Wenn auch die CDU/CSU nach der letzten Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Yougov mit 26 Prozent wieder vor den Grünen mit 22 Prozent liegt, zeigen alle Umfragen der vergangenen Wochen, dass nur diese zwei Parteien um den ersten Platz bei der deutschen Bundestagswahl am 26. September konkurrieren dürften. Vor vier Wochen waren die Grünen sogar noch knapp vor der Union gewesen. Wenn sie bei der Wahl ihren Stimmenanteil im Vergleich zu 2017 wirklich fast verdreifachen könnten, wäre dies ein politisches Wunder. Während die beiden Parteien noch immer dicht beieinanderliegen, würde die grüne Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock bei einer direkten Wahl des Kanzlers oder der Kanzlerin mit 28 Prozent sogar weit besser als der CDU-Kandidat Armin Laschet (18 Prozent) abschneiden.

Die grüne Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock.
Foto: EPA/FILIP SINGER

Im Gegensatz zu den Grünen, die bei der Wahl des Spitzenkandidaten zwischen den beiden Co-Vorsitzenden der Partei diszipliniert gehandelt haben, bot die Union das Bild einer Partei, deren Führungsfiguren in ihrem hemmungslosen Kampf um die Kanzlerkandidatur so viel Porzellan zerschlagen hatten, dass der Mythos von der CDU/CSU als natürliche Regierungspartei vor allen Augen unwiderruflich zerstört wurde. Man erfährt aus dem spannenden neuen Buch von Robin Alexander (Machtverfall, Merkels Ende und das Drama der deutschen Politik, Siedler-Verlag) und den von ihm nüchtern und glaubwürdig beschriebenen vielen bisher unbekannten Einzelheiten, wie chaotisch und nach welchen hasserfüllten Intrigen der Spitzenpolitiker das Endspiel um die Kanzlerkandidatur mit dem Sieg Laschets gegen den machtgierigen, aber von der Mehrheit der Deutschen bisher bevorzugten bayerischen Regierungs- und CSU-Chef Markus Söder abgelaufen ist.

Bestimmende Rolle

Der Autor enthüllt die bestimmende Rolle, die der Rangälteste der CDU-Politiker, der 78-jährige Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble, hinter den Kulissen gespielt hatte. Schäuble habe in internen Gesprächen seine Parteifreunde beschworen, nicht auf den CSU-Chef hereinzufallen. Söder wolle die Partei unter seine Herrschaft bringen – so wie Sebastian Kurz die ÖVP in Österreich: "Wenn wir uns Söder beugen, dann ist unsere CDU tot. Dann treten wir in vier Jahren als 'Liste Söder' an." Interessant war auch, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel, die prägende CDU-Persönlichkeit der letzten 16 Jahre, während der ganzen entscheidenden sechseinhalbstündigen Vorstandssitzung kein einziges Wort gesagt und sich bei der Abstimmung, wie fünf andere Vorstandsmitglieder, der Stimme enthalten hat.

CDU-Parteichef Laschet, den 6o-jährigen Ministerpräsidenten des Landes Nordrhein-Westfalen, mit seiner ruhigen Art und dem Willen zum Ausgleich, sollte man allerdings trotz seiner katastrophalen Umfragewerte nicht abschreiben, warnt Alexander: "Diesen Fehler haben schon viele begangen."

Die strahlende, um 20 Jahre jüngere grüne Spitzenkandidatin (mit überhaupt keiner exekutiven Erfahrung) hat wegen der verspäteten Anmeldung der aufsehenerregenden Sonderzahlungen ihrer Partei schon leichte Einbußen bei ihren Beliebtheitswerten hinnehmen müssen. Ein spannendes Wahljahr in dem bedeutendsten EU-Staat! (Paul Lendvai, 31.5.2021)