In diesem Jahr warten die Bayreuther Festspiele mit einer enttäuschenden neuen Version von Richard Wagners "Tannhäuser" auf. Das Publikum reagierte mit durchaus berechtigten Pfiffen gegen Regisseur und Ausstatter Philippe Arlaud - und mit unberechtigten gegen den Dirigenten Christian Thielemann.Bayreuth - Eines muss man Richard Wagner lassen: Für seine 30 Jahre, die er bei der Fertigstellung des Tannhäuser -Librettos gerade zählte, hat er in Sachen Erotik recht gut Bescheid gewusst. Was nicht heißt, dass er in manchen Dingen, wie etwa der Findung eines Titels, nicht doch auch gehörig naiv war. So sollte der Tannhäuser ursprünglich Der Venusberg heißen. Erst das helle Gelächter der Dresdener Medizinischen Akademie gemahnte Wagner an den anatomischen Nebensinn dieser Ortsbezeichnung und bewog ihn zur Abänderung, auf dass nicht gleich ein jeder mit der Nase auf diesen Venusberg gestoßen werde.

Dies bleibt laut Libretto bekanntlich nur dem liebestrunkenen Tannhäuser gleich zu Beginn des Werkes vorbehalten. Nach des Meisters Vorstellung hat er, vor Venus "halb kniend, das Haupt in ihrem Schoße" zu bergen. Im Falle der diesjährigen Neuproduktion bleibt dem Minnesänger solches erspart. Mehr noch, Philippe Arlaud, Regisseur und Ausstatter, lässt die schmachtende Liebesgöttin zunächst einmal auf ihrem unangenehm schrägen Geviert überhaupt allein.

Insofern ist es in der Folge nicht ganz unlogisch, wenn Venus dann samt ihrer trägen Gespielinnen einschlummert. Und dies vor den Augen des deutschen und des ungarischen Staatspräsidenten sowie auch unseres Herrn Bundeskanzlers, die sich unter den Ehrengästen befanden. Doch nicht nur der erotische Frust mag die Ursache für solchen Schlummer sein. In Bayreuth herrscht auch sonst tote Hose. Nach Wolfgang Wagners taktischem Sieg über alle, die ihn als Festspielchef aushebeln wollten, köchelt alter Zwist bloß an einer Nebenfront weiter: Anlässlich von Brigitte Hamanns erschienenem Buch rechtet man wieder einmal über die Nazivergangenheit von Winifred Wagner und ihrer beiden Söhne.

Überdies könnten auch die Ouvertüre und die Venusbergmusik auf Venus eine nicht zu unterschätzende kalmierende Wirkung ausgeübt haben. Christian Thielemann geriet die Ouvertüre nämlich viel zu behäbig. Bedauerlicherweise hielt diese orchestrale Trockenheit den ganzen ersten Akt über an, was gemeinsam mit den linkischen Aktionen der schließlich und endlich doch auftretenden Titelgestalt fast schon wieder Sinn machte.

Schlafende Geliebte

Zum einen ist es nämlich nicht ganz unverständlich, wenn ein Erotomane wie Tannhäuser sich durch den Anblick seiner schlafenden Geliebten nicht sonderlich angeturnt fühlt und flugs das Weite suchen will. Da Letzterer aber nach ihrem Erwachen seinerseits auch nur mit Helm, Schwert oder - wie Beckmesser - hastig mit ein paar Notenblättern hantiert, ist es nicht weiter verwunderlich, wenn ihre Efforts, ihn zurückzuhalten, nicht sonderlich intensiv ausfallen.

Dass dies letztlich mit Wagners Tannhäuser natürlich so gut wie gar nichts zu tun hat, beweist nur, dass man einer Oper auch jenseits verkrampfter politischer Regiekonzepte inszenatorische Gewalt antun kann. Auch dann, wenn dies auf so dekorative und so bunt aufgehübschte Weise so belanglos geschieht wie diesmal. Die Pilgerszenen spielen in einem moosig begrünten, von Blümchen durchsetzten Tunnel. Die Sängerhalle auf der Wartburg gleicht einem steil ansteigenden Auditorium, das von einer bunten Menge bevölkert ist. Das kostümografische Esperanto, in das sie Carin Bartels einkleidet, entspricht ganz der Gefälligkeit dieser Produktion.

Die Umständlichkeit der Aktionen und auch deren stets dick auftragende Vordergründigkeit machen diesen Tannhäuser optisch zum würdigen Nachfolger von Wolfgang Wagners Meistersinger-Inszenierung. Kein Wunder also, dass Philippe Arlauds Erscheinen ein Fortissimo an Pfiffen provozierte. Befremdlich allerdings, dass auch Christian Thielemann vom Publikum ungebührend unfreundlich behandelt wurde. Denn nach einem zugegeben müden Beginn steigerte sich die Aufführung zu Intensitätsgraden, deren Hitze dem gegen alle Etikette anrennenden Geist des Werkes und dem Temperament der Musik entsprachen.

Leider hatte nur Roman Trekel als Wolfram von Eschenbach die stimmlichen und technischen Voraussetzungen, um mit dem Niveau, das Thielemann schließlich mit dem Orchester vorgab, mitzuhalten. Am nächsten kam ihm Kwangchul Youn als vorbildlich wortdeutlicher Landgraf. Ricarda Merbeths klar gesungene Elisabeth wird an dramatischer Eindringlichkeit sicher noch zulegen. Was auch für Barbara Schneider-Hofstetters mitunter etwas forciert klingende Venus wünschenswert wäre.

Tannhäuser Glenn Winslade wurde vor Beginn der Aufführung für seine wegen einer Beinverletzung eingeschränkte Aktionsfähigkeit entschuldigt. Kann sein, dass ihn dieses Handicap auch stimmlich behinderte. Sein Gesang klang bis zur Romerzählung angestrengt, die Töne landeten fast durchwegs zu tief. Dramatik wurde wie in fast allen Aktionen mit Hektik verwechselt. (DER STANDARD, Printausgabe, 27./28.7.2002)