Ein Entwurf von Studio Job.
Ein Entwurf von Studio Job.
Mathmos

Zum ersten Mal traf Cressida Granger den Erfinder der Lavalampe in einem Nudistencamp. "Bekleidet, wohlgemerkt", sagt die Britin und lacht. Die Geschichte von ihr und der Lavalampe ist so ungewöhnlich wie das Treffen selbst. In den Siebzigerjahren verdingte sich die Kunsthistorikerin als Vintage-Händlerin in Camden Town, stöberte Mid-Century-Möbel auf und verkaufte sie an Sammler weiter. Mitte der Achtzigerjahre stieß sie auf einem Markt in Glasgow auf eine alte Lavalampe. "So etwas hatte ich noch nie gesehen", sagt Granger. Dann fand sie noch eine und noch eine. "Sie verkauften sich so gut, dass ich die Kisten verbrennen musste, damit andere Händler nicht herausfinden konnten, wo ich sie herbekam."

Granger versuchte herauszufinden, ob sie die Lampen nachbauen konnte, aber es gelang ihr nicht. "Also rief ich die Nummer auf der Verpackung an und fragte, ob ich die Formel bekommen könnte", sagt Granger. Am anderen Ende der Leitung war ein betagter Mann: Edward Craven-Walker aus Poole, einem kleinen Küstenort im Süden Englands, in dem kurioserweise auch Cressida Granger geboren wurde. Craven war nicht abgeneigt: Das Geschäft lief schleppend, und er hatte ohnehin Besseres zu tun, nämlich das Nudistencamp, das er gegründet hatte, auszubauen. Er lud Granger dorthin ein, sagte: "Wenn die Firma nicht läuft, kannst du jederzeit gehen, und wenn sie funktioniert, gehört das Geschäft dir."

Erfunden hatte der Buchhalter die Lavalampe durch Zufall. Bei einem Besuch im Pub war Craven in den Fünfzigerjahren auf einen Cocktailshaker aus Glas gestoßen, der mit einer Wachskugel gefüllt war. Er diente als behelfsmäßige Eieruhr: Verflüssigte sich das Wachs, war das Ei fertig. Das hypnotische Spektakel imponierte Craven so sehr, dass er es unbedingt weiterentwickeln wollte. In seinem Gartenhaus richtete er ein kleines Labor ein, nahm eine Sirupflasche und füllte sie mit zwei ineinander unlöslichen Flüssigkeiten: einer auf Wasserbasis, einer auf Wachsbasis.

Aufstieg

Die Funktionsweise der Lavalampe hat sich bis heute kaum verändert: Eine Glühbirne im Sockel dient nicht nur als Lichtquelle, sondern erhitzt auch das Wachs, das in der Flasche aufsteigt, bevor es an der Spitze abkühlt und verträumt wieder nach unten sinkt. 1963 kam die "Astro Lamp" auf den Markt, ein Jahr später stand sie bei den Londoner Kaufhäusern Selfridges und Habitat in den Regalen, nur bei Harrod’s dauerte es etwas länger. Schon damals polarisierte der Entwurf. Kaum verwunderlich: Die "Astro Lamp" – so hieß sie damals noch – brach mit allen gängigen Typologien. Sie machte kein Licht, sondern Stimmung, das phlegmatische Blubbern hatte Suchtpotenzial.

"Es ist wie der Kreislauf des Lebens. Es wächst, zerbricht, fällt zusammen und fängt dann wieder von vorn an", sagte Craven. Die Lavalampe war ein Kind ihrer Zeit, die perfekte Wegbegleiterin für die Swinging Sixties, wo sich vieles im Auf- und Umbruch befand. Ihr glatter, raketenartiger Look spiegelte den Forschergeist der Space-Age-Epoche wider, sprach aber genauso "Psychonauten" an, die sich selbst mit LSD und Meskalin in andere Sphären schossen. Sie harmonierte mit Verner Pantons radikalen Wohnlandschaften genauso wie mit der Musik von Jimi Hendrix, zu einer Zeit, in der alles möglich schien.

Entwurf des renommierten Designbüros Studio Job
Entwurf von Sabine Marcelis.
Mathmos/ Titia Hahne

Craven war kein Hippie, im Gegenteil. Höchstens ein Mann in der Midlife-Crisis. Und was für einer: Als Pilot flog Craven im Weltkrieg, später wurde er Buchhalter und FKK-Aktivist, der entweder in seinem Feuerwehrauto oder seinem Hubschrauber unterwegs war und kunstsinnige Unterwasser-Nacktfilme produzierte. "Die waren ihm damals viel wichtiger. Die Firma hatte nur zwei Mitarbeiter und machte Verluste. Ich glaube, er hat sie nur aus steuerlichen Gründen behalten, weil er in der Gegend viel Land besaß."

Als Granger mit ihrem Geschäftspartner David Mulley in die Firma einstieg, verkaufte Craven nur noch gut tausend Lavalampen pro Jahr. Keiner interessierte sich mehr für die Pop-Ikone, die am Set von Doctor Who, Mit Schirm, Charme und Melone und Superman II glänzte und Stars wie David Bowie, Ringo Starr oder Paul McCartney zu ihren illustren Besitzern zählte. Die Moden hatten sich gedreht, "aber ich war zuversichtlich, dass es laufen würde", sagt Granger.

Kurz nach ihrem Einstieg nannte sie das Unternehmen in Mathmos um – nach dem blubbernden "See des absolut Bösen" aus dem Sci-Fi-Trash-Klassiker Barbarella. Die genaue Rezeptur ist bis heute übrigens ein wohlgehütetes Geheimnis. Nur so viel sei verraten: Ein wichtiger Bestandteil ist das Lösungsmittel Tetrachlorkohlenstoff, das dem ansonsten schwimmfähigen Wachs Gewicht verleiht.

