"Dass die Welt ungerecht ist, haben wir immer schon gewusst", sagt Karlheinz Töchterle. Dass man viel Leid durch einfache Maßnahmen beenden könnte, aber auch. "Wenn ich so rede, gerate ich selber schon wieder in Wut, aber ich bin zu alt, um in Wut zu geraten."

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Standard: Sie haben jetzt die ersten acht Monate als Politiker hinter sich gebracht, als Parteifreier in der Regierung. Ein Vorteil? Oder verstehen Sie sich eh schon als ÖVPler? Bildungspolitisch fügen Sie sich ja nahtlos und friktionsfrei ein.

Töchterle: Ich stehe der ÖVP natürlich sehr nahe, und das war auch schon vorher so, sonst hätte ich nicht in ihr Team gehen können. So richtig als ÖVPler sehe ich mich nicht. Einfach, weil ich nicht in dieser Partei aufgewachsen bin.

Standard: Und was wurde aus dem Grünen in Ihnen? Vergangenheit?

Töchterle: Nein, der Grüne ist natürlich da. Der Grüne in mir war immer ein ökologischer Grüner. Es gibt bei mir viele Punkte, wo ich eher konservativ bin. In der Familienpolitik oder Bildungspolitik - da war ich nie progressiv. Ökologisch bleibe ich natürlich. Nur inzwischen wissen alle, was Sache ist. Man muss heute niemanden mehr überzeugen. Es geht darum, die ökologisch richtigen Dinge zu tun. Da bin ich weiter tief grün.

Standard: Sie waren in der Bildungspolitik immer auf ÖVP-Linie - täuscht der Eindruck, dass Sie mit Unterrichtsministerin Claudia Schmied (SP) nicht so wahnsinnig kompatibel sind?

Töchterle: Ich bemühe mich natürlich um ein sachliches und korrektes Verhältnis zu ihr, und das funktioniert auch. Aber es stimmt: Es gibt Dinge, wo ich bei ihr nicht genau weiß, ist das ihre Meinung oder sagt sie das, weil die SPÖ das so will. Da kommen wir dann auch nicht so wirklich gut zusammen. Das ist so. Im Alltagsgetriebe ist es nicht so harmonisch, wie es vielleicht sein könnte oder sollte, oder vielleicht auch nicht sein kann. Das ist so in einer Koalition: Man will etwas weiterbringen, und zugleich will sich jeder selber profilieren. Und es gibt in der Tat auch sehr unterschiedliche Positionen.

Standard: Was war denn eigentlich Ihre Drohkulisse, mit der Sie Finanzministerin Maria Fekter (VP) die Hochschulmilliarde, genau genommen 750 Millionen Euro "frisches" Geld, abgerungen haben?

Töchterle: Ich habe überhaupt keine Drohung in meinem Arsenal gehabt. Das Einzige, was ich gesagt habe, war, wenn wir den Unis nicht mehr Mittel geben, dann signalisieren wir, dass uns dieses für die Zukunft Österreichs anerkanntermaßen vielleicht wichtigste Feld nicht wichtig genug ist und wir da nicht investieren wollen. Wenn zum Beispiel die Unis beginnen müssen, Leute zu entlassen, Studienrichtungen einzusparen oder Forschungsprojekte einzustellen, dann wäre das insgesamt ein fatales Signal und ein noch fataleres für die ÖVP.

Standard: Warum für die ÖVP?

Töchterle: Ich glaube, die ÖVP ist der naheliegendste und natürliche Partner der Wissenschaft und der Forschung und muss diese Rolle auch wahrnehmen. In der SPÖ, die auch einmal eine Wissenschaftspartei war, ist das aus meiner Sicht nicht mehr vorhanden. Im Gegenteil, ich habe den Eindruck, der SPÖ sind die Unis nicht wichtig, sonst müssten sie doch manche Dinge anders sehen. Und bei den Grünen, der FPÖ und dem BZÖ sehe ich das auch nicht wirklich. Die ÖVP ist der Anwalt der Wissenschaft und Forschung. Darum passt es sehr gut zu ihr, dass sie sich klar zu den Universitäten bekennt.

Standard: Faktisch können die Unis nur auf 100 Millionen zusätzlich pro Jahr ab 2013 im Globalbudget zugreifen. Sie selbst haben als Rektor die Forderung mitvertreten, dass 300 Millionen Euro zusätzlich pro Jahr der Betrag sind, den die Unis mindestens brauchen, um den Status quo zu erhalten.

Töchterle: Es sind rund 250 Millionen mehr pro Jahr, die 150 Millionen aus dem Strukturfonds bleiben den Unis ja auch großteils, mit einem etwas anderen Zugriff.

Standard: Was hätten Sie denn als Rektor dazu gesagt?

