Bild nicht mehr verfügbar.

Sven-Eric Bechtolf in der Rolle des 'Friedrich Hofreiter' in 'Das weite Land' im Salzburger Landestheater.

APA/HANS KLAUS TECHT

Bild nicht mehr verfügbar.

APA/Hans Klaus Techt
Eine nachtkalte Schnitzler-Inszenierung ohne wahren Glutkern: Andrea Breths freundlich aufgenommene Inszenierung von "Das weite Land" löscht im Salzburger Landestheater die Lebenslichter aus. Sven-Eric Bechtolf liefert als Hofreiter ein Virtuosenstück - nicht mehr.

Salzburg - Bei jeder Fabrikation von Gütern fallen schwer zu entsorgende Stoffe an: ausgebrannte Stäbe, Schuttberge, schwarze Schlacken. Noch emsiger wird nur im Milieu der Seele produziert: Hier steht, in nicht erlahmenden, gesellschaftlich oder eherechtlich gebotenen Arbeitstakten, gleich das ganze, menschenmögliche Glück auf dem Spiel. Doch die dabei entstehenden Abfälle gehen auf keine Kehrichtschaufel.

Arthur Schnitzler, der sich zu seiner Wahlverwandtschaft mit dem Medizinerkollegen Freud ausdrücklich bekannte, hat sich um die Aufbewahrung der Gemütsabfälle und die Filterung der Seelenschlacken unsterblich verdient gemacht.

Er fand das mindestens zu seiner Zeit missverständliche Wort vom "weiten Land der Seele". Von diesem weiß man, dass auf seinem komposttiefen Grund kein Energieträger spurlos verloren geht. Und für das gleißende Nachleuchten der abgebrannten, ausgehöhlten Seele steht ausgerechnet ein Fabrikant von Glühlichtern: Friedrich Hofreiter (Sven-Eric Bechtolf), der in Andrea Breths ölschwarzer Inszenierung von Schnitzlers Das weite Land die leicht reizbare, aber unentwegt fehlzündende Gemüts-Phosphorbombe spielt. Das Sinnbild einer ökologischen Krise: Bechtolf pumpt und irrlichtert brav, im Salzburger Landestheater eingeklemmt zwischen geätzten Milchglaswänden und kleinen Schlackenhäufchen, die für diesmal das Badener Gartenanwesen des wie rasend im Unglück aneinander geschmiedeten Ehepaars Hofreiter vorstellen (Bühne: Erich Wonder).

Bechtolf fabriziert mit torkelnder Zunge, im Kaltnadelstreif oder im Duellantenfrack alle jene Probleme, an deren Nachhaltigkeit er selbst am schwersten leidet. Ihn treibt nicht die Sorge an, sondern ihn spannt die Entsorgung ein: seiner selbst. Denn irgendein verhohlener Makel, ein verstecktes Leid setzen ihm derart zu, dass er die ganze Sommergesellschaft um sich herum, die in vollendetem Müßiggang um ihre höfliche Erwärmung einkommt, mit Spott eindeckt.

Sätze wie Korken

Er schießt mit perlenden Sentenzen auf sie wie mit Sektkorken. Er moussiert und gärt. Er zieht über die edelschimmelkäsebleiche Leidensgestalt seiner Frau Genia (Corinna Kirchhoff) seinen Hohn wie einen besonders schleimigen Ölfilm, aus dem ein paar Vitalitätsblasen gierig blubbernd heraufsteigen. In unbeobachteten Momenten zerläuft ihm dann das Gesicht; verliert Hofreiter, diese leibhaftige Verbrennungsanstalt des Lebensgenusses, jeden Brennwert. Dann nimmt man ihm sogar den bittersten aller Schmerzen ab: dass er alt und kahl und schlackenschwarz für immer weiterleben muss.
Mit dieser immer wieder erregenden, stark schwefelhaltigen Zundleistung Bechtolfs, der wie aus dem Nichts heraus kleine Vitalitäts- und Gagfeuer abbrennt, gerät nun leider das ökologische Gleichgewicht der Arbeit vollends aus dem Lot. Denn wer zum Energieträger nicht mehr taugt, an dem will sich auch niemand anderer mehr erwärmen. Die Genia Corinna Kirchhoffs ver- harrt denn auch wie ein Stück erstarrte Jugendstilkultur in ihrem eigenen, mit Tränenspitzen dicht besetzten Leid.

Wenn sie der Herr Gemahl als ihr unerhörtester Versucher des Treubruches verdächtigt, winkt sie die erste Zigarrenrauchfahne beiseite wie ein lästiges Insekt. Rund um diese beiden lässt Breth, in deren nachtfinsterer Theaterwelt sonst die Figuren zäh mahlend wie Gestirne umeinander kreisen, ein paar Sternschnuppen kreideblass vorüberglühen.
Worin aber bestünde die weithin strahlende Faszination eines unmanierlichen Egozentrikers, eines nicht vergötterten, sondern verköterten Gemahls? Der befreundete Doktor Mauer (Werner Wölbern) steckt fest und bleich in einem undurchdringlichen Wollpanzer aus Noblesse. In den wechselnden Koalitionen mit den Ehepartnern vertritt er das Mehrheitsprinzip: Wer Zuwendung gibt, schafft an. Die Frau Wahl (Elisabeth Orth) ist das neben Hofreiter zweite Schlackenmonster: eine aschfahle Matrone, die auf ihre Konversationsbeiträge kleine, alterslüsterne Spitzentöne hinaufsetzt.
Ansonsten baut Breth Grüppchen aus froststarren Sommergästen: macht aus Hofreiters abgelegter Geliebter Adele Natter (Andrea Clausen) eine kleine Nymphomanin unter Hysterielachzwang, aus dem ewig ungebetenen Tennisgast Paul (Cornelius Obonya) eine Kichererbse, aus dem Hoteldirektor Aigner am Völser Weiher (Gerd Böckmann) einen unwirklichen Hofrat als schmerzliche Erscheinung im rauchzarten Gespensterhotel.
Die Mitte aber, wo Schnitzler mit Hofreiter den Brennstab hineingebaut hat, der erst gleißend die eigene Frau versengt, dann zwei Geliebte hochgradig feuerschädigt, um schließlich einem Fähnrich leichtfertig das Lebenslicht zu nehmen, ist kahl und schwarz und leer. Eine weite Arbeit; aber keine große.

(DER STANDARD, Printausgabe, 17.8.2002)