Die "Zwei Sitzungen" in Peking beginnen mit einem Traditionsbruch: Am Montag verkündete ein Pressesprecher, Premierminister Li Qiang werde nicht mit Vertretern der ausländischen Presse sprechen. Es wäre dies eine der seltenen Gelegenheiten gewesen, bei denen China-Korrespondenten in Kontakt mit dem Führungspersonal der Volksrepublik kommen. Bisher war dies immer zumindest kurz am Ende der Zwei Sitzungen möglich gewesen.

Der chinesische Volkskongress
Spektakel, das seit vielen Jahrzehnten nach demselben Muster abläuft: der chinesische Volkskongress.
EPA/ANDRES MARTINEZ CASARES

Das jährliche Ereignis hat seinen Namen aufgrund der fast parallel stattfinden Jahrestagung des Nationalen Volkskongresses (NVK) und des Ausschusses der Politischen Konsultativ-Konferenz des chinesischen Volkes (PKKCV). Beide Sitzungen werden in Peking abgehalten und geben einen groben Fahrplan für die Wirtschaftspolitik des Landes. 2024 werden die Zwei Sitzungen allerdings auch noch von geopolitischen Ereignissen, insbesondere dem Ukraine-Konflikt, überschattet. Premierminister Li Qiang, der bei den Zwei Sitzungen vor einem Jahr als Nachfolger von Li Keqiang bekanntgegeben wurde, wird seinen ersten Regierungsreport vorstellen.

Wirtschaftlich ist die Volksrepublik in einer schwierigen Situation. Noch immer schwelt die Immobilienkrise. Eine Art Schuldenbremse der Regierung hatte im Sommer vor drei Jahren zahlreiche große Konzerne unter Druck gesetzt. Evergrande, das zweitgrößte Immobilienunternehmen des Landes, gilt als zahlungsunfähig. Da die Branche für rund 30 Prozent der Wirtschaftsleistung des Landes verantwortlich ist, drückt die Flaute auf die Gesamtkonjunktur.

Video: China strebt 2024 Wachstum von rund fünf Prozent an.
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Während westliche Volkswirtschaften in den vergangenen zwei Jahren vor allem mit zu stark steigenden Preisen zu kämpfen hatten, leidet China unter dem Gegenteil der Inflation: Die Preise fallen, die wirtschaftliche Aktivität lässt nach. Das offizielle Wachstumsziel war im vergangenen Jahr auf fünf Prozent festgelegt worden. Erreicht wurden wahrscheinlich nur 1,5 Prozent. Dies macht sich auch auf dem Arbeitsmarkt bemerkbar. Die Jugendarbeitslosigkeit hatte im Sommer vergangenen Jahres ein Rekordhoch erreicht. Die Regierung veröffentlichte daraufhin für einige Monate die Zahlen nicht mehr.

Auch auf dem Aktienmarkt zeigt sich die Malaise. Während insbesondere westliche Tech-Werte im vergangenen Jahr stark zulegen konnten, notieren ihre chinesischen Pendants auf dem Niveau von vor mehreren Jahren. Viele Beobachter warten deswegen mit Spannung darauf, welche Maßnahmen Qiang verkünden wird, um aus dem Konjunkturtal herauszukommen. Ein milliardenschweres Stimuluspaket wie 2010 aber gilt als unwahrscheinlich, da dieses die Verschuldung weiter in die Höhe treiben dürfte. Eher erwartet man gezielte Fördermaßnahmen in sensiblen Bereichen wie künstlicher Intelligenz. Ausländische Unternehmen hoffen auf Lockerungen des gefürchteten Anti-Spionage-Gesetzes, das selbst simple Marktforschungsanalysen unter Verdacht stellt.

Zwischen Moskau und Washington

Die wirtschaftlichen Entwicklungen des Landes aber sind enger denn je mit geopolitischen Ereignissen verknüpft. Chinas Nähe zu Moskau hat das Verhältnis zu Washington beschädigt. In der Taiwanstraße schwelt der Konflikt weiter. Die Ereignisse finden auch Ausdruck bei zwei hochrangigen Personalentscheidungen: Sowohl der Verteidigungsminister Li Shangfu als auch Außenminister Qin Gang "verschwanden" im vergangenen Jahr beziehungsweise wurden stillschweigend ihres Amtes enthoben. Bei Qin wird eine außereheliche Affäre mit einer Spionin als Grund vermutet. Bei Verteidigungsminister Li dürfte Korruption eine Rolle gespielt haben. Der Verbleib von beiden ist ungeklärt.

Xi Jinping applaudiert
Xi Jinping applaudiert – meistens sich selbst.
REUTERS/Florence Lo

Diese Woche könnten ihre offiziellen Nachfolger bekanntgegeben werden: Mit Admiral Dong Xun würde erstmals ein hochrangiger Marineoffizier Verteidigungsminister, was manche Beobachter als Statement für eine Priorisierung der Seestreitkräfte und als Vorbereitung für einen möglichen Konflikt in der Taiwanstraße sehen. Die Amtsgeschäfte von Außenminister Qin Gang hat dessen Vorgänger, der erfahrene Außenpolitiker Wang Yi, übernommen. Die Zwei Sitzungen enden am Montag in einer Woche – traditionell mit einer Pressekonferenz. Dass diese nun entfällt, zeigt auch, dass China an dem autoritär-technokratischen Kurs der vergangenen Jahre festhält – in der Hoffnung, dass dieser auch zu Wirtschaftswachstum führt. (Philipp Mattheis, 5.3.2024)