Was verbindet den Dichterfürsten Goethe und Bollywood? In der Tanzsoap "Total Masala Slammer - Heartbreak N° 5" immerhin die Sphäre des Pops. Ein Interview mit Regisseur Michael Laub Standard : Während einer Reise mit der bildenden Künstlerin Marina Abramovic nach Indien haben Sie vor zweieinhalb Jahren begonnen, an "Total Masala Slammer" zu arbeiten. Warum setzten Sie sich mit der indischen Filmfabrik Bollywood auseinander? Laub : In einem Hotelzimmer auf Sri Lanka hatte ich indische Soap-Operas im TV gesehen. Die unglaubliche Präsenz von Sex und Gewalt darin hat mich fasziniert, und auch die Dramaturgie der Bollywoodfilme. Da tanzt zum Beispiel ein Kerl, der wie Elvis aussieht, mit 20 Mädels. In der nächsten Szene kämpft seine Braut gegen einen Zuhälter, der sie gleich vergewaltigen wird. Es geht zurück zu Elvis, der nicht weiß, was gerade mit seiner Zukünftigen passiert, und dann diskutieren die Familien der beiden 20 Minuten lang über die Hochzeit. Cut: die Vergewaltigung. Und der Typ tanzt immer noch mit den Gänsen . . . Ich dachte, die arbeiten ähnlich wie ich! STANDARD : Masala ist eine indische Gewürzmischung. Was hat sie mit Bollywood zu tun? Laub : Die Filmer von Bollywood haben von überallher gestohlen. O. k., das ist eine Art Pop-Ding. Aber sie haben das Gestohlene in etwas Originales verwandelt. Ich bin für eine solche Bastardisierung, weil ich es hasse, wenn Leute denken, etwas Bestimmtes sollte vorherrschen. Das ist unkreativ und unglaublich antiästhetisch! Das kratzt aber etwas an der bei uns üblichen Verklärung Indiens . . . Ich verhalte mich zu den Indern so, wie ich mich zu allen verhalte. Mir ist es wirklich egal, woher jemand kommt, welches Geschlecht oder Farbe die Person hat. Furchtbar, diese herablassende westliche Attitüde, Indien sei niedlich oder exotisch! STANDARD : . . . und dann haben Sie auch noch das Werk eines Dichterfürsten beigemischt. Laub : Ich dachte an Goethe, weil er gewissermaßen einer der ersten Popstars war. Die Leute kleideten sich damals so wie sein Werther, und einige begingen, nachdem sie das Drama gesehen hatten, Selbstmord. STANDARD : Warum aber ein deutscher Klassiker? Laub : Weil ich dachte, ich habe es mit indischer Klassik zu tun, das muss ich mit etwas Westlichem ausbalancieren, es geht um gebrochene Herzen, also nehmen wir Goethe... STANDARD : Sie präsentieren "Die Leiden des jungen Werther" als Soap und lassen eine westliche und eine östliche Seifenoper aufeinandertreffen. Laub : Werther war Mode wie kein anderes Stück. Man kann wirklich das Wort "Mode" benutzen. Und guter Trash hat manchmal einen poetischen Wert. Ich dachte, na gut, in Goethes Sprache und seinen kulturellen Referenzen gibt es zwar vieles, das nicht so wirklich zeitgenössisch ist - aber ich konnte die Qualität der Sprache respektieren. Ich habe sie genauso respektiert wie den Kathak, der in dem Stück daherkommt wie eine gute Probe in einem indischen Tanzstudio. Manchmal benutze ich Text, aber auf eine melodische Art, um psychologischen Verwicklungen zu entkommen. Das muss ich mit dem Theater machen, weil Theater so langweilig ist. STANDARD : Und warum spielt Kathak, diese klassische indische Tanzform, in "Total Masala Slammer" eine so wichtige Rolle? Laub: Ich habe mich zufällig in den Kathak verliebt, weil er von religiösen Symbolismen total frei ist. Und es gibt eine Verbindung zu Bollywood: Man verwendete dort in den 50er-Jahren enorm lange Kathaknummern, weil dieser Tanz extrem rhythmisch ist und so der kinematografischen Schnittechnik sehr entgegenkommt - und, weil er sehr sexy ist. STANDARD : Ihre Soloarbeit "pigg in hell" ist vor "Total Masala Slammer" entstanden; die beiden Stücke haben eine Gemeinsamkeit - die Berliner Tänzerin Astrid Endruweit. Laub : In Madras habe ich ein indisches Schulmädchen in einer veralteten britischen Schuluniform gesehen und dabei sofort an Astrid gedacht. Sie ist ein Phänomen! STANDARD : Wie haben Sie mit ihr für "pigg in hell" gearbeitet? Laub : Sie war in einem Workshop, den ich gab, und hatte diese Idee von einer pervertierten Kindheit. Sie besaß die unglaubliche Fähigkeit, beides - Unterdrücker und Unterdrückte - spielen zu können. Pigg in hell ist eine ganz nackte Arbeit, sehr von meiner Zeit in Schweden beeinflusst, denn skandinavische Kunst ist ja so oft grausam nackt. (DER STANDARD, Printausgabe vom 23.7.2002)