Wien - Don Quijote von Miguel de Cervantes Saavedra muss - hier sind sich sämtliche Experten einig - als ein literarisches Monument angesehen werden; ein "Menschheits-Epos" hat es Golo Mann genannt. Anfänglich als Parodie der gängigen Rittergeschichten jener Zeit konzipiert, wuchs Cervantes' Riesenwerk zu einem Stück Welttheater an, zu der Tragikomödie des menschlichen Idealismus. In der Titelfigur sieht Golo Mann einen Utopisten, der Frieden schenken will, Gerechtigkeit und Freiheit, Egon Friedell erkennt in ihm den "Urtyp des Dichters", der entdeckt hat, dass "die Realität in ihrem innersten Wesen nach immer enttäuschen muss, weil sie das Unwesentliche ist". Don Quichotte von Jules Massenet ist natürlich kein musiktheatralisches Monument, in jedem Fall aber ein unterhaltsames, rührendes Werk der Opernliteratur. Das Libretto von Henri Cain - verfasst nicht nach Cervantes' Vorlage, sondern nach einem populären Drama Jacques Le Lorrains - ist witzig, dicht und hat Tempo; Massenet schneiderte für seinen Opernletztling (1910) perfekt sitzende, farbenprächtige Harmonie-und Melodiekleider um den Textkörper. Da stichelt, hüpft und blubbert es aus dem Orchestergraben, wenn Don Quichotte seine skurrilen Momente hat; die Flöten fiepen, die Geigen ploppen mit einer neckisch-vergnügten Anschaulichkeit. Und wenn der Ritter von der traurigen Gestalt seine Dulcinea anschmachtet, bastelt Massenet Melodien dazu, die in Ohr, Herz oder Hirn kleben bleiben bis ans Ende aller Tage. Dank und Applaus an dieser Stelle an beziehungsweise für Emmanuel Villaume. Das RSO Wien betörte unter der Leitung des Franzosen mit Wucht und Wärme, mit Raffinement und Sentiment, Villaume darf wohl als Hauptverantwortlicher für die vielen begeisterten Bravos am Ende der Aufführung herangezogen werden. Auch die Sänger mühten sich nach Kräften: kernig die Dulcinea Liliana Nikiteanus, sexy, dominant; ja, man nahm ihr am Ende ab, dass sie den süßen alten Weirdo, der ihr gerade einen Heiratsantrag gemacht hatte, irgendwie doch liebte - das muss man erst einmal hinbekommen. Eine ansteckende, natürliche Heiterkeit war Richard Bernstein als Sancho Pansa zu Eigen, mit Kontur und mitunter fast zu präsent sein Bassbariton. Mit seinem Ungestüm spielte er David Pittsinger als Titelheld etwas an die Wand, blieb dieser doch allzu uniform im Ausdruck; die Gesinnungsnoblesse, die Kauzigkeit, die Herzenswärme des Don Quichotte zu vermitteln, war dem Amerikaner nur sehr eingeschränkt möglich, schade, schade. Von klarer Poesie, gesamtatmosphärisch aber doch etwas kühl die Inszenierung Torsten Fischers: Das Narrenturm-Assoziationen evozierende Bühnenbild (Herbert Schäfer) spielte eher ins Aseptische, auch die in Schwarz-Weiß gehaltenen Kostüme Ute Lindenbergs verströmten wenig Sinnlichkeit; dann und wann wärmte Hartmut Litzingers primärfarbenfreudige Lichtregie die Sache erfreulich an. Die hinzugefügte Figur des Cervantes (mephistophelisch: Tim Grobe) als Conférencier ist nicht neu, kann man machen, warum auch nicht. Packend und poetisch gelang die Windmühlenkampf-Szene. Ganz, ganz schlimm: die weißen Pferde. War man berührt, danach? Eh, ein wenig. Eine passable Sommerproduktion in Wien also, da soll man jetzt auch nicht groß meckern. (DER STANDARD, Printausgabe, 18.7.2002)