Töchterle: Ich weiß ja, wie die 300 Millionen gerechnet wurden. Wenn man die reine Inflationsabgeltung rechnet, mit drei Prozent, kommt man für drei Jahre auf etwa 480 Millionen Euro. Zu sagen, ich brauche 300 Millionen im Jahr zur Aufrechterhaltung des Betriebs, stimmt schlicht nicht. Das sind 150 Millionen. Die Hälfte. Bei dieser Rechnung der Rektoren, bei der ich dabei war, wurde gesagt: Wir haben ständig steigende Studierendenzahlen, das muss man einpreisen, und dann wollen wir auch immer ein bisschen expandieren. Das sind schon großzügig gerechnete Summen.

Standard: Wird es am Ende des Hochschulplans mit Studienplatzfinanzierung rund 330.000 ausfinanzierte Studienplätze geben? So viele studieren derzeit - an den Unis sind es 292.245, an den Fachhochschulen 37.564.

Töchterle: Das hängt von zwei Schrauben ab: Wie geht die Finanzierung der Unis weiter, und welche Betreuungsrelationen legen wir zugrunde.

Standard: Haben Sie eine Zielgröße? Wie viele Plätze, in welchen Fächern auch immer, sollen finanziert sein?

Töchterle: Was wir sicher nicht wollen, ist, die Studienplätze zu reduzieren. Ziel muss sein, Studienplätze auszuweiten, wobei ich den Fokus stärker auf die Fachhochschulen legen will. Da bauen wir in den nächsten drei Jahren um zehn Prozent aus. An den Unis gilt es eher, aus den Studienplätzen echte Studienplätze zu machen, also aktive Studierende zu erhalten. Wir haben etwa 100.000 inaktive Studierende.

Standard: Wie kann man diese Inaktiven aktivieren?

Töchterle: Indem man die inaktiven Studierenden, die nicht nur scheinbar studieren, ein bisschen anstößt. Natürlich erhöhen auch Studienbeiträge das Tempo. Das ist nicht sehr akademisch, aber effizient. Ich will ja auch nicht, dass jeder mit Scheuklappen so schnell wie möglich durch die Uni rennt, aber eine gewisse Zielgerichtetheit braucht es. Zugangsregeln bringen auch mehr Verbindlichkeit. Wenn ich mich bemühen muss, irgendwo hineinzukommen, bin ich viel motivierter. Weitere Mittel sind bessere Betreuung, bessere Qualität, auch bessere Curricula. Da muss man sicher auch noch was tun.

Standard: Da muss man was tun, dachte 2011 vielerorts in der Welt auch "der Wutbürger". Ist er Ihnen als Politiker auch begegnet?

Töchterle: Persönlich kaum.

Standard: Verstehen Sie das Phänomen "Wutbürger"?

Töchterle: Mich amüsiert das Phänomen Wutbürger. Teilweise begegne ich ihm mit Unverständnis, teilweise mit Verständnis. Das Amüsement resultiert daher, dass ich bei manchen ein etwas schlichtes Aha-Erlebnis konstatiere. Dass die Welt ungerecht ist, haben wir immer schon gewusst. Es verhungern Hunderttausende, und wir schmeißen die Lebensmittel weg. Oder, so tragisch es ist, wenn durch einen ärztlichen Kunstfehler jemand stirbt, sind die Zeitungen wochenlang voll. Was tun wir im Autoverkehr? Da halten wir es aus, dass jedes Jahr Tausende auf Europas Straßen sterben. Das wäre sofort sanierbar. Die Autos langsamer machen, da sterben viel weniger Menschen. Mit einfachen Maßnahmen könnte man also unglaubliches Leid beenden. Da gäbe es viele Beispiele. Wenn ich so rede, gerate ich selber schon wieder in Wut, aber ich bin zu alt, um in Wut zu geraten.

Standard: Wo am "Wutbürger" entzündet sich Ihr Unverständnis?

Töchterle: Gerade in Österreich, wo so über die Politik geschimpft wird, geht es uns sehr gut. Österreich hat die letzte Krise exzellent übertaucht. Wir haben im Vergleich sehr gute Daten. Niedrige Arbeitslosigkeit, fast immer Wachstum über dem EU-Durchschnitt - und dann haben wir noch die Wutbürger. Auf die Politik wird nur geschimpft. Und die Politik kasteit sich dann auch noch selber, indem sie sich zum Beispiel schon zum vierten Mal eine Nullrunde verordnet. Ich verzichte gern auf die Erhöhung, ich verdiene sehr gut. Aber man zeigt doch damit, wir fühlen uns nicht wertvoll. Aber ich glaube, die österreichische Politik leistet diese wertvolle Arbeit. Bei all den Unzukömmlichkeiten, die es gibt, und den gegenseitigen Blockaden etc. Aber da kommt schon wieder die Naivität herein ... (Lisa Nimmervoll, DER STANDARD, Printausgabe, 31.12.2011/1.1.2012)