Bei der Untersuchung von Zellen unter dem Mikroskop delegieren Biologen oft die Arbeit: Mithilfe automatisierter Verfahren analysiert für sie der Computer Hunderttausende von Mikroskopbildern - schneller und objektiver. "So können wir Millionen von Zellen in einem Über-Nacht-Experiment verfolgen", freut sich Daniel Gerlich, der sich mit automatisierten Computerverfahren zur quantitativen Bildanalyse schon in seiner Doktorarbeit beschäftigt hat.

In einer am vergangenen Sonntag im Fachblatt Nature Methods veröffentlichten Studie präsentierte der neue Gruppenleiter vom Wiener Institut für Molekulare Biotechnologie eine Methode, bei der der Computer Mikroskopiebilder selbstlernend und ohne jegliche Unterstützung des Wissenschafters analysiert. Gerlich und sein Team beobachten die Teilung von menschlichen Krebszellen. Die sogenannte Mitose untergliedert sich in sechs Phasen mit charakteristischen Formen. " Wir möchten verstehen, welche Phasen sich wie ändern, wenn wir bestimmte Gene ausgeschaltet haben", so der Biologe. Sind einmal die Phasen der Zellteilung identifiziert, messen die Forscher ihre zeitliche Dauer, um mehr über die Aktivität von bestimmten Genen und somit auch über die Funktion von bestimmten Proteinen zu erfahren.

Im Jahr 2010 stellte Gerlich, damals noch an der renommierten ETH Zürich tätig, mit Kollegen ein Computerprogramm vor, das zwar die Bildanalyse automatisch durchführt - aber erst, nachdem der Wissenschafter ihm genaue Kriterien für die Suche vorgegeben hat.

Diesen Ansatz kennt man bereits aus der automatisierten Spracherkennung. Die bisherige Crux: "Das Verfahren ist schwierig zu objektivieren, denn jeder Biologe markiert die Phasen der Zellteilung anders. Es ist ein konsistentes System für einen Benutzer, aber es gibt dabei auch keinen objektiven Standard." Daten unterschiedlicher Labors sind schwierig zu vergleichen und die Experimente schwerer reproduzierbar.

Die Lücke schließen

Das neue Verfahren soll diese Lücken schließen: Der Ansatz nennt sich " Unsupervised Machine Learning". Der Computer analysiert ohne menschliches "Training" die Mikroskopiebilder. "Er erkennt ähnlich aussehende Bilder und kann sie einzelnen Phasen automatisch zuordnen", erzählt Gerlich: "Die einzige Vorgabe, die wir ihm geben, lautet: Finde uns sechs Phasen der Zellteilung."

Durch die Analyse von gefilmten Prozessen der Zellteilung sind die Resultate zudem viel genauer als auf Grundlage von Einzelbildern: Damit können auch die feinen Übergänge zwischen den einzelnen Phasen der Teilung beobachtet werden.

Der feinere Sensor für die Phasenübergänge könnte, so Gerlich, auch mehr Erkenntnisse zu fehlerhaften Zellentwicklungen, die etwa zum Entarten von Krebszellen führen können, zulassen. Die neue Technologie "kann man auch generell auf die Zellanalyse durch Mikroskopie anwenden", so der Biologe. Und: "Der Biologe kann sich künftig mehr auf seine Hypothesen und Experimente konzentrieren." (ly, DER STANDARD, 30.5.2012)