt Chiesa dei Santi Giobbe e Bernardino genannt wird. Sie liegt am Kanal Rio di San Giobbe, heute ein von den Touristenströmen meist ignorierter Teil der Stadt, der sich weit hinter dem Hauptbahnhof Santa Lucia befindet.

Kanal in Venedig mit Gebäuden und Kirche im Hintergrund
Die Kirche dei Santi Giobbe e Bernardino, Blick vom Rio di San Giobbe.
J. Matzinger

In den albanischsprachigen Gebieten selbst wurden durch die osmanische Eroberung erste Ansätze humanistischer Strömungen zum Stillstand gebracht, die wenigen Gelehrten flohen ins italienische Exil, darunter eben auch nach Venedig, wo die einflussreiche, aus Drisht (auf Italienisch Drivasto) stammende Familie der Angeli ihren Einfluss für die "albanische Sache" geltend machte. Zum weitläufigen Programm der Familie Angeli dürfte wahrscheinlich auch der erste Druck eines Buches in albanischer Sprache überhaupt gehören, dessen Entstehungsgeschichte wie auch Schicksal seit seiner Entdeckung im 18. Jahrhundert im vatikanischen Archiv Rätsel aufgibt.

Beginn der Verschriftlichung

Über einen sehr langen Zeitraum war das Albanische eine nur mündlich überlieferte Sprache, bis im Jahr 1555 jener Druck erfolgte, der am Anfang der albanischen Schriftlichkeit steht. Durch seinen Inhalt, sein lateinisch-kyrillisches Mischalphabet und die Geschichte seiner Überlieferung stellt er ein einzigartiges Denkmal der albanischen Sprache dar. Über seinen Autor ist nur das Wenige bekannt, das im sogenannten Kolophon (Nachschrift) am Ende des Buches von ihm selbst geschrieben wurde. Hieraus erfahren wir seinen Namen, Gjon Buzuku, den Namen seines Vaters, Bdek, und dass er eine Kirche zu leiten hatte, also, dass er ein Geistlicher war. Er gibt auch an, dass er für die Erstellung des Textes ein dreiviertel Jahr gebraucht habe, und zwar vom 20. März 1554 bis zum 5. Jänner 1555 und dass die – bisher noch nicht ermittelten – Drucker mit dem Satz so ihre Mühe hatten.

Scan einer Buchseite
Das Kolophon am Ende des Buches, das die wenigen Angaben über den Autor enthält.
J. Matzinger

Was aber ist das für ein Buch, das am Anfang der albanischen Schriftlichkeit in der Mitte des 16. Jahrhunderts steht? Seinen originalen, vom Autor gegebenen Titel kennen wir nicht, da das Frontispiz (Titelseite) sowie weitere sechzehn Seiten am Beginn unbekannterweise fehlen. Den größten Teil des Buches nimmt aber die Übersetzung des katholischen römischen Messbuches (Missale Romanum) ein, sodass das Buch seit seiner Entdeckung üblicherweise als Missale bezeichnet wird. Jedoch trifft das nicht ganz den Punkt, denn obwohl das Messbuch das Hauptstück dieser Übersetzung bildet, hat Buzuku in seinem Werk auch noch andere katechetische und biblische Texte ins Albanische übertragen, etwa die Allerheiligenlitanei. Zudem enthält das Buch am Anfang die Übersetzung des zu jener Zeit weit verbreiteten Kleinen Marienoffiziums (Stundengebet).

Aus dieser für damalige Drucke doch recht einzigartigen Zusammensetzung folgt, dass es sich bei Buzukus Buch um ein praktisches Handbuch für die liturgische Durchführung des Kirchenjahres in der Gemeinde durch einen Geistlichen handelt. Wie der Autor ja selbst mitteilt, war er ein Geistlicher.

Lateinisch-kyrillisches Mischalphabet

Durch den Seitenverlust am Anfang des Buches ist nicht nur unbekannt, wie der Autor selbst sein Werk genannt hat, es fehlt auch der Hinweis auf den Druckort. Seit seiner Entdeckung wurden verschiedene Vorschläge rund um die Adria eingebracht, wobei jedoch Gebiete unter osmanischer Herrschaft nicht in Frage kommen, da hier der Buchdruck erst im 18. Jahrhundert zugelassen wurde. Auf kumulativer Basis bestimmter Indizien, darunter der verwendeten Drucktypen, hierbei besonders der Initialen und bestimmter dekorativer Elemente, lässt sich Venedig als der wahrscheinlichste Druckort bestimmen. Einem Indiz kommt dabei ein ganz besonderes Gewicht zu. Völlig abweichend vom üblichen Aufbau eines Messbuchs findet sich am Ende vor dem Kolophon gerade die Messe für Ijob, jenen Patriarchen, dessen Kirche im venezianischen Cannaregio liegt, dem Hauptwohnort der albanischen Exilanten, und der vor allem in Venedig besondere Verehrung gefunden hat. Dies legt den Schluss nahe, dass es eben diese Kirche war, die Gjon Buzuku zu betreuen hatte, von welcher er im Kolophon spricht.

Eine der Besonderheiten seines Buches ist schließlich das Alphabet, das zwar lateinisch ist und Drucktypen der in Norditalien damals gebräuchlichen sogenannten gotischen Rotunda verwendet, aber auch fünf kyrillische Zeichen umfasst, die spezifisch jenem kyrillischen Alphabet entstammen, das damals in Werken bosnischer Herkunft gebraucht wurde (bosnische Kyrilliza).

