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"Die SPÖ muss sich vor einem Frank Stronach nicht fürchten."

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Burgstaller über die Vorteile einer Landespolitikerin: "Es ist in einem gewissen Ausmaß noch überschaubarer. Ich fahre in der Früh mit dem Fahrrad 15 Kilometer oder mehr und denke mir nichts dabei."

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Der Vergewaltigungsfall in Salzburg hat eine Debatte über den Einsatz von Fußfesseln ausgelöst. Die Salzburger Landeshauptfrau Gabi Burgstaller (SPÖ) fordert hier eine Reform: "Nur weil die Fußfessel in der Welt modern geworden ist, muss sie nicht unbedingt gut sein", sagt sie im Interview mit derStandard.at. Generell sei der Strafkatalog ans 21. Jahrhundert anzupassen und differenzierter zu betrachten: "Es muss die Strafe immer zur Tat adäquat sein." Beispielsweise kann sich die Landeshauptfrau vorstellen, dass Vätern bei Nichtbezahlung des Unterhalts der Führerschein entzogen wird.

Beim SPÖ-Parteitag in wenigen Wochen will Burgstaller einen Antrag auf ein neues Stipendiensystem für Studenten einbringen, um bisherige "Schieflagen" zu beseitigen. Im Modell enthalten sind auch Studiengebühren in Höhe von 360 Euro pro Semester - für diejenigen, die kein Stipendium bekommen. Trotzdem rechnet Burgstaller mit mehr als 50 Prozent Zustimmung der Delegierten. Den sozialistischen StudentInnen (VSStÖ) wirft sie Diskussionsverweigerung vor.

In Sachen Wehrpflicht kritisiert Burgstaller die "wackelige Haltung" der ÖVP. Sie fordert, dass das Ergebnis der Volksbefragung auf jeden Fall bindend sein muss. Warum sie nicht in die Bundespolitik wechseln will und weshalb sich die SPÖ nicht vor Frank Stronach fürchten muss, sagt Burgstaller zu Rosa Winkler-Hermaden.

derStandard.at: Die SPÖ hat eine Reform bei der elektronischen Fußfessel gefordert. Justizsprecher Jarolim sagte: "Fußfesseln bei Gewaltdelikten im Sexualbereich müssen die Ausnahme und nicht die Regel sein." Gibt es Änderungsbedarf?

Burgstaller: Ja. Ich denke mir, die Fußfessel ist komfortabler als ein richtiger Freiheitsentzug in einem Gefängnis. Einer mit einer Fußfessel, der in seiner Beweglichkeit nicht real beeinträchtigt ist, bei dem man nicht einmal von außen etwas erkennen kann, der hat wahrscheinlich kein wahnsinnig großes Unrechtsbewusstsein als mehrfacher Vergewaltiger. Daher meine ich, die Fußfessel ist für derartige Delikte nicht geeignet. Im Übrigen halte ich es für eine Zumutung an das Opfer, wenn dann womöglich zufällige Kontakte entstehen oder Ähnliches. Ich halte es für klug, hier einen Reformweg zu gehen.

derStandard.at: Der Auslöser für die Debatte ist der aktuelle Fall in Salzburg.

Burgstaller: Ich muss zum einen sagen: Hut ab vor dem Opfer, dass sie an die Öffentlichkeit gegangen ist. Die Demütigungen für Vergewaltigungsopfer sind auch in unserer Gesellschaft nach wie vor groß. Ich finde es sehr couragiert, dass sich die junge Frau gemeldet hat, dass sie auch an die Justizministerin geschrieben hat. Ich der konkreten Angelegenheit denke ich mir immer, ich weiß nicht, ob die Strafe besonders groß ist, wenn so jemand dann mit einer Fußfessel herumlaufen kann. Da ist ein gewisser Freiheitsentzug besser. Ich glaube überhaupt, dass wir im 21. Jahrhundert den Strafkatalog ein bisschen differenzierter entwickeln müssen.

derStandard.at: Zum Beispiel?

