Bregenz - Was wir immer schon geahnt haben, fand Donnerstag eine Bestätigung: Alfred Wopmann ist der Prospero vom Bodensee. Aufgrund des anhaltenden Schlechtwetters zum Outing genötigt, jagte er mit wildem Blick die dunklen Regenwolken über den aufgepeitschten See, um dem erstaunten Publikum zu Beginn der Seebühnenpremiere einen zuckerlrosaroten Sonnenuntergang zu präsentieren. Mit dem Regen wichen auch die düsteren künstlerischen Wolken, die nach der missglückten Premiere von Julietta über den Festspielen schwebten: Denn La Bohème erwies sich auch bei der Wiederaufnahme als intelligente Mischung aus exakt choreografierten Revueelementen, genau beobachteten Milieustudien und intimen Situationen ohne jeden Anflug von Sentimentalität. Durch Perfektionierung gelang es den Regisseuren Richard Jones und Antony McDonald, ihr Konzept ohne große Veränderungen noch genauer auf den Punkt zu bringen. Alle Befürchtungen, die nahezu kammermusikalische Intimität von Puccinis Oper würde, ähnlich wie 1995/96 bei Beethovens Fidelio , durch die riesigen Dimensionen der Seebühne verloren gehen, zerstreute das Bühnenbild der beiden Briten rasch: Nähe schaffen schon die überdimensionalen Stühle, die um die riesigen, runden Metalltische stehen, auf denen die Bohemiens einen ähnlich grausamen Totentanz vollführen wie die Adelsgesellschaft in Verdis Maskenball . So nebenbei gelingt Jones und McDonald eine bissige Karikatur der aufgeblasenen Pariser Schickeriaszene, die auf dem horrorartig vergrößerten Kaffeehausinterieur zu einem Haufen von Winzlingen schrumpft. Wenn dann die übergroßen Postkarten der "Editions Chantal" aufgeklappt werden, entstehen aber rasch kleinere Räume, in denen die Beziehungen zwischen den Protagonisten sehr genau wahrgenommen werden können. Auch die Feigheit Rodolfos, der noch in der Stunde ihres Todes angstvoll zurückweicht vor Mimi, die, allein gelassen auf einer beleuchteten Fläche wie Schneewittchen in seinem gläsernen Sarg, einen einsamen Tod stirbt. Auch musikalisch ließ der Abend kaum Wünsche offen: In Rolando Villazon besitzen die Bregenzer Festspiele einen hörenswerten Rodolfo, der in Ludovic Tézier als Marcello und Elena de la Merced als exhibitionistischer Musetta ebenbürtige Partner fand. Wenngleich nicht immer ihre Linie haltend, brachte auch Alexia Voulgaridou eine berührend dunkle Färbung ins grausame Spiel. Die nötige Verve vermittelten Ulf Schirmer und die Wiener Symphoniker, die energievoll aus dem Unterwassergraben tönten. (DER STANDARD, Printausgabe, 20./21.7.2002)