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Foto: APA/Barbara Gindl
Mitte der Achtzigerjahre beschloss ein 24-jähriger Regiestudent sein Studium an der Grazer Hochschule für Musik und darstellende Kunst mit einer Diplomarbeit über Robert Wilson und einer Inszenierung namens "Ultramarin". Der Student hieß Martin Kusej, und es ist kein Zufall, dass es des Texaners Wilson kosmisch weite blaue Traumräume waren, die den Kärntner Lehrersohn früh faszinierten. Bis heute entwickeln sich Kusejs Inszenierungen aus dem Bauch des Raums heraus, sind es die großen, wuchtigen Raumentwürfe seines Freundes Martin Zehetgruber, in die er seine Ideen einschreibt. Die anspruchsvollen kathedralen Raumwelten des doppelten Martin bedürfen des großen, des ganz großen, möglichst perfekt arbeitenden Theaterapparats, weswegen der wilden, freien Zeit in der Off-Szene ihrer Gruppe "My friend Martin" nur eine kurze Lebensdauer beschieden war. Die aber reichte hin, den Namen Martin Kusej - wir befinden uns mittlerweile in den frühen Neunzigerjahren - in den Köpfen der Talentsucher als den eines radikalen Theaterdenkers zu verankern. Bald folgte die zweite entscheidende Begegnung in Kusejs Künstlerbiografie. Friedrich Schirmer, designierter Intendant des Staatstheaters Stuttgart, vertraute Kusej 1993 mit Grabbes Drama "Herzog Theodor von Gotland" die Eröffnungspremiere an. Die Inszenierung stieß zwar beim Stuttgarter Publikum auf wenig Gegenliebe, doch Schirmer hielt an seiner Entdeckung fest - und heute, neun Jahre und zahlreiche Inszenierungen später, zählen Kusejs Inszenierungen zu den bestverkauften des Spielplans. Stuttgart, als Landeshauptstadt groß genug, um über ausreichend Geld und einen funktionierenden Theaterapparat zu verfügen, als Provinzmetropole abgelegen genug, um eine kontinuierliche Arbeit zu ermöglichen, erwies sich für Kusej nachgerade in mehrfacher Hinsicht als Glücksfall: Nebenan, in der Oper, installierte Klaus Zehetlein zeitgleich Europas spannendste Opernbühne - und lud den Nachbarn 1996 prompt ein, Henry Purcells "King Arthur" zu inszenieren. Beginn einer zweiten Karriere. Mittlerweile haben Kusej und Zehetgruber erreicht, was ihre Räume fordern: Sie sind, wenngleich Stuttgarts Theater- und Opernbühne weiterhin treu, auf den großen, den größten Bühnen zu Hause, die der deutsche Sprachraum für Theater und Oper anzubieten hat. Klaus Bachler holte das Duo ans Burgtheater, in Salzburg warb Peter Ruzicka mit "Don Giovanni" und weiteren Projekten um ihre Gunst. In zwei Jahren folgen sie Wolfgang Wagners Ruf auf den Bayreuther Hügel. Und das Schönste: Nie vergisst das Feuilleton dennoch, ihnen den einmal verhängten Avantgardistenorden der Radikalität mit auf den Staatstheaterweg zu geben. (DER STANDARD, Printausgabe, 29.7.2002)