Matthias Strolz verlässt die politische Bühne. Beim Abschiedsinterview ist der scheidende Neos-Chef bestens gelaunt: Er wirft mit Metaphern um sich, warnt vor der türkis-blauen Aushöhlung der parlamentarischen Demokratie und verteidigt die Oppositionsarbeit.

STANDARD: Die Wechsel an den Spitzen der Oppositionsparteien häufen sich. Ist der Job so zermürbend?

Strolz: Politik ist ein anstrengender Job. Die statistische Häufung ist ein wenig seltsam. Verglichen mit der Amtszeit der anderen Parteichefs in der Zweiten Republik liege ich über dem Durchschnitt.

STANDARD: Schwächen diese Rochaden die Opposition?

Strolz: Der Abgesang auf die Opposition ist ein Topfen. Es ist eine totale Trivialisierung der Geschehnisse. Es gab personelle Wechsel, das ist in Ordnung. Wir Neos haben vom ersten Tag an entschlossene und ernsthafte Oppositionsarbeit geleistet. Die hat auch durch die Übergabe an Beate Meinl-Reisinger keinen Tag gelitten. Der Rest ist persönliche Lebensplanung. Es war ein großartiger Job, aber mir war immer bewusst, dass ich einen großen Preis dafür zahle. Bei Neos bin ich nun gut ersetzbar, bei meiner Familie nicht. Neos wird von diesem Wechsel profitieren, nach sieben Jahren nutzt man sich auch ab.

"Ich bin mitunter ein Gschaftlhuber, ich muss mich vor mir selbst schützen": Matthias Strolz erklärt, warum er in nächster Zeit kürzer treten will.
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STANDARD: Dass Sie leisetreten werden, ist aber schwer vorstellbar.

Strolz: Ich hatte Angebote von Konzernen genauso wie von Familien- und Non-Profit-Unternehmen. Das freut und ehrt mich, trotzdem habe ich alle abgelehnt. Ich will auf eigenen Beinen stehen, vorerst aber kein großes Unternehmen gründen, sondern nur einen Rahmen finden, damit ich verschiedene Dinge machen kann – viel Ehrenamtliches oder Beratungen für Start-ups. Ich will auch nicht über Monate auf die öffentliche Entgeltfortzahlung angewiesen sein. Gleichzeitig werde ich mich beschränken, um nicht sofort wieder im Hamsterrad mit 60 Wochenstunden plus zu sein. Ich habe mit meiner Frau vereinbart, dass ich den stärkeren Part in der Kinderbetreuung übernehme, es gibt drei Papatage unter der Woche. Wenn ich mich sofort ins nächste Abenteuer stürze, kann ich nicht genügend Achtsamkeit dafür aufbringen. Ich bin mitunter ein Gschaftlhuber, ich muss mich vor mir selbst schützen.

STANDARD: Sie haben erst vor kurzen davor gewarnt, dass Türkis-Blau die Fundamente der parlamentarischen Demokratie aushöhlt. Warum so drastisch?

Strolz: Die Machtdynamiken verselbstständigen sich. Wenn die Opposition nicht eingebunden wird, leidet die Qualität der Gesetze, und es gibt rasante Erosionserscheinungen in der liberalen Demokratie. Ohne Opposition bist du in zwei, drei Jahren in einer gelenkten Demokratie, und es passiert jede Woche so etwas, wie es beim BVT geschehen ist: Irgendwelche Typen wollen schauen, was geht. Gibt es keine Gegenwehr, sind die hemmungslos. Und Innenminister Herbert Kickl lebt das gerade wieder vor. Wer uns die freie Meinung nehmen will, der will uns die Freiheit nehmen. Da müssen wir entschlossen dagegenhalten. Nicht nur im Parlament. Überall. Jeden Tag.

Der scheidende Neos Chef kritisiert die türkis-blaue Regierung scharf.
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STANDARD: Einerseits sind Sie scharfer Kritiker, andererseits stimmen Sie beim Arbeitszeitgesetz mit, obwohl Sie sich vorher über das Vorgehen von Türkis-Blau lautstark beschwerten. Wieso?

Strolz: Wir brauchen eine Modernisierung des Arbeitszeitregimes. Hunderttausende Menschen müssen zu Monatsende ihre Stundenlisten nachfrisieren. Das ist oft zum Nachteil der Arbeitnehmer, weil dann Stunden unter den Tisch fallen.

STANDARD: Trotzdem stimmen Sie einem – Ihren Worten nach – schlechten Gesetz zu. Ihre Stimmen hätte es nicht mal gebraucht.

Strolz: Das Gesetz ist nicht so gut, wie wir es uns wünschen würden. Aber wir mussten abwägen, ob wir trotzdem mitgehen. Im Trubel haben wir übersehen, die Nachbesserungen, die aufgrund des medialen, aber auch wegen des Drucks aus der Opposition, hineingenommen wurden, zu kommunizieren. Das war ein Fehler. Denn es waren Verbesserungen, sodass wir entschieden haben mitzugehen. Wir haben das über Jahre hinweg gefordert. Es ist in der Politik nicht alles schwarz-weiß, es gibt 50 Schattierungen dazwischen.

