Wien – Der Fahrgastrekord, den die ÖBB mit 494 Millionen Passagieren im Vorjahr verzeichnete, stimmt positiv. Die Corona-bedingten mageren Jahre sind zumindest im Personenverkehr vorbei. Über die negativen Entwicklungen, die 2023 auch zu Buche schlugen, vermag dies aber nur bedingt hinwegzutrösten: Die Staatsbahn transportierte erheblich weniger Güter. ÖBB-Holding-Chef Andreas Matthä führte den Rückgang der Fracht um zehn Millionen Nettotonnen auf 78,5 Millionen Nettotonnen (konsolidiert, also bereinigt um Mehrfachzählungen aufgrund grenzüberschreitender Transporte) auf die lahmende Konjunktur zurück.

Rückgänge verzeichneten laut Geschäftsbericht de facto alle Arten von Schienengüterverkehr vom Wagenladungsverkehr über den unbegleiteten Kombiverkehr bis zur Rollenden Landstraße – in allen Regionen. Zusammen mit deutlich gestiegenen Strom- und Dieselpreisen landete die einst so stolze ÖBB-Gütersparte Rail Cargo Austria (RCA) operativ mit knapp elf Millionen Euro (Ebit) in den roten Zahlen. Das mit 13 Millionen Euro positive Vorsteuerergebnis (EBT) der RCA ist einem buchhalterischen Effekt geschuldet, räumte ÖBB-Holding-Finanzchefin Manuela Waldner ein. Die ÖBB-Werkstättentochter Technische Services (TS) erfuhr dank einer Flut von Instandhaltungs- und Wartungsarbeiten eine bilanzielle Aufwertung, weil die Gewährleistung für rund hundert im Jahr 2015 gekaufte Schnellbahngarnituren von Siemens ausgelaufen ist. Davon profitierte die Güterbahn RCA mit 19 Millionen Euro, wenn auch nur bilanziell, also auf dem Papier. Denn RCA hält an TS, die auch das Rollmaterial der RCA wartet, 26 Prozent.

Ein neuer Railjet-Schnellzug der ÖBB im Bahnhof Innsbruck, vorerst nur im Italien-Verkehr im Einsatz.
Heiß ersehnt und mit zwei Jahren Verspätung kam der ÖBB-Railjet Ende März zwischen München und Verona auf Schiene.
APA / HO / ÖBB/Marek Knopp

Gegen das auch konjunkturbedingt schwache operative Frachtgeschäft half diese Bilanzverschönerung natürlich nicht. Dieses ist härter denn je, denn der Straßengüterverkehr hat die Bahn längst abgehängt – weil die Kostenwahrheit nicht gegeben sei, wie ÖBB-Chef Matthä einmal mehr betonte. Weniger Fracht hat freilich unangenehme Nebenwirkungen: Die staatliche Stütze für den kostenintensiven Einzelwagenverkehr schrumpfte von 65 auf 57 Millionen Euro, und weil auch weniger Schienenkilometer zurückgelegt wurden, gab es entsprechend weniger Wegeentgeltförderung. Die RCA sollte die Talsohle durchschritten haben, betonte Finanzchefin Waldner, man spürte in der Konjunktur eine leichte Besserung. Das transportierte Volumen ging im Vorjahr um 8,4 Prozent auf 26,1 Milliarden Tonnenkilometer zurück – das ist weniger als im Corona-Jahr 2020. Nun wird die schwächelnde Gütersparte wieder einmal umstrukturiert.

Mehr Leute, mehr Kosten

Im Personenverkehr ist es umgekehrt. Mehr Passagiere bedeuten automatisch höhere Kosten für die öffentliche Hand, denn der Nah- und Regionalverkehr ist ebenso staatlich bestellt und bezahlt wie die Schnellzüge auf der Südbahn und die Railjets ab Salzburg westwärts bis Bregenz. Die vom Staat bestellten Bus- und Schienenverkehrsleistungen beliefen sich auf 1,498 Milliarden Euro, davon entfielen 356 Millionen auf die Linienverkehre des ÖBB-Postbusses. Über die aus dem Familienlastenausgleich finanzierten Schüler- und Lehrlingstickets kommt indirekt zusätzliches Staatsgeld in den Nah- und Regionalverkehr. Da diese über die Bundesländer finanziert und bestellt werden, gibt es über die Höhe dieser Stütze aber keine Informationen.