Burgstaller: Wenn Väter - theoretisch auch Mütter, praktisch selten - den Unterhalt nicht zahlen, soll man ihnen den Führerschein entziehen. Das ist ein so ein wichtiges Gut für viele Menschen, dass sie dann doch zahlen. Es muss die Strafe immer zur Tat adäquat sein. Nur weil die Fußfessel in der Welt modern geworden ist, muss sie nicht unbedingt immer gut sein.

derStandard.at: ÖVP-Chef Michael Spindelegger hat angekündigt, dass es im Jänner eine Volksbefragung zum Thema Wehrpflicht geben wird. Ist damit der Wahlkampf eröffnet?

Burgstaller: Nein. Ich halte es aber für höchst an der Zeit, dass es in Österreich eine Entscheidung gibt und vorher eine sachliche und engagierte Diskussion. Das ist bisher verweigert worden durch die wackelige Haltung der ÖVP. Meiner Meinung nach wäre das Thema prädestiniert für eine Volksabstimmung.

Das Problem ist, dass es dafür vorher eine gemeinsame Gesetzesbeschlussfassung geben müsste, und über diese Hürde kann die ÖVP offensichtlich nicht drüber. Im Grunde genommen ist die Wehrpflicht ein wesentlicher Bestandteil unserer Verfassung. Daher ist es auch logisch, die Bevölkerung in eine Zukunftsentscheidung einzubeziehen. Natürlich muss man sich dann ans Ergebnis halten.

derStandard.at: Das muss zügig umgesetzt werden?

Burgstaller: Wenn die Mehrheit sagt, ja, wir sind dafür, ist es umzusetzen. Wenn sie Nein sagt, gilt das für mich auch. Die SPÖ hat das ja auch schon gesagt.

derStandard.at: Was sind Ihre Argumente für ein Berufsheer?

Burgstaller: Die Zeiten haben sich geändert. In der SPÖ haben wir lange Zeit diskutiert, dass die allgemeine Wehrpflicht eine gewisse Demokratie im Bundesheer garantiert und vor Putsch und Ähnlichem schützt. Aber wir leben nicht mehr in den 1930er Jahren. Heute muss ein Mitarbeiter des Bundesheeres ein großes Know-how haben. Was auch dafür spricht, die Wehrpflicht zu verändern, ist, dass mittlerweile doch sehr viele untauglich sind. 

derStandard.at: Wenn es ein Berufsheer gibt - was soll dann aus den Rettungsdiensten werden, die ja ohne Zivildiener nicht auskommen?

Burgstaller: Es braucht klare Regelungen, was mit dem heute sehr wichtigen Zivildienst passiert. Daran gibt es ja keine Zweifel, dass er wichtig ist; nur bei der Wehrpflicht gibt es diese Zweifel. Werden die Organisationen, die ganz wesentlich von den Zivildienern leben, eine entsprechende finanzielle Sicherheit haben?

Mir ist auch wichtig, dass der Zivildienst für viele junge Männer eine Möglichkeit gewesen ist, ihr soziales Engagement, ihre soziale Kompetenz zu erhöhen. Viele haben erst dort erkannt, dass sie in so einem Beruf arbeiten wollen. Es braucht einen adäquaten Ersatz durch einen neuen Freiwilligendienst, der etwas besser abgesichert wird als bisher.

derStandard.at: Auch für Frauen?

Burgstaller: Selbstverständlich. Frauen machen jetzt schon zum Großteil diese Freiwilligendienste, aber oft nur für einen Handshake oder eine kleine Entschädigung.

derStandard.at: Man muss also finanzielle Mittel zur Verfügung stellen?

Burgstaller: Ja, so ist es.

derStandard.at: Die Volksbefragung soll im Jänner stattfinden. Bedeutet das, es gibt vorgezogene Wahlen schon im Frühjahr 2013?

Burgstaller: Ich hoffe nicht. Ich gehöre zu den Politikern und Bürgern, die sagen, wenn eine Regierung gewählt ist, soll sie arbeiten. Ich bin dafür, dass die gesamte Legislaturperiode gearbeitet wird. Es gibt noch einiges zu tun. Ich denke an Teile der Bildungsreform, an die Gesundheitsreform.

derStandard.at: Eine Überlegung könnte sein, dass man Frank Stronach nicht zu lange Zeit geben will, sich zu etablieren.

