Sobald man die Teenagerjahre hinter sich gelassen hat, beginnt der Körper auch schon wieder zu altern. Bereits mit 20 Jahren zeigen sich die ersten Spuren des langsamen Verfalls, wie Forschende des Max-Planck-Instituts für Biologie des Alterns berichten: Die ersten Fältchen entstehen, das Hörvermögen lässt nach, eine gute Ausdauer muss immer härter erarbeitet werden.

Warum das so ist und was beim Alterungsprozess in unserem Körper vorgeht, rückte in den vergangenen Jahren stärker in den Fokus der Wissenschaft, nicht zuletzt, weil die Gesellschaft im Durchschnitt älter wird. Es ist ein weites Forschungsfeld, denn wir altern und regenerieren uns auf den unterschiedlichsten Ebenen – einige Zellen verzichten sogar völlig auf eine Erneuerung. Die Nervenzellen (Neuronen) im menschlichen Gehirn beispielsweise können so alt sein wie der Mensch, der sie im Kopf beherbergt, und müssen dabei ein Leben lang funktionieren.

MRI, Gehirn
Magnetresonanztomografie (MRT) eines menschlichen Gehirns. Dass die Zellen in unserem Denkapparat ein Leben lang mehr oder weniger tüchtig ihre Arbeit verrichten, liegt unter anderem an langlebigen RNA-Molekülen.
Foto: AFP/ALAIN JOCARD

Risiko für neurodegenerative Krankheiten

Martin Hetzer, Präsident des Institute of Science and Technology Austria (ISTA), hat sich auf diese Zellen spezialisiert. Was ihn umtreibt, ist die Frage, wie es die Nervenzellen schaffen, ohne Erneuerung über so lange Zeit hinweg ihre so wichtigen Aufgaben zu erfüllen. Das ist durchaus auch von praktischer Bedeutung, denn dieses bemerkenswerte Alter der Neuronen könnte ein wichtiger Risikofaktor für neurodegenerative Störungen wie die Alzheimer-Krankheit sein. Will man diese Art von Erkrankungen in den Griff bekommen, ist ein tieferes Verständnis dafür nötig, wie Nervenzellen funktionieren. Diese Forschungen liefern letztlich die Grundlage dafür, den Alterungsprozessen der Neuronen therapeutisch entgegenzuwirken.

Ein wesentlicher Schritt auf diesem Weg ist Hetzer mit seinem Team gelungen. Seine im Fachjournal "Science" veröffentlichte Studie zeigt zum ersten Mal bei Mäusen, dass genomschützende RNA in Kernen von Nervenzellen – eine essenzielle Gruppe von Molekülen, die für verschiedene biologische Prozesse innerhalb der Zelle wichtig sind – das ganze Leben hindurch stabil bleiben kann. Diesen Schlüsselmolekülen kommt demnach für die Aufrechterhaltung der Zellfunktionen eine große Bedeutung zu.

Alte DNA

Auch im Inneren von Zellen gibt es Bestandteile, die ständig erneuert werden, während andere ihr ganzes Leben lang gleich bleiben. Die DNA im Zellkern ist beispielsweise so alt wie der Organismus selbst. "Die DNA in unseren Nervenzellen ist identisch mit der DNA in den sich entwickelnden Nervenzellen im Mutterleib", erklärte Hetzer.

Im Gegensatz dazu ist die RNA, insbesondere die Boten-RNA (mRNA), die auf der Grundlage der DNA-Informationen Proteine bildet, deutlich vergänglicher. Eine andere Variante, die sogenannte nicht codierende RNA, bringt keine Proteine hervor, sondern verrichtet andere Aufgaben, die zur Gesamtorganisation und Funktion der Zelle beitragen. Deren Lebensspanne blieb bisher ein Rätsel.

Querschnitt, Mäusegehirn, RNA, DNA
Das Bild zeigt einen Querschnitt durch ein einjähriges Mausgehirn. RNA ist durch graue (EU; 5-Ethynyluridin), DNA durch blaue (DAPI) Färbung gekennzeichnet.
Foto: Zocher et al./Science

Um dieses Geheimnis zu lüften, hat die Gruppe um Hetzer einen genauen Blick auf die RNA in Mäusegehirnen geworfen. Die Forschenden kennzeichneten dafür die RNA in den Gehirnen neugeborener Mäuse mit einer speziellen Substanz. "Für diese Markierung verwendeten wir RNA-Analoga – strukturell ähnliche Moleküle – mit kleinen chemischen Haken, die fluoreszierende Moleküle an die eigentlichen RNAs anklicken", sagte Hetzer.

Ein Leben lang stabil

Dies verhalf den Wissenschaftern zu aussagekräftigen mikroskopischen Schnappschüssen zu jedem beliebigen Zeitpunkt im Leben der Mäuse. Die Analysen ermöglichten es ihnen schließlich, die RNA-Moleküle während des gesamten Lebens einer Maus zu quantifizieren und ihre Position zu bestimmen. Während der Mensch eine durchschnittliche Lebenserwartung von etwa 70 Jahren hat, beträgt die typische Lebensspanne einer Maus zweieinhalb Jahre. Nach einem Jahr war die Konzentration der langlebigen RNAs im Vergleich zu Neugeborenen leicht reduziert. Aber auch nach zwei Jahren waren sie noch nachweisbar, was auf eine lebenslange Persistenz dieser Moleküle hindeutet.

Mehr noch: Offenbar war diese langlebige RNA essenziell für die Langlebigkeit der gesamten Zelle. Das Team fand heraus, dass langlebige RNA in Neuronen sich sowohl aus mRNAs und aus nicht-kodierenden RNAs zusammensetzt und sich in der Nähe des Heterochromatins ansammelt – eine dicht gepackte Region des Genoms, die typischerweise inaktive Gene beherbergt. Als Nächstes untersuchten die Forschenden die Funktion der langlebigen RNAs.

ISTA, Martin Hetzer
Martin Hetzer, ISTA-Präsident und Molekularbiologe, spürt mit seinem Team den Geheimnissen rund um die Alterungsprozesse im menschlichen Körper nach.
Foto: ISTA

Stabilitätsverlust und Zelltod

Bei den In-vitro-Experimenten mit neuronalen Vorläuferzellen stellte sich heraus, dass eine zu geringe Menge an langlebigen RNAs zu Problemen in der Heterochromatin-Architektur führte. Die Folgen waren teilweise dramatisch: Dadurch war nämlich die Stabilität des genetischen Materials nicht mehr gewährleistet, was schließlich die Lebensfähigkeit der Zellen insgesamt beeinträchtigte – ein Beweis dafür, dass die langlebigen RNAs für die lange Lebensdauer der Nervenzellen und die dauerhafte Regulierung der Genomstabilität eine entscheidende Rolle spielen.

"Die lebenslange Aufrechterhaltung der Zelle während des Alterns erfordert ein verlängertes Leben von Schlüsselmolekülen wie den langlebigen RNAs, die wir gerade identifiziert haben", sagte Hetzer hinzu. Wie das im Detail abläuft, ist freilich immer noch weitgehend unklar. "Zusammen mit noch nicht identifizierten Proteinen bilden langlebige RNAs wahrscheinlich eine stabile Struktur, die irgendwie mit dem Heterochromatin interagiert." Künftige Untersuchungen sollen die fehlenden Puzzlestücke liefern, um die genauen Mechanismen zu entschlüsseln. (tberg, red, 6.4.2024)