Der Protestzug ging auch über den Ring und machte kurz vor dem Rathausplatz Halt. Punsch oder Glühwein gab es nicht, stattdessen schenkte Wiens Ärztekammer-Vizepräsident Stefan Ferenci der Wiener Stadtregierung ein. Die Situation in den Spitälern sei "beängstigend".
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Bei Temperaturen um den Gefrierpunkt und eisigem Wind versammelten sich am Montagnachmittag mehrere hundert Ärztinnen und Ärzte auf dem Neuen Markt in der Wiener Innenstadt zu einem von der Ärztekammer organisierten Protestmarsch. Sie demonstrierten gegen die prekäre Personalsituation in den Spitälern und forderten Verbesserungen. Auf dem Platz wurden Trillerpfeifen und weiße Kittel an die Teilnehmerinnen und Teilnehmer verteilt, dazu gab es Langos und Tee. Die Slogans auf den Plakaten lauteten "Protest statt Burnout", Ohne uns stirbt Wien", "Wien, schau auf Deine Spitäler" und "Das Gesundheitssystem gefährdet Ärztinnen und Ärzte". Auf rund 2000 schätzte die Ärztekammer die Zahl der Teilnehmer, anderen Beobachtern zufolge dürften es mehrere Hundert sein.

Kurz vor 15 Uhr setzte sich der Demonstrationszug in Bewegung. Mit dabei war auch ein Demo-Wagen mit Moderator, DJ und Musik, es ertönte unter anderem "Thriller" von Michael Jackson und Falcos "Vienna Calling". Vom Neuen Markt aus führte die Route zunächst zur Oper und von dort über die Ringstraße zum Rathaus. Der Ring war im Demo-Abschnitt etwa eine Stunde für den Verkehr gesperrt, es kam zu Staus.

"Situation beängstigend"

Auf Höhe des Rathauses hielt Wiens Ärztekammer-Vize Stefan Ferenci eine Rede, die mit der Gesundheitspolitik der rot-pinken Stadtregierung abrechnete. "Die Situation in den Spitälern ist beängstigend", sagte Ferenci. Gesundheitsstadtrat Peter Hacker (SPÖ) bringe dem Gesundheitspersonal mangelnden Respekt entgegen.

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Treffpunkt am Neuen Markt war um 14 Uhr.
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Für den Protestmarsch, der dann noch über die Freyung und Am Hof führte und am Stock-im-Eisen-Platz beim Stephansdom mit einer Abschlusskundgebung endete, hatte die Wiener Ärztekammer auf zahlreichen Kanälen mobilisiert. Es gibt eine eigene Streik-Homepage, in mehreren Medien wurden vorab Werbungen geschalten. Um die Teilnahme für Ärztinnen und Ärzte sowie für weiteres medizinisches Personal zu ermöglichen, hatte die Kammer zudem auch eigene Busse organisiert, die Teilnehmerinnen und Teilnehmer von mehreren Spitälern abholten. Zum Abschluss der Aktion dankte Johannes Steinhart, Präsident der Österreichischen sowie der Wiener Ärztekammer, den Teilnehmerinnen und Teilnehmern für ihr Engagement "für bessere Spitäler". Es sei an der Zeit, "dass die Politik einmal zuhört".

An die Demonstrierenden wurden Trillerpfeifen und weiße Kittel verteilt.
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30 Prozent mehr Gehalt gefordert

Die Ärztekammer will mit dem Protestmarsch ihren Forderungen nach 30 Prozent mehr Gehalt für Ärztinnen und Ärzte, 30 Prozent mehr Personal sowie weniger Bürokratie und unter dem Strich mehr Zeit für Patientinnen und Patienten Nachdruck verleihen. Die von der Stadtregierung zuletzt angekündigte Erhöhung der Zulagen für alle Bediensteten in den Wiener Gemeindespitälern ab Februar 2024 hat die Kammer nicht dazu gebracht, ihren Protestmarsch abzublasen. Die Wiener Standesvertretung stellte für Kampfmaßnahmen zuletzt fünf Millionen Euro zur Verfügung, ein beträchtlicher Teil davon war aber auch für den Protest gegen die Gesundheitsreform vorgesehen.

Die Wiener Ärztekammer hatte im Vorfeld mit zahlreichen Teilnehmerinnen und Teilnehmern gerechnet, hinter vorgehaltener Hand war von womöglich mehr Teilnehmenden als beim letzten großen Ärztestreik im Jahr 2016 in Wien die Rede gewesen: Damals protestierten rund 2000 Personen - bei freilich deutlich wärmeren Temperaturen im September - gegen die geplanten neuen Dienstzeitregelungen. Dieses Ziel dürfte verfehlt worden sein. Dabei hatte auch der AKH-Betriebsrat Unterstützung angekündigt, eine Betriebsversammlung wurde zum Start des Protestmarschs am Neuen Markt eröffnet. Auch Studierendenvertretungen der Med-Uni Wien sowie des FH Campus hatten ihre Teilnahme angekündigt.

