Die Seilbahn ist heute Teil des Verkehrsnetzes von Bogotá
In Kolumbiens Hauptstadt Bogotá hat Doppelmayr den zuvor schlecht erreichbaren Bezirk Ciudad Bolívar mit einer Seilbahn angebunden. Sie kann mit demselben Ticket benutzt werden wie andere öffentliche Verkehrsmittel.
Doppelmayr

Eine Seilbahn für Wien? Dieser pinke Traum scheint geplatzt. Im Wiener Regierungspakt von SPÖ und Neos findet sich auf Betreiben des Juniorpartners zwar die Vision, dass eine Stadtseilbahn zwischen den Bahnhöfen Hütteldorf und Ottakring gleiten und so das Otto-Wagner-Areal in Penzing besser mit dem Rest der Stadt verbinden könnte. Eine Studie im Auftrag der MA 18 für Mobilitätsstrategien kam nun aber zum Ergebnis, dass Straßenbahnen und Busse sich in Wien besser zur Erweiterung des öffentlichen Verkehrs eigneten, DER STANDARD berichtete. Die Studie beschied auch einer zweiten Seilbahnidee für Wien, einer Linie zwischen Hauptbahnhof und Busbahnhof, teilweise entlang der Südosttangente, wenig Sinn.

Grundsätzlich stehen Städte weltweit aber vor ähnlichen Problemen: Sie wachsen rasant. Die Entwicklung stellt Stadtverwaltungen vor immense Aufgaben, nicht nur beim Wohnen, auch beim Verkehr. Schließlich ist Boden knapp und teuer. Vielerorts gelten urbane Seilbahnen daher nicht mehr nur als Transportmittel zu touristischen Sehenswürdigkeiten – in einigen Metropolen sind sie buchstäblich zu den neuen Stützen im Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) geworden. Schließlich kann man in einer Seilbahn Gebäude, Flüsse, Bahntrassen und andere Hindernisse schwebend überwinden.

Gleiten statt streiten

Die beiden Unternehmen, die sich dabei einen globalen Wettlauf um neue Aufträge liefern, sind Doppelmayr aus Vorarlberg und die Firmengruppe HTI, zu der der Südtiroler Seilbahnbauer Leitner gehört. "Stau, Hektik und verstopfte Straßen kennt die Seilbahn nicht", wirbt Doppelmayr um die Gunst von Kommunen. Frei nach dem Motto: oben gleiten statt unten streiten.

Doppelmayr realisiert derzeit zwei Seilbahnen in Mexiko, zwei in Kolumbiens Hauptstadt Bogotá und eine weitere in Santiago de Chile. Die Projekte in Mexiko und Kolumbien sollen Stadtteile besser anbinden, sie dienen also als Zubringer. In Chiles Hauptstadt Santiago bauen die Vorarlberger hingegen einen 3,4 Kilometer langen Lückenschluss im dortigen Verkehrsnetz.

Eine Stadtseilbahn von Poma in Ecuador
In Ecuador hat die Leitner-Schwesterfirma Poma eine Seilbahn gebaut, die die Wirtschaftsmetropole mit der kleineren Nachbarstadt Durán verbindet.
Leitner AG

Gondeln gegen Ghettos

Lateinamerika ist schon länger Schauplatz für besonders kühne und große Seilbahnprojekte. Über La Paz, der Hauptstadt Boliviens, spannt sich mit mehr als 30 Kilometer Länge das größte Seilbahnnetz der Welt, ebenfalls ein Prestigeprojekt von Doppelmayr. Als beispielhaft gilt auch die Seilbahn von Medellín in Kolumbien. Im Jahr 2004 wurde dort die erste Hochbahn eröffnet, inzwischen wurden zusätzliche Linien errichtet – und Armenviertel in den Hügeln mit dem Zentrum verbunden.

