Als vor 74.000 Jahren der Supervulkan Toba in die Luft flog, hatte das selbst für die junge Menschheit im fernen Afrika einschneidende Auswirkungen. Der Ausbruch im Norden der indonesischen Insel Sumatra gilt als heftigste vulkanische Eruption der vergangenen zwei Millionen Jahre. Tausende Kubikkilometer Material spie der Toba damals aus, große Mengen an Schwefelgasen und feinste Asche sorgten für einen globalen Winter, und die weltweite Durchschnittstemperatur sank vorübergehend um 3 bis 5 Grad Celsius.

Die Folgen dieser Katastrophe hätten sogar dazu geführt, dass Homo sapiens beinahe ausgestorben wäre, so zumindest lautete eine mittlerweile weitgehend widerlegte Theorie. Neuere Funde und Studienergebnisse weckten jedenfalls starke Zweifel daran, ob der Bevölkerungsrückgang damals tatsächlich so dramatisch war wie zuvor angenommen. Außer Frage steht freilich, dass Klimaveränderungen nach dem Toba-Ausbruch das Leben der Menschen nachhaltig beeinflusst haben.

Die Fundstätte Shinfa-Metema 1 im Nordwesten Äthiopiens. Als vor 74.000 Jahren nach dem Toba-Ausbruch das Klima hier trockener wurde, mussten sich die Menschen der Region nach neuen Nahrungsquellen umschauen.
Foto: John Kappelman

Neue Nahrungsquellen

Vielleicht halfen die neuen Umstände Homo sapiens sogar bei der Eroberung der Welt. Das zumindest schloss ein Team um John Kappelman von der University of Texas, Austin, aus jüngsten Untersuchungen in Äthiopien: Die zunehmende Trockenheit im Gefolge des Toba-Eruption zwang die Menschen dazu, neue Nahrungsquellen zu erschließen, deren Nutzung ihnen womöglich den Weg nach Osten in Richtung Asien geebnet hat.

In den vergangenen rund 200.000 Jahren schickte sich der moderne Mensch mehrmals unabhängig voneinander an, seine afrikanische Urheimat zu verlassen. Es gibt Hinweise darauf, dass er dabei vor etwa 80.000 Jahren sogar bis nach China gekommen ist und auf dem Weg dorthin auch seinem bereits früher ausgewanderten Vorfahren Homo erectus begegnete. Doch praktisch alle diese ersten Auswanderungswellen versiegten und hinterließen keine Spuren in den Genomen der modernen Europäer und Asiaten.

Die letzte Welle

Erst der jüngsten Welle vor weniger als 100.000 Jahren war nachhaltiger Erfolg beschieden. Einige Fachleute gehen von der Hypothese aus, dass sich diese Ausbreitung auf "grüne Korridore" beschränkte, die sich in feuchten Perioden bildeten. Die dort im Überfluss vorhandene Nahrung erlaubte es demnach den menschlichen Populationen, sich langsam über Indien weiter in den Osten vorzuarbeiten.

Die Fundstelle Shinfa-Metema 1 (SM1) liegt im äthiopischen Tiefland unweit des Blauen Nils.
Grafik: topographic-map.com/Open Database License

Doch die nun im Fachjournal "Nature" präsentierte Studie legt nahe, dass sich die Menschen auch in trockenen Perioden entlang von saisonalen Flüssen ausgebreitet haben könnten. Die Gruppe um Kappelman fand Hinweise dafür am Horn von Afrika. Zugleich untermauern die Ergebnisse die Annahme, dass der frühe moderne Mensch nach dem Ausbruch des Toba in Afrika keineswegs in seiner Existenz bedroht war. Im Gegenteil: Gerade diese Flexibilität, die im Zuge der vulkanischen Klimaveränderungen das Überleben sicherte, half Homo sapiens bei der Auswanderung aus Afrika.

"Diese Studie bestätigt die Ergebnisse von Pinnacle Point in Südafrika – der Ausbruch des Toba mag die Umwelt in Afrika verändert haben, aber die Menschen haben sich angepasst und diesen eruptionsbedingten Wandel überlebt", sagte Curtis Marean, Ko-Autor der Arbeit, von der Arizona State University. Seine Erkenntnisse zog das Team aus der Untersuchung der Fundstelle Shinfa-Metema 1 im Tiefland des heutigen nordwestlichen Äthiopien entlang des Shinfa-Flusses, eines Nebenflusses des Blauen Nils.

Winzige Glassplitter

Der Ausbruch des Toba ereignete sich, als dieser Ort bereits lange Zeit von Menschen besiedelt war. Das schlossen die Wissenschafterinnen und Wissenschafter aus winzigen Fragmenten von vulkanischem Glas, das dort in den entsprechenden Fundschichten entdeckt wurde und aufgrund seiner chemischen Zusammensetzung mit der Toba-Eruption in Verbindung gebracht werden kann. Weil diese zwischen 80 und 20 Mikrometer kleinen Bruchstücke nahezu unsichtbar sind, nennen Vulkanologen die Teilchen Kryptotephra. Bei einem Vulkanausbruch werden diese Partikel je nach Windverhältnissen bis zu mehrere Tausend Kilometer vom Krater fortgetragen.

