Bild nicht mehr verfügbar.

Stark im Dramatischen zeigte sich Nino Machaidze als neue Bühnenpartnerin Rolando Villazóns bei der Premiere in Salzburg.

Foto: APA

Salzburg - Der sich ausbreitende Trend der Kinoübertragung von Opern - die Firma Unitel wird in Zukunft Salzburger Festspielproduktionen in 200 Kinos weltweit bringen - birgt natürlich schöne Gelegenheiten zur Marken- und Imagepflege. Es hat jedoch womöglich künstlerische Folgen. Schon der lokale Übertragungsfleiß des ORF steht in einer auffälligen Koalition mit einer harmlosen Regieästhetik, die es sich im Kulinarisch-Historischen gemütlich macht. Als wäre der Salzburger-Festspiele-Intendant Jürgen Flimm durch die Reichweitenversprechen in einem doppelten Schwitzkasten der populistischen Ansprüche, als müsste er nicht nur auf Salzburger Auslastungszahlen achten, sondern vielmehr zusätzlich auch noch selbst dafür sorgen, dass die TV-Einschaltquoten stimmen.

War schon der noch zu übertragende Otello (Kritik siehe Artikel unten) ein anspruchsloser szenischer Schinken, so wirkt diese Roméo et Juliétte-Produktion denn auch als Otello-Fortsetzung mit handwerklich weitaus versierteren Mitteln.

In einem Zeitsandwich zwischen dem Verona der Textvorlage und dem Romantizismus von Gounods Zeit hat Broadway-Regisseur Bartlett Sher die Liebesgeschichte irritationsfrei im Rokoko untergebracht. Casanova tritt zwar nicht auf. Er hätte sich in diesem karnevalesken Milieu aus bleichgepuderten Gesichtern und steifen Perücken sicher sehr wohl gefühlt und sich auch leicht zurechtgefunden. Die Produktion kommt ja mit einer Säule, einem Tor, das Romeo aufzubrechen hat, und einer Spielfläche aus, die sich öffnet. Der Rest ist dominante Felsenreitschule (Bühnenbild: Michael Yeargan).

TV- und Live-Zuseher

Dass man sich der Fernsehkameras bewusst war, scheint dann aber in einem Punkt doch gar nicht so übel zu sein: Es ergibt sich womöglich auch daraus ein wenig mehr an Präzision in der Personenführung. Und davon kann auch der Livebesucher profitieren.

Gleichzeitig hat man auch vermocht, den endlosen Raum reichlich mit Aktion aufzufüllen, wodurch die Felsenreitschule bei der Premiere am Samstagabend nicht zum szenischen Grab wurde, das schon viele Produktionen in sich begraben hat. Aller Aktionismus hat aber natürlich nichts mit irgendeiner tieferen Ausleuchtung des Werkes zu tun. Da wird einfach wild drauflos gefochten, dass man Angst hat, die Kontrahenten könnten einander tatsächlich Schaden zufügen.

Da wird ebenso rasant über die recht kahle Bühne gehetzt - ob man nur Feste feiert oder Feindseligkeit auslebt. Mitunter wird dabei auch der Zuschauerraum zum Spielort. Das ist zwar Konvention ohne Reflexion, aber Sher hat diese immerhin präzise arrangiert und auch mit kleinen buffonesken Porträts für Kurzweil gesorgt. Da träumt sich der alte Capulet (präsent und orgelnd Falk Struckmann) tänzelnd und von Damen umgarnt in seine nicht erotikfreie Jugend; da legt sich Julias wuchtige Amme Gertrude (witzig Susanne Resmark) scherzhaft mit der Welt der zornigen Jünglinge an. Und auch das tragische Pärchen wird gut geführt, kann zeigen, dass es sängerisch und theatralisch durchaus ein bisschen mehr zu bieten hat als die üblichen trägen Opernklischees.

Schwärmerisch, quirlig

Nino Machaidze (als Julia) gibt das quirlige, selbstbewusste Mädchen. Sie ist stark im Dramatischen, von schneidender Präsenz sind ihre Koloraturen. Vor allem in jenem Moment, da sie in den Scheintod geht, überzeugt sie vollends. Beim Lyrischen steht ihr Timbre etwas im Wege. In der Höhe bürgt es energisch für Qualität, von der Mittellage abwärts jedoch fällt ein kleines Dauervibrato samt metallisch-unschönem Klang auf. Aber zweifellos, jede Note kommt präzise, sitzt.

Rolando Villazón (als Roméo) präsentiert sich als schwärmerischer Jüngling, der die Spitzentönen sicher liefert und auch edlen Schmelz verbreiten kann. Gestisch ist er zwar nicht so flexibel, wie man es von ihm gewohnt ist, aber immerhin verzichtet er auf jenes vokale Outrieren, das er gerne für Schluchzeffekte zu nutzen pflegte. Sehr passabel, allerdings mit ein paar intonatorischen Schönheitsfehlern garniert. Noch nicht ganz der alte Villazón also.

Exquisite Dirigat-Leistung

Um das Pärchen herum belebt ein tadelloses Ensemble die Szenen. Das eigentlich schön Überraschende ereignet sich dann aber im Orchestergraben, wo sich Dirigent Yannick Nézet-Séguin mit weit ausholenden Gesten als ziemlicher Glücksgriff erweist. Er nimmt diese leichte Musik ernst, begnügt sich nicht damit, sie als sentimentale Fläche auszubreiten.

Hier wird Gounods Ideenwelt zum vielschichtigen kontrastreichen Ort der Emotionen, an dem kleine charmante Schlenker und atmosphärische Delikatessen entstehen. Mit dem Mozarteum Orchester produziert er Intensität und Poesie von großer instrumentaler Differenziertheit, gestaltet genau und bewusst auf die Szene hin eindringliche Momente.

Ein paar intonatorische Eintrübungen der Bläser fallen da nicht ins Gewicht. Exquisite Leistung! Dem ehrenwerten Placido Domingo diesen erst 33-jährigen Kanadier vorgezogen zu haben, hat sich durchaus ausgezahlt. Dass Anna Netrebko als Julia für Salzburg ausgefallen ist, bleibt zwar zu bedauern. Aber es bot sich so immerhin die Gelegenheit, mit Machaidze eine gute junge Sängerdarstellerin zu entdecken, deren CD-Karriere schon in Planung ist. Der Applaus zumindest darf Nino Machaidze hoffen lassen. (Ljubisa Tosic, DER STANDARD/Printausgabe, 04.08.2008)