"Die Anbindung von Siedlungen durch ein effektives Verkehrsmittel wie die Seilbahn ist nicht nur eine Mobilitätslösung. Sie wirkt auch sozial integrativ. Lateinamerikanische Stadtregierungen haben die Seilbahn gezielt eingesetzt, um abgehängte Stadtteile zu integrieren", sagt Andreas Hofer, Stadtplaner an der TU Wien.

Bis 2004 mussten die Bewohner der Favelas in den Hügeln von Medellín stundenlange Busfahrten auf sich nehmen, um ins Zentrum zu gelangen. "Die Seilbahn hat sie zu Bürgern gemacht", schrieb einst die "Zeit".

Was sind nun die technischen Vorteile einer Seilbahn, die sie zunehmend auch in europäischen Städten zur gefragten Mobilitätslösung machen könnten?

Vorteile der Seilbahn

Nachteile der Seilbahn

Die Seilbahn in der türkischen Hauptstadt Ankara
Über den Dächern der türkischen Hauptstadt Ankara schweben auf einer Länge von 3,2 Kilometern die gelben Gondeln von Leitner. Die Seilbahn verbindet den Stadtteil Şentepe mit der Metrostation Yenimahalle.
Leitner AG

Soziale Knotenpunkte

Auch in Westeuropa beginnt die Seilbahn als urbanes Verkehrsmittel, Fahrt aufzunehmen. In Paris arbeitet Doppelmayr gerade an einer Seilbahn mit 4,5 Kilometer Länge, die ins öffentliche Verkehrsnetz der französischen Hauptstadt eingebunden sein wird. Auch die ehemalige deutsche Hauptstadt Bonn plant eine Seilbahn, Probebohrungen haben bereits stattgefunden.

TU-Forscher Hofer attestiert Seilbahnen in Städten positive Effekte, auch abseits von schnellerer Mobilität. "Jede neue Station bildet eine neue Form von Zentralität, weil Frequenz entsteht", sagt er mit Blick auf die Erfahrungen in Südamerika. "Rund um die Stationen entstehen kommerzielle Angebote, manche Stadtverwaltungen statten die Stationen auch mit Bildungseinrichtungen oder Sozialeinrichtungen aus."

Die Cablébus Linea 1 in Mexiko-Stadt
Die Cablébus Linea 1 verknüpft seit dem Jahr 2021 das Viertel Cuautepec mit dem Verkehrsnetz von Mexiko-Stadt.
Doppelmayr

Auch in westlichen Städten

Bei Doppelmayr hofft man, dass Politik und Stadtplaner in Europa die Seilbahn künftig immer mehr unvoreingenommen als mögliche Verkehrslösung – neben Bus, Tram, U-Bahn und S-Bahn – mitdenken. Den Gedanken, dass Seilbahnen vor allem dort durch die Städte gleiten, wo die demokratischen Standards nicht ganz so luftige Höhen erreichen, weist Doppelmayr-Manager Fitz zurück. "All diese Seilbahnprojekte haben die gesetzlichen Verfahren zur notwendigen Bau- und Betriebsgenehmigung durchlaufen", sagt er mit Hinweis auf existierende Seilbahnen in Städten wie Toulouse, Luxemburg, London, New York und Koblenz. Es werde auf die Anliegen der Anwohnerinnen und Anwohner eingegangen, und "die Genehmigungen unterliegen denselben Verfahrensregeln wie alle anderen Infrastrukturprojekte für Straßenbahn, Bus und Metro", sagt Fitz.

In Wien zumindest werden die Fahrgäste auf dem Boden bleiben. Die erwähnte Studie ergab, dass weder in Penzing noch an der Tangente "relevante Verkürzungen der Reisezeiten aufgrund von Seilbahnen bewirkt würden". Auch von einer Seilbahn auf den Kahlenberg mit "Talstation" Heiligenstadt hält die Wiener SPÖ wenig. (Lukas Kapeller, 20.4.2024)