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Der Intendant der Salzburger Festspiele

FRANZ NEUMAYR/APA
Als Komponist, Intendant der Salzburger Festspiele und Chef der Münchner Biennale setzt Peter Ruzicka nicht auf Lärm, sondern auf die Effekte des Pianissimo.

Peter Vujica

Salzburg - Diese Mischung aus geradezu samariterhafter Zuwendung und strikt gewahrter großbürgerlicher Distanz, mit der einen Peter Ruzicka in sein Zimmer geleitet, kann man nicht lernen. Die beherrscht man, oder man beherrscht sie nicht. Und mit dieser virtuos eingesetzten reservierten Verbindlichkeit war und ist Ruzicka der perfekte Nachfolger auf alle seine bisherigen Vorgänger.

An der Hamburger Oper war er mit seiner abwartenden Ruhe das ideale Kontrastprogramm zum charismatischen Despoten Rolf Liebermann. Ebenso wie sich seine ausgleichende Ruhe später an der Spitze der Münchner Musikbiennale gegen die tyrannische Freundlichkeit abhob, mit der sein Mentor aus frühen Jahren, Hans Werner Henze, vor ihm gewaltet hatte.

Und nun erst recht in Salzburg. In nichts, aber schon gar nichts erinnert er an seinen Vorgänger auf dem dortigen Intendantensessel.

Schon optisch könnte der Unterschied nicht krasser sein. Zählte Gerard Mortier zu den beinah schon rührend unvorteilhaft gekleideten Gestalten der Festspielszene, so vermittelt Peter Ruzickas makelloses Outfit den Eindruck, als hätte seine Haute-Couture-erfahrene präsidiale Büronachbarin an diesem soeben letzte Hand angelegt.

Doch die feine Harmonie, zu der sich die Farbe der Krawatte mit der des Sakkos mischt, verrät seine Neigung zu emotionaler Verhaltenheit. Sie prägt nicht nur seine Umgangsformen, sondern auch sein kompositorisches Schaffen und wohl auch sein Salzburger Programm.

Entzugserscheinungen

Insofern ist dieses ein getreuer Spiegel seiner Person. Nur allzu begreiflich, dass er die nun gar nicht so spärlich hörbare Kritik an diesem als "Entzugserscheinung" diagnostiziert. Deren Ursache sieht er in seinem Verzicht auf Skandale, wie sie in den vorangegangenen Jahren gang und gäbe waren.

Ruzicka: "Nichts ist einfacher für einen Intendanten, als einen Skandal zu inszenieren. Die vorjährige Fledermaus wird von manchen ja als der 11. September des Musiktheaters bezeichnet."

Ein gesunder Schuss Selbst-kritik bewahrt Ruzicka jedoch davor, allfällige emotionale Frustrationen diverser Beobachter als Generalabsolution für sämtliche Schwachstellen seines Programms zu missbrauchen.

Ruzicka: "Den Vorwurf, dass die Neue Musik im heurigen Programm zu wenig vertreten ist, nehme ich an. Zumal, wenn ein Komponist dafür verantwortlich ist."

Dennoch hofft er, mit dem Lachenmann-Schwerpunkt noch einiges an diesem trotz Austria today und Schönbergs Jakobsleiter konstatierbaren Modernedefizit aufzuholen.

Und nimmt einem mitunter sogar das Wort aus dem Mund. Nach der Anmerkung, dass die szenische Gestaltung des dies- jährigen Salzburger Don Giovanni durch Martin Kusej und David Pountneys Turandot eigentlich zwei ästhetische Welten verkörpern, die sich gegenseitig ausschließen, stellt er gleich selbst die Frage: "Was will er eigentlich?"

Ohne auf seinen Vorgänger anzuspielen, möchte Ruzicka jedenfalls auf jegliches Generalmotto, auf das die einzelnen Programmteile wie auf ein Prokrustesbett aufgespannt werden, verzichten.

Nach dem Hinweis, dass just in jenem Jahr (1995), in dem Gerard Mortier das Jahr der Frau proklamierte, ihm Helga Rabl-Stadler als Präsidentin beigesellt wurde, weicht seine gelassene Noblesse dann doch einem kurzen, verschmitzten Lächeln.

Ruzicka: "Jürgen Flimm sagte einmal, das beste Festspielmotto wäre überhaupt Menschen auf der Bühne."

Programminseln

Mehr hält Ruzicka von "Programminseln". So wie sich in einigen seiner Kompositionen stilistisch heterogene Einschlüsse (Wagner, Pfitzner) finden, die dann auf das Nachfolgende, aber auch auf das Vorangegangene ausstrahlen, so verfährt er auch in seinen Programmen.

Heuer war es eine Werkform, für die er auch als Komponist eine gewisse Inklination zeigt: Die faszinierende, herausfordernd rätselhafte Gestalt des Fragments, wie sie in der von Luciano Berio neu vollendeten Turandot, in Alexander Zemlinskys nachgelassener Oper König Kandaules oder auch in Gustav Mahlers von Deryck Cooke rekonstruierter Zehnten Symphonie in markanten Beispielen ihren Niederschlag fand.

Doppeljob

Wohl kann sich Ruzicka gewisse thematische Klammern zwischen einzelnen Programmkomplexen, auch zwischen Musik- und Sprechtheater vorstellen. Dass es aber zwischen seiner Tätigkeit als Salzburger Festspielintendant und Münchner Biennale-Chef Verklammerungen oder Kollisionen gäbe, will der an 18-Stunden-Tage gewohnte Workaholic nicht einsehen.

Eine Fortsetzung seiner Münchner Tätigkeit über das Jahr 2004 hinaus bezeichnet er zwar als wünschenswert, aber nur dann denkbar, wenn die zuständigen Gremien sowohl in Salzburg als auch in München einer solchen zustimmen.

Diese läge zurzeit vor allem im Interesse des institutionell keineswegs abgesicherten Münchner Festivals. Ruzicka hält es nämlich nicht für ausgeschlossen, dass die unter Einnahmeschwund leidende Stadt München seinen etwaigen Abgang zum Anlass für die Infragestellung der Biennale nehmen könnte.

Auf alle Fälle hätte er dann mehr Zeit zum Komponieren. Im Herbst muss er sich jedenfalls wieder daranmachen. Ein Orchesterstück soll fertig gestellt werden.

Ruzicka: "Am 27. Mai 2003 um 20 Uhr müssen in der Berliner Philharmonie jedenfalls Noten aufliegen."

Tunlichst kein Fragment.

(DER STANDARD, Printausgabe, 31.08.2002)