Das Fragment von vulkanischem Glas ist kleiner als der Durchmesser eines menschlichen Haares. Die als Kryptotephra bezeichneten Partikel stammen vom Ausbruch des Supervulkans Toba auf der anderen Seite der Welt.
Foto: Racheal Johnsen

Die Identifizierung dieser mikroskopisch kleinen Glasscherben aus archäologischen Sedimenten erfordert viel Geduld und ist eine mühselige Angelegenheit. "Die Suche nach Kryptotephra an den archäologischen Stätten ist wie die Suche nach der Nadel im Heuhaufen", sagte Christopher Campisano, ebenfalls von der Arizona State University. Doch der Aufwand lohnt sich, immerhin erlauben es diese Partikel den Forschenden, Fundschichten praktisch wochengenau mit anderen womöglich tausende Kilometer entfernten Fundstätten zeitlich abzugleichen.

Toba vertrieb die Menschen nicht

Aus der Kryptotephra-Datierung in Kombination mit Isotopenanalysen von fossilen Säugetierzähnen und Schalen von Straußeneiern schlossen die Forschenden schließlich, dass die Fundstelle Shinfa-Metema 1 nach dem Toba-Asbruch klimatisch austrocknete. Wahrscheinlich war die Region in dieser Ära mit den heutigen saisonal trockenen Lebensräumen in Ostafrika weitgehend vergleichbar. Der Besiedelung durch Menschen tat dies offenbar keinen Abbruch: Obwohl die dortige Bevölkerung mit langen Trockenzeiten zu kämpfen hatte, fand sie Mittel und Wege, sich an die neuen Gegebenheiten anzupassen.

Nachdem beispielsweise die Flüsse saisonal trocken fielen und zu einer Kette von Tümpeln verkamen, gingen die Jäger und Sammler allmählich dazu über, vor allem jenen Tieren nachzustellen, die sich an den verbleibenden Wasserlöchern zum Trinken versammelten. Die archäologischen Funde belegen, dass die Bewohner der Fundstätte Shinfa-Metema 1 eine Vielzahl unterschiedlicher Landtiere erlegten. Offenbar kochten sie auch ihre Mahlzeiten, wie Hinweise auf kontrolliertes Feuer an der Fundstelle zeigen. Die markantesten Steinwerkzeuge sind kleine, symmetrische dreieckige Spitzen. Analysen zeigen, dass es sich bei den Spitzen höchstwahrscheinlich um Pfeilspitzen handelt. Damit könnten hier sogar die mit einem Alter von 74.000 Jahren ältesten Belege für das Bogenschießen vorliegen.

74.000 Jahre alte Projektile von der äthiopischen Fundstelle Shinfa-Metema 1. Die Forschenden gehen davon aus, dass es sich um Pfeilspitzen handelt.
Foto: Blue Nile Survey Project

Auch als die Wasserlöcher schrumpften, zogen die Menschen Nutzen aus dieser Entwicklung, indem sie Fische fingen, die sie nun in den seichten Tümpeln ohne spezielle Ausrüstung leichter erwischen konnten. Überhaupt dürfte sich die Ernährung im Zuge dieser Ereignisse mehr in Richtung Fisch verlagert haben, meinen die Forschenden.

Flüsse als Wanderkorridore

Schließlich könnten die zunehmende Trockenheit und das Verschwinden von Wasserlöchern die Menschen auch dazu veranlasst haben, auf der Suche nach neuen Nahrungsgründen in andere Gebiete zu ziehen. "Wenn die Nahrung in und um ein bestimmtes Wasserloch in der Trockenzeit zur Neige ging, waren die Menschen wahrscheinlich gezwungen, zu neuen Wasserlöchern zu ziehen", sagte Kappelman. Die nur saisonal fließenden Flüsse fungierten somit gleichsam als "Pumpen", die die Populationen entlang der Kanäle von einem Wasserloch zum nächsten trieben, was möglicherweise auch die Ausbreitung über große Distanzen hinweg gefördert hat.

Es ist zwar unwahrscheinlich, dass die Menschen, die in Shinfa-Metema 1 lebten, zu jener Gruppe zählten, die Afrika verließ. Ihre Flexibilität bei der Anpassung an veränderte Ressourcenverfügbarkeit half ihnen jedoch maßgeblich dabei, sich an schwierige klimatische Bedingungen nach dem Toba-Superausbruch anzupassen. Kappelman und sein Team sehen darin eine Schlüsseleigenschaft der Menschen der Mittelsteinzeit, die es unserer Spezies letztlich ermöglichte, Afrika zu verlassen und sich über den gesamten Globus auszubreiten. (Thomas Bergmayr, 20.3.2024)