Es ist vorbei – das langsame Sterben des zweitgrößten chinesischen Immobilienkonzerns Evergrande hat ein Ende gefunden. Oder doch nicht? Die Hongkonger Richterin Linda Chan hatte am Montag festgestellt, dass es der Konzernleitung nicht gelungen sei, einen Restrukturierungsplan vorzulegen, der die Gläubiger zufriedenstellt. Aufgrund dessen ordnete sie die Liquidierung des Unternehmens an, das einen Schuldenberg von 300 Milliarden US-Dollar angehäuft hatte. Bei genauerem Hinsehen gestaltet sich die Sache aber komplizierter, und sie hat mit der Sonderrolle Hongkongs zu tun.

Hongkong, das nach der brutalen Niederschlagung der Demokratieproteste 2019 und die Installation des "Nationalen Sicherheitsgesetzes" 2020 zwar stark an Bedeutung verloren hat, ist immer noch das Finanztor zum ansonsten weitgehend hermetisch abgeriegelten Festland. Internationale Investoren kaufen hier Anleihen von Unternehmen, die vor allem in der Volksrepublik aktiv sind. Genau diese sollen nun entschädigt werden – mit Vermögenswerten, die sich auf dem Festland befinden. Die große Frage ist nun, inwieweit Peking dem Urteil der Hongkonger Richter nachkommt, um internationale Anleger zu entschädigen.

Menschen gehen an einem Wohnkomplex der Evergrande-Gruppe namens Evergrande Palace in Peking vorbei.
Nicht nur in China sorgte das Schicksal des zweitgrößten Immobilienkonzerns immer wieder für eine Zitterpartie, auch global fürchtete man eine Pleite.
AFP/PEDRO PARDO

Die Prioritäten Pekings aber sind relativ klar: Es geht darum, einen Flächenbrand zu verhindern, die angeschlagene Baubranche wieder auf Kurs zu bringen – und darum, um ihre Ersparnisse geprellte Hauskäufer zu entschädigen. Zwar ist man auf dem Festland aktuell auch darum bemüht, das Vertrauen internationaler Anleger nach einer Börsentalfahrt zurückzugewinnen. Sogenannte Offshore-Gläubiger aber dürften sich eher hinten anstellen müssen. Peking hat in den vergangenen zweieinhalb Jahren Staatsunternehmen dazu angehalten, Sicherheiten des Konzerns aufzukaufen.

Angst vor der Pleite

Nicht nur in China sorgte das Schicksal des Immobilienkonzerns immer wieder für eine Zitterpartie. Auch global fürchtete man, die Pleite von Evergrande könnte eine neue Finanzkrise auslösen. Von einem "chinesischen Lehman-Moment" war immer wieder die Rede. Die Ängste waren stets übertrieben und ließen außer Acht, dass das chinesische Finanzsystem vom Rest der Welt relativ stark isoliert ist. Chinesische Millionäre und Milliardäre wissen ein Lied davon zu singen, wie schwer es ist, Vermögen legal ins Ausland zu transferieren. Kapitalverkehrskontrollen überwachen die Geldströme.

Vielleicht ist die endgültige Abwicklung des Konzerns auch der Auftakt zur lange erwarteten Trendwende in China. Zahlreiche Analysten waren eigentlich von einer fulminanten Erholung der chinesischen Wirtschaft Anfang 2023 ausgegangen. Die rigorose Zero-Covid-Politik war in einem überraschenden U-Turn beendet worden, und man erwartete eine rasante Aufholjagd, insbesondere im Servicesektor. Doch dazu kam es nicht. Das Wirtschaftswachstum war zwar mit fünf Prozent stabil, aber Impulse gingen von China nicht aus. Die Börse fiel gar auf ein Fünfjahrestief, während im Westen die Kurse stiegen.

Wichtiges Wachstum

Vergangene Woche reduzierte die chinesische Zentralbank die Mindesteinlage für Banken, was Liquidität freisetzt. Zinssenkungen könnten alsbald folgen. Für die Partei ist Wirtschaftswachstum auch überlebenswichtig. Gerade die Jugendarbeitslosigkeit war in den vergangenen zwei Jahren stark gestiegen. Im Juli vergangenen Jahres entschloss sich die nationale Statistikbehörde, die Zahlen gar nicht mehr zu veröffentlichen. Nach einer sechsmonatigen Pause gibt es die Zahlen wieder – in einer geschönten Version. Die Baubranche ist für rund 30 Prozent der chinesischen Wirtschaftsleistung verantwortlich. Von ihr gehen auch starke Wachstumsimpulse für die internationalen Rohstoffmärkte und die globale wirtschaftliche Aktivität aus. (Philipp Mattheis, 30.1.2024)