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Fratzscher kritisierte einmal mehr die Schieflage bei Einkommen und Vermögen.

Foto: REUTERS/Fabrizio Bensch

Wien – Mit seinem Buch "Verteilungskampf" hat Marcel Fratzscher Anfang des Jahres in Deutschland eine Debatte über Arm und Reich ausgelöst. Am Donnerstag diskutierte der Ökonom und Chef des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung im Kreisky-Forum in Wien mit Bundeskanzler Christian Kern (SPÖ). Thema war auch hier die in den vergangenen Jahrzehnten gestiegene Ungleichheit bei Vermögen und Einkommen.

Die Realität entspreche längst nicht mehr einer sozialen Marktwirtschaft, die im Deutschland der Nachkriegszeit lange ökonomischer Konsens gewesen sei, so Fratzscher. Diese umfasse Wettbewerb, Sozialstaat und Chancengleichheit – und Letztere bestehe nicht mehr.

Schwieriger gesellschaftlicher Aufstieg

Sozialer Aufstieg durch harte Arbeit sei heute schwieriger zu erreichen als noch vor einigen Jahrzehnten, sagt Fratzscher. Und auch das Bildungssystem schränke die soziale Mobilität ein. "In keinem Land ist das Einkommen so stark vom Bildungsstand der Eltern abhängig wie in Deutschland", so der frühere EZB-Ökonom. Ein weiterer Indikator für die Ungleichheit: die Einkommensunterschiede zwischen den Geschlechtern, die in Deutschland und Österreich besonders hoch seien. Fratzscher verweist auf aktuelle Zahlen, wonach Frauen in beiden Ländern im Schnitt noch immer 22 Prozent weniger verdienen als Männer.

Die Verteilungsfrage sei die wichtigste politische Frage unserer Zeit, sagt Fratzscher und führt das aus: Die ärmere Hälfte der Bevölkerung besitzt nur drei Prozent des gesamten Nettovermögens. Österreich gehört hier zu den hochentwickelten Ländern mit der dramatischsten Schieflage. Und auch bei den Einkommen geht die Schere seit Jahrzehnten auf, die Realeinkommen von Geringverdienern sind zurückgegangen.

Globalisierung nicht schuld an sinkenden Löhnen

Sinkende Löhne seien aber nicht etwa in jenen Branchen zu verzeichnen, die sich im internationalen Wettbewerb behaupten müssen, betont Fratzscher. Einkommensverluste gebe es vielmehr im Dienstleistungsbereich. "Dass manche Menschen heute weniger haben als vor 25 Jahren, hat wenig bis gar nichts mit Globalisierung zu tun, sondern mit fehlender Chancengleichheit."

Sowohl Österreich als auch Deutschland seien eindeutige Globalisierungsgewinner, fast jeder zweite Job hänge am Export. Das Problem sei hingegen der "Missbrauch der Globalisierung" – der Versuch von Unternehmen, sich nationaler Besteuerung oder Regulierung zu entziehen.

Uneinigkeit bei Handelsabkommen

Die EU-Handelsabkommen mit Kanada (Ceta) und den USA (TTIP) hätten viele Schwächen, räumt Fratzscher ein. Schließt man sie aber nicht ab, könnten die Standards im internationalen Handel in Zukunft maßgeblich von den großen asiatischen Wirtschaftsmächten mitbestimmt werden, warnt der Ökonom.

Das war der einzige Punkt, in dem Kern nicht vollinhaltlich zustimmte. Ohne konkret darauf einzugehen, wie die noch ausstehende Entscheidung der SPÖ zu Ceta ausfallen wird, erklärt er einmal mehr seine skeptische Haltung in dieser Frage. Hätten Handelsabkommen älteren Typs vor allem den Abbau von Zöllen zum Inhalt gehabt, gehe es nun um Standards und Vorgaben, die man der Bevölkerung besser erklären müsse.

Bei politischen Maßnahmen zur Senkung der Ungleichheit waren sich Fratzscher und Kern hingegen einig. Im Sinn der Chancengleichheit zwischen den Geschlechtern plädiert der Ökonom etwa für einen schnelleren Ausbau von Kinderbetreuungseinrichtungen. Das solle dazu beitragen, dass die durch ein im Durchschnitt höheres Bildungsniveau von Frauen erlangten Fähigkeiten tatsächlich auf dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen. Sowohl in Deutschland als auch in Österreich solle man außerdem Kapitalsteuern erhöhen und im Gegenzug Abgaben auf Arbeitseinkommen verringern. (smo, 14.10.2016)