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"Mein Stil ist nicht mehr gefragt". Erwin Niederwieser, Bildungssprecher der SPÖ, kehrt der Politik den Rücken.

Foto: apa/HOCHMUTH

Teile der SPÖ hätten den EU-Schwenk gerne schon früher vollzogen, erzählt Bildungssprecher Erwin Niederwieser im Gespräch mit derStandard.at. Aufgrund einer Einigung mit den Regierungsschefs auf europäischer Ebene konnte sich Bundeskanzler Alfred Gusenbauer jedoch lange nicht dazu durchringen.

Weshalb er denkt, dass "sein Stil nicht mehr gefragt ist", Wolfgang Schüssel "den Zeitpunkt des Absprungs eindeutig verpasst" hat und warum die Arbeit am Uni-Gesetz "weitgehend umsonst war", erzählt Niederwieser im Gespräch mit Katrin Burgstaller.

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derStandard.at: Die Begutachtungsfrist für das Universitätsgesetz, das durch Minister Hahn eingebracht wurde, ist nun vorbei. Was passiert weiter damit?

Niederwieser: Gar nichts. Wenn wir Glück haben, und es gibt eine nächste Bundesregierung irgendwann im November oder im Dezember, die sich dem jetzigen Weg verpflichtet fühlt, dann könnte man die Ergebnisse des Begutachtungsverfahrens heranziehen, daraus eine Regierungsvorlage machen und im Parlament beschließen. Das Wahrscheinlichere ist, dass in einer neuen Regierungskonstellation eine Universitätsreform neu verhandelt wird. Selbst wenn wir mit der ÖVP in eine Koalition gingen, würden wir einiges neu formulieren.

derStandard.at: Was würden Sie denn neu verhandeln?

Niederwieser: Für die ÖVP hatten wir zu wenig deutlich formuliert, dass wir die Mitbestimmung für den Betriebsrat im Unirat haben wollen.

derStandard.at: Das stand ja eigentlich im Regierungsprogramm...

Niederwieser: Ja, da stand, "zum Beispiel". Frau Brinek sagte dann: Da steht ja nur zum Beispiel. So wird man nur einmal reingelegt.

derStandard.at: Waren die letzten eineinhalb Jahre Arbeit an der UG-Novelle umsonst?

Niederwieser: Ja, das war weitgehend umsonst. Das ist ja das Bedauerliche an dieser vorzeitigen Auflösung. Aber die ÖVP muss sich überlegen, was sie mit der Arbeit ihrer Minister macht. Wir haben die vorzeitigen Wahlen nicht gesucht.

derStandard.at: Soll man sich nun vor den Wahlen noch auf die vorgeschlagene UG-Novelle einigen?

Niederwieser: Sinnvoll wäre es schon, dass man sich zumindest auf ein Minimalprogramm einigt. Wir haben uns auf die Studierendenanwaltschaft, die Budgetperiode von vier Jahren und die neuen Rechte des Arbeitskreises für Gleichbehandlungsfragen geeinigt. Es wäre sehr günstig, das noch im September zu beschließen. Dann hätte man zumindest die Arbeit, die darin investiert wurde, gerettet.

derStandard.at: Sehen Sie da seitens der ÖVP keine Chancen?

Niederwieser: Wir werden mit Minister Hahn noch einmal darüber reden. Die erste Reaktion der ÖVP war: Alles oder gar nichts.

Auch der Kollektivvertrag für Universitätsbediensteten ist noch immer nicht geregelt. Das ist für unseren wissenschaftlichen Nachwuchs ein sehr großer Nachteil. Ich appelliere an Hahn, dass er das endlich erledigt. Der fertig ausgehandelte Kollektivvertrag liegt seit Beginn dieser Regierung auf.

derStandard.at: Es gibt viele Punkte, in denen Sie sich nicht einig sind. Etwa die Rektorenwahl oder die Senatszuständigkeit. Wie steht die SPÖ zur ÖVP-Idee, die Studiengebühren für Drittstaatenangehörige nach oben hin freizugeben?

Niederwieser: Darüber haben wir noch gar nicht verhandelt. Wenn wir wieder die Gelegenheit haben, Koalitionsverhandlungen zu führen, werden wir sie in die Richtung führen, die Studiengebühren überhaupt abzuschaffen. Bei spezifischen Stipendienprogrammen kann ich mir eine Freigabe der Studiengebühren für Drittstaatenangehörige schon vorstellen. Es müsste sichergestellt werden, dass höhere Gebühren für Drittstaatenangehörige keine soziale Selektion bewirken. Erste Priorität bleibt aber, die Studiengebühren abzuschaffen.

derStandard.at: Aus "Nachhilfe statt Studiengebühren" ist auch nichts geworden...

Niederwieser: Das haben wir ad Acta gelegt. Diese Gusenbauer-Schüssel-Kreation wurde mit Hahns Duldung von den Beamten komplett sabotiert und mit bürokratischen Hürden angereichert.

derStandard.at: Wird es der SPÖ viele Stimmen kosten, dass die Studiengebühren nicht abgeschafft wurden?

Niederwieser: Im Verhältnis zum Wahlergebnis 2006 hat uns die Nicht-Abschaffung gleich nach Bekanntwerden fünf Prozent Einbußen eingebracht. Davon haben wir uns nie mehr erholt.
Das war ein Symbol für vieles. Etwa ein Symbol dafür, wie man ja keine Wahlversprechen machen darf. In Konstellation mit Schüssel war mit den Studiengebühren nichts zu machen. Er hat kalkuliert, dass das unsere erste Niederlage wird und das ist es auch geworden. Die Studiengebühren haben uns viel gekostet, am meisten Alfred Gusenbauer.

derStandard.at: Mit Ihrer Person und Josef Broukal ziehen sich wichtige SPÖ-Bildungspolitiker aus der Bundespolitik zurück. Warum gehen Sie und sind Sie überrascht, dass Ministerin Schmied weiter kandidiert?