Protestmarsch in einer Erkrankungswelle

Der Protestmarsch fällt in eine Zeit, in der zu den bereits generell vorhandenen Engpässen auch noch eine Erkältungs- und eine Corona-Welle dazukommen, die sowohl das Patientenaufkommen als auch die Zahl krankheitsbedingter Ausfälle beim medizinischen Personal erhöht. Die Ärztekammer hat aber darauf hingewiesen, dass die Notversorgung jederzeit aufrechtbleibe.

Ärztekammer Protestmarsch 4. Dezember 2023 Neuer Markt
Da ein Teil der Route über den Ring verlief, der eine Stunde lang gesperrt wurde, kam es zu weitreichenden Staus.
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Die Österreichische Gesundheitskasse (ÖGK) verwies am Montag darauf, dass weiterhin ein Anstieg bei grippalen Infekten und Covid-19-Krankenständen verzeichnet wird, auch die Grippe trete vermehrt auf. In der Vorwoche gab es knapp 119.000 Krankenstände durch grippale Infekte, Grippe und Covid.

Der Start der Aktion finde nach der regulären Schließung der Spitalsambulanzen statt und sei bewusst so gewählt. Laut Stefan Ferenci, Vizepräsident der Wiener Kammer, sei ein möglicher Streik der Ärztinnen und Ärzte in der Kernarbeitszeit weiterhin eine Option, falls die Stadtpolitik den Forderungen der Ärztekammer nicht entgegenkommt. Ein Thema sei dieser aber frühestens im Frühjahr, wenn die Krankheitswellen wieder abebben.

Die Wiener Ärztekammer schätzte die Teilnehmerzahl auf rund 2000. Andere Beobachter gingen von mehreren Hundert Teilnehmerinnen und Teilnehmern aus.
IMAGO/Andreas Stroh

Die Stadt Wien hat Ende November die Zulagen für die Bediensteten in den Spitälern des Wigev erhöht. Die Maßnahmen sollen ab 1. Februar 2024 wirksam werden, insgesamt 150 Millionen Euro werden dafür zusätzlich zur Verfügung gestellt. Zulagen für Sonn- und Feiertagsdienste wurden aufgebessert, ebenso die Nachtdienstzulage sowie die Prämie für die Bereitschaft zum Einspringen für verhinderte Kolleginnen und Kollegen. Außerdem übernimmt Wien für seine Bediensteten den auf Bundesebene vereinbarten Gehaltsabschluss des öffentlichen Dienstes ab 1. Jänner 2024. Damit steigen die Gehälter zwischen 9,15 und 9,71 Prozent (bei den niedrigsten Gehältern).

Verbesserungen seien "Nebelgranate"

Die Wiener Ärztekammer bleibt aber bei ihrer massiven Kritik am Wigev und der Stadtregierung. Die Erhöhung der Zulagen oder die Einspringerprämien seien eine "Nebelgranate", sagte Vizepräsident Ferenci, der auch Obmann der Kurie angestellter Ärztinnen und Ärzte ist. Das "Minipaket" bringe keine Wertschätzung in Form marktkonformer Gehälter. Ferenci bemängelt, dass es für Hotspots wie die Zentralen Notaufnahmen (ZNA) keine Verbesserungen gibt. Auch der Lohnabschluss mit einem Plus von 9,15 Prozent sei nicht ausreichend. Es gebe "keinen Cent" mehr Grundgehalt – außer bei neu eintretenden Ärzten in Mangelfächern.

Stefan Ferenci von der Kurie der angestellten Ärztinnen und Ärzte der Ärztekammer Wien bemängelt fehlenden Respekt für die Arbeit des Gesundheitspersonals seitens des zuständigen Stadtrats Peter Hacker.
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Der Wiener Gesundheitsstadtrat Peter Hacker (SPÖ) bekräftigte in einem "Presse"-Interview am Wochenende, was er bereits mehrfach in der Vergangenheit anklingen hat lassen (zum Beispiel hier): Dass er nämlich Spitalsärztinnen die Arbeit in Kassenpraxen ermöglichen, aber die Tätigkeit in Wahlarztpraxen einschränken möchte. Die Ärztekammer bezeichnete das als "Verbotspolitik", die von den eigentlichen Problemen ablenken solle. (David Krutzler, Gudrun Springer, 4.12.2023)