"Die Entscheidung des Deserteurs, sich alleine zu stellen, sich außerhalb eines Gefüges, einer Gemeinschaft zu stellen, das erfordert einen ziemlichen persönlichen Mut", sagt Künstler Olaf Nicolai.

Foto: Hans-Günther Kaufmann

STANDARD: Sie wollen mit Ihrem steinernen "X" die Anonymisierung, die Auslöschung durch die NS-Justiz versinnbildlichen. Hat sich die Sicht auf Wehrmachtsdeserteure geändert?

Nicolai: Für Österreich kann ich das schwer beurteilen, für Deutschland stimmt es ganz sicher. Schauen Sie sich nur an, wie über Stauffenberg heute geredet wird oder wie der kommunistische Widerstand von bürgerlicher Seite gewürdigt wird. Der Standort am Wiener Ballhausplatz war aber ein Punkt, da habe ich mir gedacht: Da meint es jemand ernst.

STANDARD: War das der Grund, an diesem Wettbewerb für das am Freitag präsentierte Denkmal teilzunehmen?

Nicolai: Der Grund war, dass etwas gewürdigt werden soll, mit dem ich persönlich etwas anfangen kann. Denkmäler sind mir ja eher suspekt, weil sich komplexere historische Sachverhalte sehr schwer darüber darstellen lassen.

STANDARD: Sind sie noch zeitgemäß?

Nicolai: Nicht, wenn man glaubt, dass das Denkmal die Funktion haben soll, damit ein Ereignis reflektieren zu können. Es gibt noch etwas, was mich davon Abstand nehmen lässt: Oft werden sie, salopp gesagt, als Kranzabwurfstellen benutzt. Hier geht es jetzt aber um den Begriff des Deserteurs, mit dem ich sehr viel anfangen kann. Die Entscheidung des Deserteurs, sich alleine zu stellen, sich außerhalb eines Gefüges, einer Gemeinschaft zu stellen, das erfordert einen ziemlichen persönlichen Mut. Ich selbst kenne aus meiner Biografie Situationen, wo ich erlebt habe, wie Menschen solche Entscheidungen getroffen haben.

STANDARD: Erklärt sich das aus Ihrer Sozialisation in der DDR?

Nicolai: Ich glaube, dass das in jedem System Leuten geschehen kann, es muss nicht spezifisch die DDR sein. Weil ich dort sozialisiert wurde, habe ich es in diesem Land erfahren. Es gab Momente, in denen du sehr früh darauf gestoßen worden bist, dass es Folgen hat, wie man sich verhält, und dass man diese Folgen für das eigene Tun mitkalkulieren muss.

STANDARD: Wie war die Arbeit in Wien?

Nicolai: Das Budget ist im Verhältnis zu dem, was erwartet wurde, nicht übergroß. Als ich die Zahlen gelesen habe, habe ich mich gefragt, ob eine Null verschwunden ist. Nicht weil man als Künstler über sein Honorar nachdenkt, das ist das Letzte, Bauen ist aber teuer. Aber dann hat es doch gepasst.

STANDARD: Auf der Oberseite des "X" findet sich die Inschrift "all/alone" - ein Zitat von Ian Hamilton Finlay. Warum der lyrische Bezug?

Nicolai: Inschriften sind oft Bekenntnisinschriften: Wenn du daran glaubst, gehörst du dazu. Ein Gedicht ist im Gegensatz dazu kein Text, an den man glauben soll. Beim konkreten Gedicht kommt es aus einer Tradition, die sich für mich sehr stark mit Wien verbindet. Das ist die konkrete und experimentelle Lyrik - Ernst Jandl oder Friederike Mayröcker.

STANDARD: Warum ist der Schriftzug auf der Oberseite?

Nicolai: Um die Schrift lesen zu können, sind die Leute gezwungen, das Denkmal zu besteigen. So bekommt es eine dritte Ebene, die eigentlich fehlt: die Figur.

STANDARD: Fürchten Sie nicht, dass es heißt: So, das Thema ist abgehakt!

Nicolai: Wieso? Denken Sie an Edward Snowden. Zu Wien: Der Ort wird stark frequentiert und liegt nahe an kulturellen Institutionen. Es gibt schon die Wahrnehmung, dass der Ort lebendig ist.

STANDARD: Planen Sie noch ein Denkmal?

Nicolai: Ich verdaue einmal dieses. (Peter Mayr, DER STANDARD, 25.10.2014)