Wir stehen auf einem Hügel im Kampwald bei Bad Mitterndorf im steirischen Salzkammergut. Wohin man blickt Bäume, nach Süden ein steiler Felsabbruch, darunter liegt die Trasse der Eisenbahn, die von Stainach/Irdning nach Bad Aussee führt. Hier, an dieser Stelle, wurden vor wenigen Jahren 575 römische Silbermünzen gefunden, zusammen mit einem Eisenring und einem menschlichen Fingerglied. Wie kamen die Münzen hierher, und welche Schlüsse kann die Archäologie aufgrund der Indizien ziehen? Wir begeben uns auf eine Spurensuche.

Die Stelle des Schatzfundes im Kampwald bei Bad Mitterndorf (roter Pfeil). Im Hintergrund links ist der Dachstein zu sehen.
W. Otte

Das Salzkammergut in römischer Zeit

Hallstatt und das Salzkammergut standen seit der Bronzezeit für Gewinnung von Rohstoffen im Mittelpunkt menschlichen Interesses. Unter teils sehr widrigen klimatischen und naturräumlichen Bedingungen trieb man den Salzabbau, aber auch die Exploitation von Erzen wie Kupfer oder Eisen voran. Die Bedeutung dieser Ressourcen ist zwar auch in römischer Zeit unbestritten, dennoch fehlten bislang viele Hinweise für die systematische Erschließung des Salzkammerguts vom ersten bis in das vierte Jahrhundert nach Christus. In einem neuen, vom Österreichischen Forschungsfond FWF finanzierten Projekt sollen diese Aspekte nun aufgerollt und interpretiert werden.

Aus der Region Hallstatt / Bad Aussee / Bad Mitterndorf wurden bis dahin über 1400 Funde geborgen, die auf Aktivitäten in römischer Zeit schließen lassen. Von besonderer Bedeutung sind dabei über 800 sogenannte Hipposandalen, die man als Hufschutz von Maultieren, Ochsen und Pferden verwendete. Das Verteilungsmuster der Fundorte von Hipposandalen erlaubt es, die antiken Wege im alpinen Raum nachzuvollziehen. Weitere Funde bezeugen einzelne kleinere Siedlungen, Straßenstationen und die Stationierung von Militär im Salzkammergut.

Der Fund einer fragmentierten Hipposandale (Vorderteil) aus Eisen (links); Hipposandalen aus dem Salzkammergut (rechts).
S. Groh, ÖAW/ÖAI; Archäologische Arbeitsgemeinschaft Salzkammergut

Der Ausgangspunkt für das Forschungsprojekt war jedoch die Auffindung eines Silberschatzes, der im Umfeld einer römischen Wegtrasse deponiert wurde. Die Trasse selbst konnte bei geophysikalischen Messungen in diesem Gebiet erkannt werden. Sie führte von Bad Aussee beziehungsweise der römischen Siedlung in Pichl-Kainisch zum Grimming und an seiner Nordflanke vorbei bis in das Ennstal.

Der Silberschatz im Kampwald

Der Silberschatz wurde dermaßen vorgefunden, als hätte man die Münzen in einem Sack oder Beutel mit sich geführt und den Hang hinunter ausgestreut. Üblicherweise deponierte man römische Münzschätze in Gefäßen und verbarg sie in einer Grube, um sie nach zum Beispiel kriegerischen Ereignissen wieder zur Verfügung zu haben. Im Fall des Silberschatzes aus dem Kampwald verhält es sich jedoch anders. Das Verteilungsmuster der einzelnen Münzen zeigt nämlich, dass sie in ihrer Lage dem natürlichen Untergrund, dem felsigen Waldboden, folgten. Wie ausgestreut erstrecken sie sich linear hangabwärts, der Großteil an Münzen kam in einer natürlichen Senke zu liegen.

3D-Visualisierung des Silberschatzfundes im Kampwald – die roten Punkte stellen einzelne Münzen dar.
S. Groh, ÖAW/ÖAI

Die 575 Silbermünzen waren zum überwiegenden Teil prägefrisch, das heißt nicht lange im Umlauf, woraus die Numismatikerin Ursula Schachinger schließt, dass es sich um den Teil einer Soldzahlung römischer Legionäre handeln dürfte. Einige Münzen wiesen auch Brandspuren auf, was als Indiz dafür gewertet werden kann, dass sie ursprünglich in einer Holzkassette aufbewahrt einem Schadfeuer ausgesetzt gewesen waren. Die Summe von umgerechnet 701 Denaren, die sich im Kampwald ausgestreut fand, entspricht einem halben Jahresgehalt eines Legionssoldaten. Die jüngsten Münzen datieren den Zeitpunkt, zu dem der Silberschatz niedergelegt worden ist, nämlich in die Regierungszeit des Kaisers Gordianus III (238–244 n. Chr.), wahrscheinlich in das Jahr 243 oder 244 n. Chr.

