Wien – "Eine einseitige Arbeitszeitverkürzung auf drei Tage pro Woche bei vollem Lohnausgleich ist in einer globalisierten Welt realistisch nicht zu schaffen", sagte Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ) am Donnerstagabend bei einer Diskussion im Kreisky-Forum: "Jeder der ihnen das verspricht ist ein Scharlatan".

Kürzer arbeiten durch Digitalisierung

Der frischgebackene Beamten-Gewerkschaftschef Norbert Schnedl hatte am Donnerstag nach seiner Kür eine Arbeitszeitverkürzung auf 3,5 Tage gefordert. Schnedl, der auch Chef der Fraktion Christlicher Gewerkschafter im ÖGB ist, will mit der Arbeitszeitverkürzung bei vollem Lohnausgleich angesichts der Digitalisierung der Arbeitswelt die Verteilungsfrage neu stellen. Wenn es stimme, dass in den nächsten 15 Jahren bis zur Hälfte aller Jobs durch computerunterstützte Maschinen oder Software ersetzt werden, "dann muss man natürlich die Arbeitszeitverkürzung ansprechen", so Schnedl im "Kurier".

Auch Kern verwies darauf, dass "die Mischung aus Digitalisierung, Technologieentwicklung und Globalisierung dazu führen wird, dass sich die wirtschaftlichen Sektoren massiv verändern werden". Schon heute gingen viele Menschen nicht mehr in die Bank oder in die Buchhandlung.

Gefährdete Spezies am Schreibtisch

"In Wahrheit ist jeder der einen Schreibtisch vor sich hat, potenziell eine gefährdete Spezies", sagt Kern. Das treffe die einfachen Tätigkeiten in der Industrie am wenigsten. Kern glaubt aber nicht, dass die Arbeit in der Gesellschaft ausgehen wird, in Sektoren wie der Gesundheit würden Jobs entstehen. Man müsse aber die Digitalisierung managen, damit es nicht zu einer Umverteilung von unten nach oben kommt.

Optimistischer war Marcel Fratzscher, Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), in der Diskussion mit Kern. Schon seit 50 Jahren werde gesagt, dass es nicht genug Arbeit gibt und dass die Menschen weniger arbeiten müssen. "Ich glaube, wir werden nie einen Rückgang der Arbeit sehen. Denn solange der Mensch kreativ ist, Wille hat etwas zu tun, wird es Wachstum und Arbeit geben." Allerdings werde sich das Tätigkeitsprofil massiv ändern, kreative Arbeit werde gefordert sein – und man müsse darauf Rücksicht nehmen, dass die Menschen unterschiedlich lange arbeiten wollen.

Schnedl beharrt auf Umverteilung der Arbeit

Auch Schnedl bleibt bei seinem Standpunkt: "Wenn ernstzunehmende Studien davon sprechen, dass in den nächsten 10 bis 20 Jahren zwischen 40 und 55 Prozent aller Tätigkeiten von Softwareprogrammen, Robotern und computergesteuerten Maschinen übernommen werden, dann ist eine Diskussion über die Folgen dieser Entwicklung wohl dringend notwendig. In der mittelfristigen Perspektive ist auch die Arbeitszeitfrage neu zu stellen", sagt ÖGB-Vizepräsident Schnedl. Er verlangt eine faktenbasierte Diskussion: "Wir wollen nicht, dass von der Digitalisierung nur einige wenige profitieren, sondern dass diese Entwicklung der Gesamtgesellschaft zugute kommt." (APA, 14.10.2016)