Bild nicht mehr verfügbar.

Mit Dreck am Stecken: Michael Maertens (Sir Robert).

Foto: Lilli Strauss/dapd

Annäherung: Es ist nicht so, dass Elfriede Jelinek aus Oscar Wildes Komödie An Ideal Husband (1894) Hackspäne gemacht hätte. Anlässlich der heutigen Premiere ihrer Nachdichtung Der ideale Mann im Wiener Akademietheater wundert man sich eher darüber, wie gut der Ästhetizist und die Nobelpreisträgerin miteinander auskommen. Wilde, der Dandy, liebt die oberen Zehntausend der britischen Gesellschaft. Wenn er sie dennoch seiner Spottlust preisgibt, dann nimmt er die eigene Attitüde von der Zersetzung nicht aus: Dergleichen wäre unsportlich. Sein Sprachrohr Lord Goring (Matthias Matschke) erklärt das zugrundeliegende Prinzip dem skeptischen Papa wie folgt: "Ich rede sehr gern über nichts, Vater. Es ist ja das Einzige, worüber ich überhaupt irgendwas weiß."

Aphorismus: In ihm triumphiert die Kunst des Paradoxons: Die planmäßige Verwirrung der Kategorien führt zum Kollaps aller vorab festgelegten Ansichten. Wiederum Lord Goring: "Jeder, der sich auf etwas dermaßen Schwaches wie ein Argument zu stützen versucht, fällt schon mal gleich auf die Schnauze." Beziehungsvoller Nachsatz: "Also ich würde auf Argumente grundsätzlich nicht setzen. Man weiß ja nie, welches am Schluss gewinnen wird."

Dandytum: Zum unveräußerlichen Wesen des Dandys gehört seine Hörigkeit gegenüber Stilfragen. Das gestärkte Maßhemd ist der Ausdruck einer Denkungsart, die inhaltliche Festlegungen verabscheut. Ethische Argumente gelten nicht, es sei denn, sie wiegen ihre Unscheinbarkeit durch äußere Reize auf. Dandys leben in der infantilen Erwartung, in jedem Augenblick ihres Lebens von einer Sensation überrascht zu werden. Ihr Schönheitskult setzt folgerichtig das Nichtstun voraus: Erst dieses garantiert eine Aufnahmefähigkeit, die Genießen ermöglicht. Die ästhetische Existenz junger Schönheitsapostel zehrt von den Vermögen der Väter.

Fabel: Sir Robert Chiltern (Michael Maertens) verdankt seinen kometenhaften Aufstieg in das Amt eines Staatssekretärs im Auswärtigen Amt der betrüblichen Tatsache, als 22-Jähriger eine Reihe von Dokumenten veruntreut zu haben. Die schöne, in Wien lebende Mrs. Cheveley (Caroline Peters) erpresst den trinkfesten Wirtschaftsschwätzer mit einem kompromittierenden Brief. Sir Robert soll als geschätzter Redner im Unterhaus die Regierung Ihrer Majestät dahingehend beeinflussen, den "Hyper-Alpenkanal" in Österreich zu finanzieren. Dieses possierliche Echo auf eine insolvente Kärntner Landesbank ist naturgemäß auf Jelineks Mist gewachsen: Im Original ist vom Suez-Kanal die Rede. Zweifellos weckt das Wort "Kanal" Erinnerungen an das spurlose Verrinnen von Geld- und Schmiermitteln.

"KHG": Neben dem Schick des Oscar-Wilde-Salons verblasst die österreichische Lebenswelt notgedrungen. Auf dem Empfang von Sir Robert wird auf schwindelerregendem Niveau doziert. Charity? "Ein Heer von Raupen, die sich durch einen Abgrund an Mildtätigkeit fressen und auf Schritt und Tritt seidene Scheiße von sich geben, in die andre dann hineintreten." Politik? Eine "echte Wohltat" für Leute, die etwas von ihr verstehen: "Nur befindet sich die Politik leider zu oft in den falschen Händen. Da geht's zur Sache, die dann aber nie einer kennt."

Sprache: Der Reiz dieser Stückpartnerschaft resultiert aus zwei völlig unterschiedlichen Ansätzen. Bei Wilde gipfelt jede Einsicht in einem funkelnden Paradoxon: Er zwingt die Wortbedeutungen förmlich dazu, sich in ihr Gegenteil zu verkehren. Jelineks Verfahren ist aufwändiger: Sie sammelt Fehlleistungen ein. Dazu traktiert sie die Wörter, dass diesen Hören und Sehen und manchmal sogar das Bedeuten vergeht.

Zürich: Die Regisseurin der Premiere im Wiener Akademietheater (heute, Mittwoch, 19.30) ist Barbara Frey, amtierende Intendantin des Zürcher Schauspielhauses. Es spielen u. a. Johann Adam Oest (Lord Caversham), Kirsten Dene (Lady Markby), Maria Happel (Mabel Chiltern). (Ronald Pohl, DER STANDARD - Printausgabe, 23. November 2011)