Burgstaller: Die SPÖ muss sich vor einem Frank Stronach nicht fürchten. Die Bürger sollten Gelegenheit haben, sich selber ein Bild zu machen, was das für eine Politik für die Menschen sein soll. Denn bisher ist das alles noch sehr nebulös.

derStandard.at: Egal ob Frühling oder Herbst 2013: Wird die Koalition nach der nächsten Wahl eine rot-grüne sein? Zuletzt gab es ein Treffen von Faymann und Glawischnig. 

Burgstaller: Wenn es sich rechnerisch ausgeht, ja. Aber das ist eben die entscheidende Frage: Hat Rot-Grün eine entsprechende Mehrheit im Nationalrat?

derStandard.at: Wenn es sich ausgeht, sind Sie dafür?

Burgstaller: Dann gehe ich davon aus, dass es Rot-Grün geben wird.

derStandard.at: Wie bewerten Sie die Koalition in Wien?

Burgstaller: Kollege Häupl ist ein Landeshauptmann, der die Kunst der Politik hervorragend versteht. Die Grünen haben eine gewisse Phase des Lernens, wie man auf der gestalterischen Ebene umgehen muss. Ich finde, dass sie sich redlich um Lösungen bemühen. Ich mische mich da nicht ein, habe aber den Eindruck, Wien ist in guten Händen.

derStandard.at: Ein Wahlkampfthema könnte wie schon so oft die Uni-Politik werden. Derzeit sieht es so aus, als könnte die SPÖ Zugangsbeschränkungen zustimmen. Was sagen Sie dazu?

Burgstaller: Die Universitäten brauchen eine entsprechende finanzielle Absicherung. Wenn es mehr Studenten gibt, muss es auch mehr Geld geben. Ich bin eine Befürworterin der Studienplatzfinanzierung.

Wir haben das an der Fachhochschule in Salzburg. Jeder junge Mensch hat die Garantie, das Studium in der Mindeststudienzeit abzuschließen. Es gibt klare Zuordnungen, wie viele Studenten von einem Professor betreut werden. Es gibt Zugangsbeschränkungen. Wenn es auch manchmal erschütternd klingt, es gibt in manchen Gesundheitsberufen 600 Bewerbungen, und genommen werden nur 64. Die schaffen es dafür wirklich - ohne Drop-out.

derStandard.at: Wie schwer wird es sein, das in der SPÖ durchzusetzen? Der VSStÖ blockiert zum Beispiel total.

Burgstaller: Beim VSStÖ denke ich mir, sie sollen nicht so eine Gesprächsverweigerung an den Tag legen. Ich habe auch mit VSStÖlern an der Fachhochschule zu tun. Dort sind Zugangsbeschränkungen eine Selbstverständlichkeit. Entscheidend muss sein, dass die Qualität passt und es keine sozialen Hürden gibt. Es darf nicht vom Kontostand der Eltern oder Großeltern abhängen, ob jemand studiert oder nicht. Jeder muss seine Chance bekommen, manchmal auch seine zweite Chance. Von vornherein zu sagen, jeder soll studieren, was er will, das halte ich für einen unfairen Zugang.

derStandard.at: Sie haben angekündigt, auf dem SPÖ-Parteitag im Herbst einen Antrag auf Einführung der Studiengebühren zu stellen, und schon vor längerer Zeit davon gesprochen, dass "die schweigende Mehrheit" dafür ist. Mit wie viel Prozent Zustimmung rechnen sie?

Burgstaller: Ich bringe keinen Antrag auf Studiengebühren ein, sondern einen Antrag für eine wesentliche Verbesserung des Stipendienwesens. Mich ärgert seit 30 Jahren, dass wir so eine Schieflage haben. Dass Kinder von Selbstständigen und Bauern einen sehr guten Zugang zum Stipendium haben, aber Kinder von Arbeitnehmerhaushalten, in denen beide Eltern berufstätig sind, eigentlich kaum eine Möglichkeit haben.

Die laufende Finanzierung des Studiums ist eine wesentlich größere Herausforderung als die Bezahlung der Studiengebühren von 360 Euro. Daher kombiniere ich das Stipendienmodell neu mit einer Studiengebühr für diejenigen, die kein Stipendium brauchen. Sprich, wo die Eltern sehr gut verdienen.

derStandard.at: Wie hoch werden die Studiengebühren ausfallen?

