In vielen Landstrichen Österreichs - besonders in jenen mit modernem Heimatgefühl - findet nun der vorweihnachtliche Brauch der Herbergssuche statt. Zur Erinnerung für weniger traditionsfeste Mitbürgerinnen und Mitbürger einige Zeilen aus dem Lied zum mitsummen: "Wer klopfet an?" - "O zwei gar arme Leut'" - "Ei, macht mir kein Ungestüm, so packt euch, geht woanders hin."

In vielen Landstrichen Österreichs - besonders in jenen um die Betreuungseinrichtungen des Bundes für AsylwerberInnen in Traiskirchen, Talham, Bad Kreuzen und Reichenau - findet bereits seit Anfang Oktober eine realitätsnahe Anwendung dieses Brauches statt. Bekanntlich sind AsylwerberInnen aus bestimmten Ländern seit 1. Oktober durch eine Richtlinie des Innenministeriums von dieser Bundesbetreuung ausgeschlossen. Das heißt, sie werden entweder nicht in diese aufgenommen oder aus ihr entlassen. Da sie nicht (sofort) in ihre Heimatländer zurückkehren können, sind viele von ihnen der Obdachlosigkeit ausgesetzt.

Das Rote Kreuz und zahlreiche andere Hilfsorganisationen sind eingesprungen und betreiben immer noch Notquartiere für Hunderte AsylwerberInnen. Damit wurde wichtige Soforthilfe in einer für AsylwerberInnen prekären Situation geleistet. Genau genommen wurden damit aber nur Symptome und nicht die komplexen Ursachen des Problems rasch zunehmender Asylanträge an- gegangen.

Politik ist gefordert

Was in Ansätzen schon passiert, muss noch viel konsequenter betrieben werden, sowohl auf österreichischer als auch auf europäischer Ebene: Alle Systempartner - die öffentliche Hand, NGOs, AsylwerberInnen und VertreterInnen der Herkunftsländer - müssen sich an einen Tisch setzen und gemeinsam nach nachhaltigen und ganzheitlichen Lösungen suchen, um die Wanderungsbewegungen einigermaßen zu steuern. Wir Humanitären jedenfalls sind bereit, unsere Verantwortung sehr präzise dort zu übernehmen, wo unsere Handlungsmöglichkeiten auch hinreichen: bei der Aufnahme, der Betreuung, der Beratung, der Integration von AsylwerberInnen. Auch bei ihrer Reintegration in den Herkunftsländern. Eben überall, wo es humanitäre Probleme gibt. Aber politische Probleme brauchen politisches Management, sonst wird die humanitäre Hilfe zum Feigenblatt. Kurzfristige Symptombehandlung gaukelt nur Problemlösung vor und verschwendet in Wahrheit wertvolle Ressourcen, die dann für wirklich effektive Massnahmen fehlen.

Das gilt sicher noch verstärkt für den internationalen, sprich außereuropäischen Aspekt des Problems. Die Flüchtlingsbewegungen von Ländern der Dritten Welt in ebensolche ist ja um vieles gewaltiger als jene vom armen Süden und Osten in den reichen Westen. Durch seine internationale Hilfstätigkeit kennt das Rote Kreuz die Situation in vielen Herkunftsländern sehr gut.

Internationale Hilfe

Wir möchten daher nicht zu LügnerInnen des Guten werden und behaupten, die Lage dort ließe sich überall rasch verbessern, sodass es für Menschen keinen Grund mehr gäbe, ihre Heimat zu verlassen. Aber auch hier dürfen wir die Politik nicht aus ihrer Verantwortung entlassen. Verantwortung wahrnehmen bedeutet in diesem Zusammenhang die Bereitstellung von wesentlich höheren Mitteln für die internationale Hilfe (Österreich ist selbst im europäischen Vergleich kein großzügiger Geber.)

Jedenfalls wäre es falsch, sich in Europa einzumauern und auf dem Standpunkt zu beharren, dass sich alles bewegen soll in einer globalisierten Welt: das Kapital, die Güter, die Dienstleistungen - nur die Menschen sollen zu Hause bleiben. 150 Millionen Migrantinnen und Migranten gibt es heute schon.

Die Ursache für ihre Wanderung ist immer dieselbe: Armut. Oder, um es mit Amartya Sen präziser auszudrücken: mangelnde Wahlfreiheiten für ihre persönliche Entwicklung. Millionen, die auf eine bessere Zukunft für sich und ihre Familien hoffen, werden diese Wahlfreiheiten weiterhin suchen - zu Hause oder eben hier bei uns. (D ER S TANDARD , Print-Ausgabe, 20.12. 2002)