STANDARD: Wie gehen Sie dann bei der Kassenreform vor? Die ist auch eine zentrale Forderung der Neos.

Strolz: Dieses Gesetz ist nur eine Lüge. Wir müssen immer beurteilen, wie voll das Glas ist. In diesem Fall ist es nicht mal ansatzweise halbvoll. Die Milliarde, die die Regierung behauptet, einzusparen, steht gar nicht im Gesetzesentwurf. Es geht vor allem ums Umfärben und den Erhalt von Sonderprivilegien. Es wird sogar eine weitere Verwaltungsebene eingezogen.

STANDARD: Sie schließen aus, dass die Neos mitstimmen?

Strolz: Ja, ich glaube diesen Marketing-Überschriften nicht mehr. Wir wurden nie miteinbezogen. Die Regierung agiert als hermetisch abgeschlossener Raum.

STANDARD: Im Parlament reicht dabei auch eine einfache Mehrheit.

Strolz: Kurz und Strache haben ein falsches Demokratieverständnis. Sie bedienen eine reine Kampfmetapher, die Opposition ist nur der Feind. Es muss aber Wettbewerb und Zusammenarbeit geben. Auch wir arbeiten immer wieder mit der FPÖ zusammen, obwohl mir das emotionale Verrenkungen abverlangt. Ich muss trotzdem respektieren, dass sie eine gewählte Partei sind. Diese Regierung ist weder beim Reform- noch beim Integrationsthema gesprächsbereit.

"Dieses Gesetz ist nur eine Lüge": Neos-Gründer Matthias Strolz stellt vor seinem Abschied der türkis-blauen Kassenreform ein vernichtendes Zeugnis aus.
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STANDARD: Unter Integration läuft das Kopftuchverbot für Kindergarten und Volksschule, das nun fixiert wurde. Wie stehen Sie dazu?

Strolz: Die Regierung schmeißt eine Überschrift hin, von der sie weiß, das sie sich in der Bevölkerung gut verfängt, weil sie Ängste und Emotionen abholt. Kurz bleibt am liebsten beim Problem, er geht selten in die Lösung. Als die Diskussion aufkam, haben wir signalisiert, dass wir offen sind, weil wir dringend ein Integrationspaket brauchen. Kurz hat keine drei Stunden gebraucht, um uns medial auszurichten, dass es keine Gespräche mit der Opposition geben wird. Er will den Kassenschlager Kopftuchverbot einfach noch sechs Monate spielen.

STANDARD: Für Ihre Partei ein Zwiespalt: Viele Liberale wollen doch religiöse Symbole zurückdrängen.

Strolz: Wir dürfen aber nicht eine Religion diskriminieren. Für uns ist es wichtig, dass es eine rechtsstaatlich einwandfreie Lösung ist. Ich verstehe, dass Zuwanderung und der hohe Migrantenanteil an Schulen verunsichern können. Wir sind im Wiener Schulsystem an einem Punkt angelangt, bei dem wir bremsen müssen. Diversität kann auch zu viel sein. Hand aufs Herz: Jeder von uns würde bei 95 Prozent Migrantenanteil seine Kinder an der Hand nehmen und eine andere Schule suchen. Das sind für alle Beteiligten keine guten Bedingungen, wenn die gemeinsame Unterrichtssprache nicht funktioniert.

STANDARD: Was ist Ihre Antwort?

Strolz: Wir wollen Zusatzbudgets für Brennpunktschulen, die sie schulautonom einsetzen können. Jede Schule braucht andere Maßnahmen, mit Qualitätssicherung und unter wissenschaftlicher Begleitung. Wir brauchen ein Fach Ethik und Religionen. Das ist ein hochrelevanter Bestandteil unserer Gesellschaft, damit sollen sich die Kinder auseinandersetzen. Die AHS sollen sozial mehr durchmischt werden, deswegen braucht es einen Sozialindex, der zwar gesetzlich schon verankert wäre, aber von dieser Regierung sicher nicht ausgerollt wird. Sprachliche Frühförderung ist wichtig, die Muttersprache müssen wir prominent fördern.

STANDARD: Was ist aus dem Flügelheben geworden?

Strolz: Mit einer einzelnen Maßnahme werden wir es nicht hinbekommen. Ich teile aber nicht, im Gegensatz zu vielen Verantwortlichen, die Generalhypothese des österreichischen Schulsystems, dass Ausländerkinder, wie sie am Stammtisch genannt werden, dümmer sind als Inländerkinder. Die Gauß'sche Talenteverteilungskurve kennt keine Ethnie, Türkenkinder bringen genauso viele Talente mit wie Kinder von klassisch österreichischen Familien. Wir waren nicht fähig, diese Talente zu begleiten, das ist Chancenvernichtung, volkswirtschaftlicher Schwachsinn und Flügelbrechen im großen Stil. Mit dieser Regierung hast du hier aber echt keinen Partner für Veränderung. (Marie-Theres Egyed, 26.9.2018)