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Schwer lastet das Endzeitszenario von Vera Bonsen auf den filigranen Klängen: das Bühnenbild zu "Julietta"

Foto: APA/Forster
Die österreichische Erstaufführung von Bohuslav Martinus filigraner Oper "Julietta" bei den Bregenzer Festspielen misslang: Regisseurin Katja Czellnik setzte auf krude Eindeutigkeiten. Der Albtraum ist daher schon zu Beginn vollends ausgebrochen. Bregenz - Was wäre Kultur ohne Gedächtnis? Sie existierte nicht. Umso bedrohlicher ist die Vorstellung einer Gesellschaft ohne Erinnerung, die geschichtslos im vergessenstrunkenen Strom des Geschehenden treibt. Wie die Bewohner jener Hafenstadt, in die es den Helden von Bohuslav Martinus selten gespielter Oper Julietta verschlägt. Der Gesang des schönen Mädchens hatte Michel so sehr in den Bann geschlagen, dass die obsessive Suche nach Juliette zum einzigen Inhalt seines Lebens wird - ehe er selbst diesen zu vergessen beginnt. Dieser surreale Albtraum fügt sich nicht nur nahtlos in die bisherige Dramaturgie der Bregenzer Festspiele, sondern bildet auch ein sinnfälliges Gegenstück zur surreal inszenierten, heuer wieder aufgenommenen Bohème auf der Seebühne. Martinu, dessen Griechische Passion 1999 in Bregenz zu sehen war, hat 1936/37 aus einem Theaterstück von Georges Neveux eine Oper geschaffen, die sich filmschnittartiger Techniken bedient und satte Tuttipassagen von spröde begleiteten oder gar nur gesprochenen Szenen ablösen lässt. Anders als in der Griechischen Passion tauchen bestimmte Motive jedoch immer wieder auf: Nicht nur Juliettes zarter Gesang, in dem wie bei Janácek die tschechische Folklore hörbar wird, verfolgt Michels Fantasie, auch ein nahezu leitmotivisch klagendes Englischhorn und ein sehnsüchtiges Akkordeon, das auf die zweite Inspirationsquelle verweist: den französischen Impressionismus. Unschwer sind in der Gestalt Juliettes Züge von Debussys Mélisande zu erkennen, deren klangliche Spur sich durch die Oper Martinus zieht. Die Ignoranz dieser ätherischen Flüchtigkeit wird dem Bühnenbild der österreichischen Erstaufführung zum Verhängnis: Schwer lastet das Endzeitszenario, das Vera Bonsen mit sich türmendem Wohnzimmerinventar in das Festspielhaus gezimmert hat, auf den filigranen Klängen Martinus. Anstatt deren beständiges Changieren zu reflektieren, setzt auch Regisseurin Katja Czellnik auf krude Eindeutigkeiten: Kaum ist Michel von einem riesigen Bücherturm gekracht, findet er sich in einem Abwasserkanal wieder, aus dessen rissigen Wänden Stühle, Tische und Schränke quellen. Unnötige Bilderfluten Womit bereits alles vorentschieden ist: Statt die zunehmende Verstrickung Michels in seine immer stärker werdenden Obsessionen zu zeigen, ist der Albtraum schon zu Beginn vollends ausgebrochen. Rastlos fuchteln Komparsen mit überlangen Zollstäben, ruhelos werden Celli geritten, Boote oder Klaviere über die Bühne gezogen, Räder gerollt - doch all das sisyphosartige Getriebe ersäuft die feingliedrige Musik in unnötigen Bilderfluten. Dietfried Bernet am Pult der Wiener Symphoniker hatte es zweifellos schwer, sich gegen diese szenische Überinstrumentierung durchzusetzen. Allerdings wären auch aus dem Graben feinere Schattierungen und ein größerer Variantenreichtum in der Tempowahl wünschenswert gewesen. Allzu monochrom auch der Tenor Johannes Chum, der als Michel im engen Primaneranzug verklemmt durch das Horrorszenario geistert, um nach der gleichfalls etwas farblosen Juliette von Eva-Maria Westbroek zu suchen. Um der misslungenen Premiere auch einen positiven Aspekt abzugewinnen, sei auf die stets im Einklang mit der Musik stehende Übersetzung verwiesen, die Bernet gemeinsam mit Ale Brezina, dem Direktor des Prager Martinu-Instituts, verfasst hat. Solch einen traumverlorenen Sog hätte man auch der Aufführung gewünscht. (DER STANDARD, Printausgabe, 19.7.2002)