Wiedehopf Kannibalismus
Der Wiedehopf ist prächtig gefiedert, genießt aber nicht den besten Ruf.
IMAGO/imageBROKER/Thomas Hinsche

In Ovids "Metamorphosen" kommt der Wiedehopf in einer der grausamsten Geschichten vor: Nachdem König Tereus seine Schwägerin Philomela brutal vergewaltigt und ihr die Zunge herausgeschnitten hat, rächt sich die Vergewaltigte, indem sie mit ihrer Schwester, der Gattin von Tereus, deren gemeinsamen Sohn Itys zerstückelt und dem König als Essen vorsetzt. Um weitere Gewaltexzesse zu vermeiden, wird Tereus von Zeus in einen Wiedehopf, Philomela in eine Schwalbe und ihre Schwester in eine Nachtigall verwandelt. Die Wiedehopf-Verwandlung wird damit begründet, dass sein Schnabel einem Schwert gleiche.

Auch sonst hat dieser Vogel in der Literatur eher eine schlechte Nachrede. Er gilt als sündhaft, weil sein Nest unsauber und sein Geruch unangenehm sei. Wegen seines prächtigen Federkleids samt charakteristischer Punk-Krone gilt der "Stinkevogel" zudem als Sinnbild des Hochmuts. Eine wissenschaftliche Basis haben diese (Vor-)Urteile nur zum Teil. Und Manfred Eckenfellner, der wesentlich zur Wiederansiedlung des Wiedehopfs am Wagram bei Grafenwörth beigetragen hat, hält Upupa epops – so der dem Wiedehopfruf nachempfundene wissenschaftliche Name des Vogels – sogar für einen ausgesprochen friedfertigen Geist, wie "Falter"-Vogelwart Klaus Nüchtern berichtet.

Eher Ovid als Eckenfellner

Zumindest was die Aufzucht der Jungvögel angeht, scheint die Wahrheit aber eher bei Ovid als bei Eckenfellner zu liegen, und zwar inklusive innerfamiliärem Kannibalismus. Wie eine neue Studie berichtet, verfüttert der Vogel jüngere Küken einfach an ältere, und das noch dazu besonders brutal: Die langen gebogenen Schnäbel sind nämlich nicht ideal zum Töten und Zerstückeln von Küken, weshalb Wiedehopfmütter ein kleines Küken als Ganzes einfach in das Maul eines größere Geschwisterchens schieben, von dem es dann verschluckt wird.

Nesting birds – Eurasian hoopoe (Upupa epops)
Lukáš Pich

Ornithologinnen und Ornithologen haben Geschwistermord bereits bei etlichen Vogelarten beobachtet – etwa beim Fischadler oder Blaufußtölpel. Aber dass Küken ihre Geschwister fressen, komme laut bisherige Untersuchungen nur sporadisch vor, erklärt der spanische Ökologe Juan José Soler (CSIC und Universität Granada) im Wissenschaftsmagazin "Science". Der Forscher hatte allerdings bereits in einer rezenten Studie zeigen können, dass Wiedehopfmütter recht häufig jüngere Küken an ältere Küken verfüttern. Er vermutete, dass die Vögel zusätzliche Eier in der Absicht legen, die jüngeren Jungtiere absichtlich als Nahrung für die Geschwister zu verwenden – und ging dieser Hypothese gemeinsam mit seiner Doktorandin María Dolores Barón und zwei weitere Forschenden nach.

Klassisches Studiendesign

Für ihre neue Studie untersuchten sie Wiedehopfe, die in Nistkästen in der Gegend von Granada in Südspanien brüten. Die Forschenden teilten zunächst die Nistkästen und die dazugehörigen Wiedehopfpaare in zwei Gruppen auf. Dann versorgten sie eine Gruppe der brütende Vögel mit zusätzlicher Nahrung (25 tote Grillen pro Tag), während die zweite Gruppe nicht gefüttert wurde. Das Team behielt auch im Auge, wann die Eier schlüpfen sollten. Auf diese Weise konnten sie die Eier von einigen Nestern in andere umlegen, wo die transferierten Küken einen Tag später als die letzten Küken der angestammten Brut schlüpfen würden. Damit wollten die Forschenden klären, ob das Hinzufügen eines Eies das nächstältere Küken vor Kannibalismus schützt.

Wie die Forschenden in der April-Ausgabe des Fachblatts "The American Naturalist" berichten, legten jene Weibchen, die zusätzliche Nahrung erhielten, im Durchschnitt ein Ei mehr als jene, die keine Extragrillen bekamen. Darüber hinaus war die Zahl der kannibalisierten Küken in den Nestern höher, die ein zusätzliches Ei erhielten. Tatsächlich wurden alle Küken, die aus einem transferierten Ei schlüpften, am Ende aufgefressen. Zudem wurde aber auch das nächstältere Küken kannibalisiert.

Küken als lebender Proviant

Die Schlussfolgerunge der Forschenden: Wiedehopfe legen absichtlich zusätzliche Eier, wenn während der Eiablagezeit reichlich Nahrung vorhanden ist. Diese zusätzliche Nahrung wird dann quasi in Form eines zusätzlichen Eis "konserviert": Die Küken, die aus diesen Eiern schlüpfen, dienen als "Proviant" für ältere Geschwister, was deren Überlebenschancen verbessert. In der Zoologie konnte ein solches Verhalten zwar bereits für Marienkäfer oder Sandtigerhaie bestätigt werden. Der Wiedehopf ist aber das erste Wirbeltier, das einerseits einen erheblichen Teil seiner Energie in die Pflege seiner Jungen investiert – und andererseits trotzdem einige der Nestlinge zum Kannibalismus freigibt. (tasch, 19.3.2024)