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Ein Bischof (Julius Best) gerät bei Jean Genet in sinnliche und politische Nöte: eine Eötvös-Opernszene aus Aix

Foto: APA/epa/AFP/ Anne-Christine Poujoulat
Beim 54. Festival von Aix-en-Provence erlebte Peter Eötvös' Oper "Le balcon" ihre Uraufführung. Das Werk gastiert 2003 bei den Festwochen. Aix-en-Provence - Jean Genet verfasste mit dem Balkon eine scharfe, ironische, poetische Satire um Sein und Schein, fiktive und echte soziale Etiketten. In Madame Irmas Bordell, genannt "Der Balkon", imitiert ein streng geregeltes Rollenspiel zwischen Kunden und Dirnen soziale und sexuelle Machtfunktionen.

Die Uraufführung der Opernversion des Balkon fand als Auftragskomposition von Peter Eötvös zur Eröffnung des 54. Festivals von Aix-en-Provence statt. Der 58-jährige Ungar Eötvös, dessen 1998 an der Lyoner Staatsoper uraufgeführtes Musikdrama Die drei Schwestern mit mehreren Inszenierungen in ganz Europa zum größten Opernerfolg der 90er wurde, verbucht mit dem Balkon einen weiteren Pluspunkt in seiner Karriere.

Denn Eötvös dirigiert auch die 19 Solisten der zeitgenössischen Pariser Spitzenformation Ensemble Intercontemporain, deren Leiter Hervé Boutry den ersten Anstoß zur Uraufführung gab. Als der junge französische Regiestar Stanislas Nordey in den Niederlanden Eötvös' Drei Schwestern inszenierte, wurde die Zusammenarbeit zwischen dem Komponisten, dem Orchester und dem Regisseur beschlossen. Dazu gesellten sich der Aixer Festivaldirektor Stéphan Lissner und sein Mäzen, die Finanzgruppe Vivendi Universalis, mit einer sub- stanziellen Zubuße.

Eötvös' französische Oper, in Sprechgesang und Parlando verständlich, ist generell gefällig. Anleihen im Bereich des Jazz erklingen ab den ersten Noten. Chansons der 50er-Jahre, Akkorde aus Kurt Weills Mahagonny oder Ravel und Debussy: Die Referenzen sind eindeutig, die Musikdramaturgie wirkt satirisch. Als Begleitlinie erklingt elektroakustische Musik, die besonders die Welt von außen, wo rund um das Freudenhaus die Revolution mit Geknatter und Explosionen tobt, wiedergibt. Slapstick-Einlagen wie in Filmen mit Fred Astaire (der allerdings besser tanzte als die Sänger) und kleine ironische Gesten unterstreichen den schrägen Charakter.

Das von Stanislas Nordey gewählte Haus der illusionistischen Freuden ähnelt einer ästhetisch perfekten Kunstgalerie mit weißen Wänden und je einer gelben, roten und grünen Leinwand für die Szenen des Bischofs, des Richters und des Generals.

Dort findet im zweiten Teil der knapp zweistündigen Aufführung die Umkehrung der Situation statt. Was im ersten Teil nur Rollenspiel war, wird durch den Druck von außen zur Realität der Figuren. Die clevere Puffmutter Irma (Hilary Summers) wird zur Königin ernannt und der Polizeipräfekt (Harry Peeters), bisher der Fädenzieher im Puff, entmachtet. Entmannt wird er anschließend (zumindest symbolisch), als ein Kunde seine, des Präfekten, Rolle spielen möchte. Der naive Kunde negiert jedoch das Spiel und legt effektiv das Messer an seine Hosen/Hoden an, woran ihn Madame Irmas Vertraute Carmen (die hinreißende, viel beklatschte Morenike Fadayomi) nicht hindern kann. Mit dem Realitätssinn der Puffmutter löscht Madame Irma das Licht am Balkon.

Luc Bondy hat das Eötvössche Opernopus, das vom Publikum lahm-freundlich und von der Kritik mit Ressentiment aufgenommen wurde, bereits für das Programm der Wiener Festwochen eingeplant. Hoffentlich wird sich das Freudenhaus Le balcon auf dem Wege von Aix-en-Provence nach Wien sinnlich aufheizen. (DER STANDARD, Printausgabe, 17.7.2002)