Granger änderte die Farben der Lampen und die Verpackung, mehr war gar nicht notwendig, denn der Wind hatte sich gedreht: "Die Achtzigerjahre waren voller Mattschwarz und Chrom, aber plötzlich ging es um Farbe, Kurven und Formen", sagt sie. Punks und Neoliberalisten mochten der Lampe nichts abgewinnen, Raver und Studierende der Neunziger dafür umso mehr. "Wir wussten nicht wirklich, was wir tun, aber wir waren zur richtigen Zeit am richtigen Ort", sagt Granger. Der Umsatz verdoppelte sich im Laufe der Neunziger jedes Jahr. Kurz vor der Jahrtausendwende verkaufte Granger in einem Jahr eine Dreiviertelmillion Lavalampen – auch weil niemand wusste, dass die Patente längst abgelaufen waren.

Masterflüssigkeit

Als sie 1999 alleinige Eigentümerin des Unternehmens wurde, ahnte sie nicht, dass die fetten Jahre bald vorbei sein würden. Die ersten Kopien aus China kamen auf den Markt, die Marke verwässerte. Bis heute gibt es weltweit nur zwei Fabriken, die Lavalampen herstellen: die von Mathmos in Poole und ebenjene in China, die alle anderen produziert. Während die Billigmodelle schon ab 15 Euro erhältlich sind, kostet das Original von Mathmos etwa 100 Euro aufwärts. Doch Granger will weiter in Großbritannien produzieren: Die Flaschen werden in Yorkshire hergestellt, die Sockel in Devon, abgefüllt werden die Flaschen in Poole. Eineinhalb Tage braucht ein Mitarbeiter, um eine Charge von 400 Lampen zu füllen.

Die Herstellung ist weitgehend gleich geblieben: Alan – so heißt der Mann, der das seit mittlerweile 31 Jahren macht – steckt eine Spiralfeder in eine Flasche, in das er anschließend farbiges Wachs einspritzt. Die Feder hält das Wachs am Boden. Anschließend füllt er eine "Masterflüssigkeit" – meist Isopropanol oder Ethylenglycol – ein, bevor die Flaschen in heißes Wasser getaucht werden, um das Wachs aushärten zu lassen. Nur der technische Fortschritt kommt manchmal in die Quere. So sorgte das Verbot von Glühbirnen bei Mathmos für Kopfzerbrechen, schließlich war die Abwärme der Lampen ein integraler Bestandteil der Funktionsweise von Lavalampen. Man behilft sich nun mit Spezialleuchten.

Modell Telstar Rocket
Mathmos

In den letzten Jahren haben die Verkaufszahlen stark angezogen, auch in Österreich. Für Liebhaber hat Granger deshalb zum 60. Geburtstag der Lampe eine Reihe von Designern und Künstlern gebeten, sie neu zu interpretieren. Nur die raketenartige Silhouette musste erhalten bleiben. Denn damit das Wachs gut wabert, muss die Lavalampe unten größer sein als oben. Das Glas muss industriell gefertigt werden, sonst birst es. Was beweist, dass selbst Klassiker des Pop-Designs wie eine Lavalampe, so irrational und obskur sie scheinen, dem Credo "Form follows function" folgen. "Die Physik lässt sich nun einmal nicht überwinden", sagt Granger.

Der Designer Marc Newson hatte es einmal mit einer Lampe in Form eines Bilderrahmens versucht, was nicht funktionierte. Ross Lovegrove entwarf ein Modell, das sich nach unten hin verjüngte. Sah lustig aus, klappte aber auch nicht.

Duran Duran und Studio Job

Für die neuen Editionen konnte Granger unter anderem den Fotografen Rankin gewinnen, der eine Lavalampe in seiner Lieblingsfarbe Blau entwarf. Studio-Job-Gründer Job Smeets wiederum tauchte sein Modell in Gold und verzierte es mit Tierskelettgravuren. Die Band Duran Duran steuerte eine silberne Lampe bei, die im ausgeschalteten Zustand wie eine Skulptur anmutet. Und die Designerin Sabine Marcelis, gerade eine der Gefragtesten der Branche, beizte die Flasche, um die gelbe Lava wie hinter einem Schleier zu verbergen, was die weiße Lampe noch geheimnisvoller wirken lässt. "Sie sind ein Fixpunkt wie ein Lagerfeuer, eine tolle Nachttischlampe", sagt Granger.

Telstar Rocket Lamp.
Modell von Duran Duran.
Mathmos

Das Tolle am Produkt sei, dass jeder dazu eine Meinung habe. "Entweder du hasst sie, oder du liebst sie." Für manche ist die Lavalampe der Inbegriff der Geschmacklosigkeit – anderen ebnet sie den Weg zur Erleuchtung. "Die Bewegung des Wachses ist unvorhersehbar, es bahnt sich immer einen anderen Weg." Deshalb werden Lavalampen nun sogar schon für ganz ungewöhnliche Dinge genutzt: Am Firmensitz des Dienstleisters Cloudflare, das einen erheblichen Teil des Datenverkehrs im Internet schützt, stehen einhundert der Lampen und werden alle paar Sekunden fotografiert. Die Bilder werden von Computern als Zufallszahlen interpretiert, aus denen digitale Schlüssel erzeugt werden – die unser aller Leben ein bisschen sicherer machen. Die Lavalampe, sie ist auch heute noch für Überraschungen gut.
(RONDO, Claire Devon, 16.11.2023)

www.mathmos.com

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