Prägefrische Silberdenare aus dem Schatz.
U. Schachinger, ÖAW/ÖAI

Zusammen mit den Münzen fanden die Archäolog:innen lediglich einen Eisenring und ein knöchernes Fingerglied. Derartige Ringe wurden als Rangabzeichen römischer Offiziere verwendet. Das Fingerglied kann, einer anthropologischen Analyse von Michaela Binder folgend, einem etwa 30-jährigen Individuum zugewiesen werden. Die Fundlage indiziert, dass sich das Fingerglied samt Ring zusammen mit den Münzen in einem Sack oder Beutel befunden haben müssen.

Die Indizienkette und Rekonstruktion eines Verbrechens

Die Indizien erlauben die Rekonstruktion eines Verbrechens, das vor 1780 Jahren stattgefunden haben muss. Damals erreichte eine frische Soldlieferung von Rom aus Noricum, mit der die Legionäre der in Enns (Lauriacum) beheimateten legio II Italica bezahlt werden sollten. Einige dieser Legionssoldaten waren im heutigen Salzkammergut stationiert, wohl um die Lagerstätten und deren Erschließung beziehungsweise das Wegenetz zu bewachen. Das Salz war für die Versorgung der Soldaten und der Bevölkerung von immenser Bedeutung, erlaubte es neben dem Würzen von Speisen doch vor allem die Haltbarmachung von Lebensmitteln. Im Raum Pichl-Kainisch dürfte sich ein Wachtposten befunden haben, der überfallen und beraubt wurde. Der oder die Räuber hatten einerseits ausgezeichnete Kenntnisse von der lokalen Infrastruktur und wussten andererseits auch genau Bescheid, wann "frisches Geld" geliefert wurde.

Knöchernes Fingerglied samt Ring aus dem Silberschatzfund vom Kampwald.
N. Gail, ÖAW/ÖAI

Der Überfall dürfte sich in einem Wachtposten ereignet haben, in dessen Zuge wohl ein Holz- oder Fachwerkgebäude niedergebrannt und Münzen aus einer in Mitleidenschaft gezogenen Holzkassette entwendet wurden. Der oder die Räuber stahlen jedoch nicht nur die Münzen, sondern entwendeten auch das militärische Kennzeichen, den eisernen Fingerring. Das Opfer, ein römischer Offizier, dem der Finger abgeschnitten wurde, dürfte dabei wohl nicht mehr am Leben gewesen sein. Die oder der Verbrecher flüchteten von Pichl-Kainisch in Richtung Grimming, sie wollten offensichtlich auf der Römerstraße oder durch die Salzaschlucht in das Ennstal gelangen. Der Überfall blieb aber nicht unbemerkt, die Indizien sprechen für eine Verfolgung des oder der Banditen bis in den Kampwald, wo sie sich des Raubguts hastig entledigt haben müssen.

Wie ging diese Geschichte aus? Wir wissen es nicht. Tatsache ist, dass der oder die Diebe nicht mehr an den Ort zurückkehren konnten, wo sie sich des Schatzes entledigt hatten. Dies könnte als Indiz dafür gewertet werden, dass sie die Verfolgung entweder nicht überlebten oder aber flüchteten und nicht mehr in die Region zurückkehren konnten. Vielleicht fanden sie aber auch einfach die Stelle nicht mehr, wo sie hastig die Münzen ausgestreut hatten. Offensichtlich bemerkten aber auch die Verfolger nicht, dass und wo die Münzen weggeworfen wurden.

Die Präsentation des Schatzfundes im Rahmen der Ausstellung "Mensch, Welt und Ding" in Schloss Trautenfels.
S. Groh, ÖAW/ÖAI

Nach 1780 Jahren können wir aber nun diesen Silberschatz erstmals wieder betrachten. Er ist Teil der Ausstellung "Mensch, Welt und Ding" des Universalmuseums Joanneum im Schloss Trautenfels, wo die Münzen und der Fingerring einer breiten Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Der wahre Wert des Schatzes ist jedoch nicht in seinem Silbergewicht, sondern in seiner historischen Aussage über die Bedeutung der Region und ihrer Bodenschätze für das Römische Reich zu suchen. Daneben darf man nie vergessen, dass sich hinter archäologischen Fundstücken immer Schicksale von Menschen verbergen. Und auf die Spurensuche nach diesen oft tragischen Schicksalen führten uns unsere Forschungen im Salzkammergut. (Stefan Groh, 15.4.2024)