Ausschnitt aus Scan einer Textseite
Schreibung des altalbanischen Wortes vû ("Hunger") als □u, mit dem für das ältere bosnische kyrillische Alphabet typischen Zeichen □ für v.
J. Matzinger

Eine graphematische Analyse des Alters und Gebrauchs legt nahe, dass das von Buzuku gebrauchte Mischalphabet in dieser Form nicht vor das 14. Jahrhundert reichen kann und so stellt sich die noch ungelöste Frage, ob Buzuku selbst der Schöpfer dieses lateinisch-kyrillischen Mischalphabets ist, oder ob er auf eine schon ältere, jedoch bislang nicht in handfesten Zeugnissen belegte, Schrifttradition des älteren Albanischen zurückgreift.

Gottesdienst in zwei Sprachen

Auch wenn die auf Buzuku nachfolgenden ausschließlich geistlichen Autoren seine Übersetzung wahrscheinlich nicht gekannt haben dürften, steht sie grundsätzlich am Anfang eines bis ins späte 19. Jahrhundert reichenden theologischen Literaturschaffens aus dem nordalbanischen Raum. Hier ist der sogenannte gegische Dialekt beheimatet, dessen ältere Sprachstufe, das Altgegische, sich auch in Buzukus Buch widerspiegelt. Aufgrund sprachlicher Merkmale lässt sich sogar sagen, dass sein Idiom dem Gebiet um die nordalbanische Stadt Shkodra herum zuzuordnen ist, wobei aber unklar bleibt, ob er schon ein in Venedig geborener Nachfahre von albanischen Exilanten war, oder selbst erst irgendwann dorthin gelangte.

Vor allem für die albanische Gemeinde Venedigs, doch wohl auch im Hinblick auf die in der Heimat verbliebene Glaubensgemeinschaft hat Buzuku seine Übersetzung angefertigt. Diese ist sprachlich meisterlich und gibt die Glaubensinhalte auch ganz getreu wieder, der Geistliche Buzuku war somit alles andere als ein reformatorischer Geist. Ein Aspekt der Übersetzung fällt aber doch ganz besonders auf. Während andere Übersetzungen des römischen Missale in der Regel alle Teile des Messbuchs übersetzen (Vollmissalia), so finden sich in Buzukus Buch nur ganz wenige Teile des Messformulars ins Albanische übersetzt, vor allem aber die Texte der biblischen Lesungen (Perikopen). Das aber bedeutet, dass alle anderen Teile der Messe, inklusive der Eucharistiefeier dann wohl auf Lateinisch gehalten wurden. Der Gottesdienst der albanischen Gemeinde in der Kirche San Giobbe war somit zweisprachig, Lateinisch und Albanisch, und dieses in jenen Fällen, wo die Gläubigen das Thema der Messe und die biblischen Lesungen verstehen sollten. Es darf daraus vermutet werden, dass die Predigt an die Gemeinde dann wohl auch auf Albanisch erfolgte.

Die im Kolophon ausgedrückte Sorge Buzukus um die albanische Sprache war alles andere als unbegründet. Im Unterschied zu Süditalien und Sizilien, wo die Sprache der albanischen Exilanten in manchen Gemeinden bis heute bewahrt ist, das sogenannte Arbresh (Italo-Albanisch), haben sich die Albaner in Venedig sehr rasch sprachlich und kulturell an ihre Umgebung assimiliert, auch wenn ihre Spuren bis heute noch in Venedig, zum Beispiel in den Straßennamen und ganz besonders der Scuola degli Albanesi gleich neben der Kirche San Maurizio zu finden sind.

Aufnahme der Fassade
Detail der Fassade der Scuola degli Albanesi (Belagerung der Stadt Shkodra durch die Osmanen).
Lucia Nadin, Venezia e Albania. Una storia di incontri e secolari legami/Venice and Albania. A history of encounters and secular ties, Regione del Veneto 2013

Gjon Buzukus Übersetzung des römischen Messbuchs und anderer Texte für das Kirchenjahr ist ein für die Sprachgeschichte des Albanischen wichtiges Ereignis. Es ist ein Unternehmen, das im damals günstigen Moment für volkssprachliche Übersetzungen entstanden ist und das seine Vorbilder, wie kompositorische und sprachliche Einflüsse in Buzukus Buch nahelegen, wohl im kroatisch-bosnischen literarischen Schaffen hat, wo volkssprachliche Übersetzungen biblisch-theologischer Werke bereits eine längere Tradition hatten. Auch das von Buzuku verwendete lateinisch-kyrillische Mischalphabet deutet in diese Richtung.

Weitere Forschung notwendig

Zu den offenen Fragen gehört noch, warum nur das eine bekannte Exemplar dieses Buches existiert, das im Übrigen von recht schlichter, nur schwarz-weiß gehaltener Druckqualität ist, und warum es scheinbar recht bald in Vergessenheit geriet. Spekulationen gehen dahin, dass Buzukus Buch nicht mehr den Richtlinien entsprochen haben könnte, wie sie auf dem Konzil von Trient beschlossen wurden. Auch ist unklar, auf welchen Wegen dieses Werk ins vatikanische Archiv gelangte, wo es erst circa 200 Jahre später wiederentdeckt wurde. An den Antworten darauf und vielen anderen rätselhaften Fragen um dieses Buch wird weiter geforscht und es ist zu erwarten, dass in den Untiefen des venezianischen Staatsarchivs bislang noch unentdeckte Dokumente hier künftig einiges zur Aufklärung beitragen werden. (Joachim Matzinger, 17.8.2023)