Bilder zu Nepal und zu Trekking am Himalaya zeigt eine Ich war da-Ansichtssache.

Foto: Preininger
Grafik: DER STANDARD

Arjun setzt sich zu seiner Gruppe Everest-Trekker und beobachtet mit sehr gelassenem Lächeln die fröhliche Runde bei ihrem lautstarken Würfelspiel. Es ist kurz vor 20 Uhr in der kleinen, gemütlichen Lodge in Gorak Shep, einem Dorf auf dem Weg zum Everest-Basecamp an der nepalesischen Südseite des höchsten Berges der Welt, wobei der Ausdruck Dorf für die Handvoll Häuschen auf 5100 Meter Seehöhe am Fuße des Aussichtsgipfels Kala Phatthar ein wenig übertrieben erscheint. Die Lodges dieser letzten Siedlung vor dem Basislager, das nur gute zwei Wegstunden entfernt ist, sind an diesem Abend brechend voll mit Wandertouristen aus aller Herren Länder, wie das Sprachen- und Stimmengewirr in den Gasträumen vermuten lässt.

Der Trekking-Guide Arjun unterbricht seine fröhliche Würfelrunde mit dem schon gewohnten, täglich gleich formulierten Satz, der nebenbei auch zur baldigen Bettruhe mahnt: "Now we make the plan for tomorrow." Am nächsten Morgen soll die Gruppe auf den 5645 Meter hohen Kala Phatthar gehen. Das heißt im Klartext: um vier Uhr aufstehen, um fünf Uhr früh aufbrechen und in zwei bis drei Stunden in der Morgendämmerung die steilen Serpentinen auf den Aussichtsgipfel hinaufsteigen. Das Wetter könnte prächtig, die Aussicht phänomenal und die Temperaturen könnten nicht zu grimmig werden. Arjuns kleine Expedition ist topfit, voller Vorfreude und Spannung ob dieses großen Highlights der Trekking-Tour durch den Solu-Khumbu, wie das Sherpaland hier genannt wird. Höhepunkte und spannende Momente gab es allerdings schon auf dem Weg hierher genügend.

Der Flug von Kathmandu nach Lukla in einer zwölfsitzigen Propellermaschine und die Landung auf dieser knapp mehr als 500 Meter langen, bergauf führenden Piste verursacht bereits einiges Nervenflattern. Dann der Weg von Lukla nach Namche Bazaar, dem Sherpazentrum auf 3400 Metern. Immer wieder müssen die Trekker mittels hoher, schwankender Hängebrücken wie beispielsweise der berühmten Hillary-Bridge den Fluss Dudh Koshi überqueren. Meist kommen in solch einem Moment ein paar Yaks oder Träger mit schwerem Gepäck entgegen, was die sicheren Schritte über die schaukelnde Stahlkonstruktion nicht unbedingt erleichtert.

Namche Bazaar selbst entschädigt später für den erhöhten Pulsschlag, der nicht nur vom Nervenflattern, sondern auch vom anstrengenden Schlussanstieg über 600 Höhenmeter hervorgerufen wird. Einem Amphitheater gleich schmiegt sich das wunderschöne, bunte Dörfchen an die umliegenden Bergrücken. Hier kann man Souvenirs, Schmuck und auch alles bergsteigerisch Notwendige kaufen.

Auf dem weiteren Weg immer tiefer in den Solu-Khumbu hinein Richtung Everest-Basecamp zeigen sich die Himalayariesen mehr und mehr von ihrer schönsten Seite. Die Ama Dablam reckt ihre dem Matterhorn ähnliche Eisspitze in den blauen Himmel.

Von der Terrasse des Everest-View Hotels aus regt sich dann zum ersten Mal ein bisschen Aufregung in der kleinen Trekking-Gruppe. Weit weg und im Vormittagsdunst schwer zu erkennen ist ein besonders imposanter Gipfel. "Ist das der Mount Everest?", werden Arjun und seine Sherpas bestürmt. "Nein, das ist der Lhotse, der vierthöchste Berg der Welt, der Everest ist links davon, verborgen in den Wolken. Aber wir werden ihn schon bald sehen", vertröstet der Guide seine Gäste.

Je näher man dem höchsten Berg der Welt kommt, umso mehr rückt dieser in den Mittelpunkt des Geschehens. Nahezu alles am Weg wird nach ihm benannt, fast jedes Gespräch dreht sich nun um ihn. In den Lodges sind immer mehr echte Everest-Aspiranten anzutreffen. Amerikaner, Kanadier oder Italiener, die mit Satellitentelefonen oder Funkgeräten hektisch Kontakt zu ihren Gefährten im Basislager suchen. Vor den Unterkünften lagern meist große Mengen an Expeditionsgepäck, blaue Plastiktonnen, eindeutig beschriftet mit "Everest-Experience 08" oder ähnlichen Aufdrucken.

Unzählige Träger oder Yaks schleppen in der kurzen, von Anfang April bis Ende Mai dauernden Saison tonnenweise dieses Material ins Basislager. Die sehr viel Geld zahlenden Bergsteiger wollen heutzutage auch am Berg nicht auf viele gewohnte Annehmlichkeiten verzichten. Von Internetcafés und Bars im Basecamp wird erzählt und von den Unmengen Müll, der hinausgebracht und entsorgt werden muss. Sogar die Fäkalien werden wieder hinausgeschleppt, was man oft am strengen Geruch der Behälter auf dem Rücken der entgegenkommenden Träger bemerkt.