Niederwieser: Claudia Schmied hat die gesellschaftspolitische und wirtschaftspolitische Wichtigkeit von Bildungspolitik erkannt. Sie hat sich etwas vorgenommen und hat den Eindruck damit in dieser kurzen Zeit noch nicht fertig geworden zu sein. Es ist ihre Art, Dinge die sie angefangen hat, zu Ende bringen zu wollen.

Meine ursprüngliche Perspektive war, noch vier Jahre zu bleiben, dann wäre ich 20 Jahre in der Bundespolitik gewesen. Jetzt hätte ich noch einmal fünf Jahre dranhängen müssen. Ich hatte auch das Gefühl, mein Stil ist nicht mehr gefragt. Ich habe einmal die Hoffnung gehabt, das Sachkompetenz und Hartnäckigkeit wieder einmal mehr zählen werden. Und das laute Geschrei der Polterer in den Hintergrund tritt. Diese Hoffnung hat sich aber nicht erfüllt. Mit Dinkhauser kommt der nächste Polterer und wiederum richten sich alle Augen auf ihn.

derStandard.at: Glauben Sie, Ihr Stil ist parteiintern nicht gefragt, oder insgesamt?

Niederwieser: Insgesamt. Das Problem ist, wenn nur man nur die Politik für die Medien macht dann werden die Gesetze wieder zunehmend die Beamten schreiben. Das ist dann ein Show-Parlament. Ich habe das Gefühl, es geht in diese Richtung und dafür habe ich einfach kein Talent.

derStandard.at: Dem SPÖ-Spitzenkandidaten Werner Faymann wird auch vorgeworfen, er mache Politik für die Medien, konkret für die Kronen Zeitung.

Niederwieser: Es sind zwei verschiedene Sachen, Politik für die Kronen Zeitung zu machen oder eine Sprache zu sprechen, die möglichst viele Leute verstehen. Das ist nicht negativ.  Ich glaube Faymann liegt, was den Kern seiner Politik anbelangt, hundertprozentig richtig. Er ist kein Blender, da ist etwas dahinter.

derStandard.at: Wird es schwierig, nach den Wahlen eine neue Koalition zu finden? Müssen wir uns auf eine längere Wartezeit einstellen?

Niederwieser: Wolfgang Schüssel ist der Ungeist der Nation. Dass er wieder dabei ist, regt mich wirklich auf. Er hat seine Verdienste, aber er soll sich endlich aus der Innenpolitik davon machen. Wenn die ÖVP Erster würde und die SPÖ braver Ministrant, dann würde  alles glatt ablaufen. Wenn die Wähler aber  etwas tun, was Schüssel nicht passt, sabotiert er wieder alles. Er hat den Zeitpunkt des Absprungs eindeutig verpasst. Wenn jemand nicht selbst versteht, dass seine Zeit zu Ende ist, dann muss man es ihm sagen. Das wäre die Führungsaufgabe des Willi Molterer gewesen.

derStandard.at: Die SPÖ würde sich wieder auf die "Schüssel-ÖVP" einlassen?

Niederwieser: Ich fürchte, dass uns nichts anderes übrig bleibt, denn es schaut danach aus, dass es wieder die beiden Noch-Regierungsparteien werden. Es sei denn der Wähler überrascht uns.

derStandard.at: Ihr neuer Europakurs könnte sich zur Koalitionsfrage entwickeln. Schüssel hat etwa gesagt, es werde keine ÖVP-SPÖ Koalition geben, wenn die SPÖ ihren Europakurs beibehält.

Niederwieser: Das ist undemokratisch und ein Verfassungsbruch. Ich kann der österreichischen Bevölkerung das verfassungsrechtlich garantierte Mitbestimmungsrecht einer Volksabstimmung nicht wegnehmen. Es ist ungeheuerlich, was da gedacht wird. Und es ist falsch gedacht. Eine Volksabstimmung heißt nicht, dass die Bevölkerung gegen eine Weiterentwicklung der EU ist. Es bedeutet nur, dass man viel mehr kommunizieren muss. Die Leute informieren sich auch mehr, wenn sie über etwas abstimmen sollten.

derStandard.at: Warum hatte man in der SPÖ nicht schon früher diese Idee?

Niederwieser: Die Idee hatten wir schon, aber die hat uns Kanzler Gusenbauer abgedreht. Die Staats- und Regierungschefs haben sich darauf geeinigt, dass es nur dann eine Abstimmung über den nächsten Schritt des Vertrages gibt, wenn es nicht anders geht. Dieser Einigung haben sich auch der österreichische Bundeskanzler und die Außenministerin angeschlossen. Im SPÖ-Klub gab es viele Stimmen, die eine Volksabstimmung für vernünftig gehalten haben. Aber es hat geheißen, das geht nicht, wir haben anders zugesagt. Damit war die Sache vom Tisch.

derStandard.at: Dann ist es aber doch gegangen.

Niederwieser: Ja, besser man kommt irgendwann drauf, dass man so nicht weitermachen soll, als man hält daran fest. (Katrin Burgstaller/derStandard.at, 20. August 2008)