Das ÖBB-Führungsduo Andreas Matthä und Manuela Waldner.
ÖBB-Chef Andreas Matthä und Finanzchefin Manuela Waldner präsentierten die durchwachsene ÖBB-Bilanz 2023.
APA/ Hans Klaus Techt

Dass der Pendlerverkehr kaum nennenswerte Zuwächse verzeichnete, der Fernverkehr allerdings schon, sei auch dem Klimaticket geschuldet. Da weiß die ÖBB laut eigenen Angaben übrigens nicht, wie viele Klimaticket-Nutzer in ihren Zügen unterwegs sind, wohl aber, dass die Einnahmen aus der Dauerkarte 143 Millionen Euro betrugen – um 50 Millionen mehr als 2022. Wobei die Abgrenzung so eindeutig nicht ist, denn jede Fahrt mit einem Railjet oder ICE ist automatisch Fernverkehr – auch wenn sie nur von Wien nach Wiener Neustadt oder St. Pölten reicht. Das relativiert die Angaben zu den Zuwächsen im Fernverkehr deutlich, denn ab Wiener Neustadt sind viele Schnellzüge nach Graz und Villach nur mehr dünn besetzt. Im Übrigen kosten Fahrten mit dem Klimaticket zusätzlich, denn die Einheitsfahrkarte ist ihrerseits staatlich subventioniert.

Die ÖBB in Zahlen

Stütze für Nachtzüge

Nicht zu vergessen die Nachtzüge. Der große Stolz des ÖBB-Chefs wird auf österreichischem Hoheitsgebiet ebenfalls vom Steuerzahler mitfinanziert. Die Aussage von Matthä, die ÖBB werde mit diesem Service "nicht wahnsinnig reich", bekommt so einen bitteren Beigeschmack. Denn im Ausland zahlen die ausländischen Partnerbahnen mit, und trotzdem ist nicht ausgeschlossen, dass der bei Rollmaterial investitionsintensive Nachtzugverkehr, den kaum eine andere Bahn noch durchführt, ein Verlustgeschäft ist. Die Zahl der Passagiere in Nachtzügen gibt die ÖBB mit 1,5 Millionen an, Ziel seien drei Millionen bis 2030. 30 bis 40 Prozent der Einnahmen stammten aus Staatsbeiträgen. Ohne staatliche Zuzahlungen gäbe es also keine Nachtzüge.

Was die miserable Perfomance im ÖBB-Nah- und Regionalverkehr in Ostösterreich betrifft, versprach ÖBB-Chef Matthä Besserung. Allerdings beginnt die Auslieferung der neuen Schnellbahn- und Doppelstock-Schnellzüge nicht vor Ende 2026, einzig Rail- und Nightjet-Züge kommend laufend neue dazu. Wie das mit den laufenden Erweiterungen des Fahrplanangebots zusammengehen wird, bleibt spannend. Hinzu kommt die Totalerneuerung der Wiener Schnellbahn-Stammstrecke. Dieser Ausbau, es ist defacto ein Neubau unter laufendem Betrieb, wird Pünktlichkeit und Verlässlichkeit eher nicht befeuern.

32 Milliarden Euro Schulden

Hohe Energie- und Dieselpreise hinterließen auch in der Konzernbilanz deutliche Spuren. Der Vorsteuergewinn (EBT) ging von 193 auf 112 Millionen Euro zurück. Das klingt dramatisch, der Rückgang relativiert sich 2022 allerdings durch den Einmaleffekt in Form der Auflösung einer Rückstellung. 2023 war Strom dreimal so teuer, das kostete 50 Millionen Euro zusätzlich. Da hilft die Eigenerzeugung von 40 Prozent des Stroms und weiterer 20 Prozent durch Partner nur bedingt. Der Rest muss zugekauft und innerhalb Konzerns zu Marktpreise verrechnet werden. Mit knapp 300 Millionen Euro schlug der nach einem Streik üppige Gehaltsabschluss zu Buche. Allein die Teuerungsprämien, mit denen die Gehaltserhöhungen aufgefettet wurden, beliefen sich auf 13 Millionen Euro, 2022 waren es 55,9 Millionen Euro gewesen.

Die Finanzverbindlichkeiten der Bahn belaufen sich inzwischen auf 32,6 Milliarden Euro – sie steigen weiter rasant, denn der Bahnausbau geht in den nächsten zwanzig Jahren weiter. Pro Jahr kommen gut zwei Milliarden Euro dazu. (Luise Ungerboeck, 26.4.2024)