Heuer herrscht ein besonders reger Betrieb auf den Zustiegswegen, da der Mount Everest in diesem Jahr ausschließlich von der nepalesischen Südseite aus bestiegen werden kann, wegen des olympischen Fackellaufs der Chinesen auf den Gipfel von Norden, von Tibet aus. Von dort besteht auch normalerweise die leichtere Möglichkeit, zum Berg zu gelangen, da eine neue, seit kurzem sogar asphaltierte Straße von Lhasa zum Nord-Basecamp führt. Auf der nepalesischen Seite ist das Gott sei Dank nicht möglich. Hier wird auf dem wohl beliebtesten Trekking-Pfad der Welt ausschließlich zu Fuß gegangen. Arjuns kleine Wandergruppe tut das auch zur Genüge und erlebt so quasi schrittweise die immer imposantere Kulisse. Das Gelände verändert sich hin zu einer Art Mondlandschaft, umgeben von einer unglaublichen Bergwelt, die es wahrscheinlich nirgendwo sonst auf der Welt so überwältigend gibt.

Eigentlich müsste der Trek ja "Ama Dablam-Trek" heißen, denn täglich zeigt sich dieser hübsche Berg in neuem Kleid und bietet wieder eine andere, noch schönere Sicht auf seine Gletscher und Grate. Der gewaltige Lhotse kommt nun auch langsam näher, vom Gipfel der Welt ist allerdings immer noch nichts zu sehen. Einmal, kurz vor Pheriche auf 4200 Metern, scheint ein Stückchen vom so charakteristischen Gipfelaufbau des Everest aufzutauchen, später willkommener Stoff für ausgedehnte Diskussionen und Kartenstudium beim Abendessen.

Bald soll das Everest-Basecamp einer kurzen Visite unterzogen werden. Über die Moräne des Khumbugletschers steigen die Trekker aus Arjuns Mannschaft mühsam immer wieder hinauf und hinunter, weit entfernt sieht man die riesige Zeltstadt in ihren bunten Farben. Gegenüber ragen die Wände des Nuptse, eines Fast-Achttausenders hoch empor. Ja und dahinter, ein wenig weiter links, da steht dann er. Ein schwarzes Dreieck ragt stolz und majestätisch in den klaren, blauen Nachmittagshimmel. Der höchste Berg der Welt, Göttinmutter Chomolungma, der Mount Everest, der Ostpol zeigt sich mit einem Mal inklusive seiner unverwechselbaren Schneefahne von seiner schönsten Seite.

Vom Basecamp selbst, auf 5300 Metern gelegen, sieht man ihn dann nicht mehr; der gewaltige Khumbu-Eisfall verdeckt dort die Sicht auf den Gipfel. Es gibt auch sonst nicht allzu viel Bemerkenswertes zu bestaunen - außer dieser riesigen Menge an Zelten. Über 1000 Schlaf-, Gemeinschafts-, Koch- und natürlich Dusch- und Klozelte erzeugen mit den unzähligen Gebetsfahnen ein farbenfrohes, aber auch ein wenig beängstigendes Bild. Der oft beschriebene Eindruck, dass hier viele "Achttausendertouristen" vor Ort sind, wird bestätigt, wenn man beispielsweise eine Gruppe Bergsteiger beobachtet, von denen sich manche ihre Steigeisen nicht selbst anlegen können. Die Sherpas müssen ihnen dabei helfen, ein trauriger Anblick. Der Anstieg auf den Gipfel der Welt ist komplett mit Fixseilen durchversichert, der gefährliche Eisfall von speziellen Sherpas, den Khumbu-Doctors, mit Leitern und Seilen weitgehend entschärft. Den kommerziellen Expeditionsveranstaltern hier auf der Südseite muss man aber zugutehalten, dass sehr professionell gearbeitet wird, ganz im Gegensatz zu vielen Billiganbietern im tibetischen Norden. Mit dem K2, der durch das jüngste Drama Schlagzeilen machte, ist die Stituation aber nicht vergleichbar. Dieser Berg ist schwer zugänglich, technisch viel anspruchsvoller und dort waren es Profi-Bergsteiger, die in der Eislawine tragisch ums Leben kamen. Die negativen Eindrücke, der glucksende Gletscher und die zunehmende Kälte lassen die Wanderer wieder rasch den Rückweg aus dem Basecamp beschreiten.

Die Aussicht vom Kala Patthar präsentiert sich dagegen am nächsten Morgen als wahrer Höhepunkt für Arjuns Gruppe. Unzählige Gebetsfahnen flattern am Gipfel im Wind um die Wette. Die auf ihnen aufgedruckten Lungtas, die tibetisch-buddhistischen Windpferde, senden unaufhörlich segensreiche Mantras in den Himmel, in der Ferne leuchten Ama Dablam und zahllose andere weiße Gipfel. Gegenüber ist der Mount Everest in seiner vollen Größe, schwarz und mächtig im Gegenlicht der Morgensonne zum Greifen nahe. Die Sherpas zünden viele Räucherstäbchen an und beten. Das muss der Mittelpunkt der Welt sein, denkt sich in diesem Moment so mancher Trekker auf dem Aussichtsberg, bevor es zurück geht ins Tal.

Die Zigarette danach in Gorak Shep auf 5100 Metern tut nicht besonders gut und zwingt außerdem zum sofortigen Niedersetzen. Aber was tut man nicht alles für den Versuch, ob Rauchen in dieser Höhe überhaupt möglich ist? Das erste, schon heißersehnte "Everest-Bier" zischt dafür gewaltig - leider zuerst einmal wegen der großen Höhe explosionsartig aus der Flasche und erst nach Unterweisung durch die Sherpas geordnet durch die trockenen Kehlen der Wanderer. Arjun beobachtet dies alles mit gelassenem Lächeln und sagt wie jeden Tag seinen Satz: "Now we make the plan for tomorrow". (Ulrike Stocker/DER STANDARD/Rondo/14.8.2008)