Burgstaller: 360 Euro. So, wie sie in der Vergangenheit waren und an der Fachhochschule sind. Wir haben in Salzburg und in vielen anderen Bundesländern Studiengebühren an den FHs, und es hat sich noch nie jemand darüber beklagt, weil dort die Bedingungen in Ordnung sind.

derStandard.at: Mit wie viel Prozent Zustimmung rechnen Sie?

Burgstaller: Ich hoffe auf mehr als die Hälfte. 

derStandard.at: Auf der einen Seite gibt es immer mehr Zustimmmung zu Zugangsbeschränkungen von der SPÖ, auf der anderen Seite mehren sich Stimmen von ÖVP-Politikern, die für eine Gesamtschule sind. Der Tiroler Landeshauptmann Günther Platter hat zuletzt gesagt, er könne sich das vorstellen. Täuscht es, oder bewegt sich etwas in Bildungsfragen?

Burgstaller: Das ist ein Segen, wenn Positionen von Parteien, die in Beton gemeißelt scheinen, endlich zu bröckeln beginnen. In der Politik geht es um die Zukunftschancen von Menschen und nicht ums Rechthaben im Rahmen einer Parteidoktrin.

derStandard.at: Wenn man die Debatte um die Studiengebühren mit der Wehrpflicht vergleicht: In der ÖVP schafft es ein Landeshauptmann, eine Parteiposition zu drehen. Sie haben bei den Studiengebühren eine schweigende Mehrheit hinter sich und setzen sich bei Faymann trotzdem nicht durch - was sagt das über Ihre Partei aus?

Burgstaller: Der Bundeskanzler hat seine eigene Position zu entwickeln. Wenn man das Thema Wehrpflicht anschaut, gibt es seit Jahren Stimmen der ÖVP, die einer Abstimmung oder Befragung zustimmen. Es ist also nicht neu, aber es hat eine Beschleunigung der Debatte gegeben.

derStandard.at: Anscheinend haben die ÖVP-Landeshauptleute sehr viel Macht.

Burgstaller: Sie haben durchaus Macht, ja.

derStandard.at: Am Parteitag soll es außerdem einen Antrag zum Thema Glücksspiel geben. Die "Sektion 8" der SPÖ Wien-Alsergrund hat einen Antrag zum Kleinen Glücksspiel formuliert - es wird ein Verbot für ganz Österreich angestrebt. Werden Sie zustimmen?

Burgstaller: Ja, wir haben einen entsprechenden Beschluss in der Salzburger Landespartei. Ich unterstütze das voll und ganz und halte es für einen dekadenten Auswuchs des Kapitalismus, dass es ein Glücksspiel gibt. Vor allem habe ich in meiner eigenen beruflichen Erfahrung als Schuldnerberaterin erlebt, was das für Familien und Jugendliche bedeutet, wie sehr sie sich in Schulden stürzen. Daher vertreten wir in Salzburg eine klare Position, die heißt: weg mit dem Kleinen Glücksspiel. Es ist in Salzburg verboten.

derStandard.at: Können Sie sich vorstellen, irgendwann in die Bundespolitik zu gehen?

Burgstaller: Nein, ich bin Landeshauptfrau von Salzburg, und das ist sehr herausfordernd. Salzburg ist das schönste Bundesland Österreichs.

derStandard.at: Was gefällt ihnen am Landeshauptfrausein besser, als Bundespolitikerin zu sein?

Burgstaller: Es ist in einem gewissen Ausmaß noch überschaubarer. Ich fahre in der Früh mit dem Fahrrad 15 Kilometer oder mehr und denke mir nichts dabei. Ich weiß nicht, ob das in der Bundespolitik noch geht, dass man so ein unkompliziertes Leben mitten unter allen anderen Menschen führen kann.

derStandard.at: Aber sie könnten mehr bewegen.

Burgstaller: Da bin ich mir nicht so sicher, ob man auf der Bundesebene mehr bewegen kann als in der Landespolitik. (Rosa Winkler-Hermaden, derStandard.at, 29.8.2012)