Eine Liebe auf dem Lande als letztes Aufbäumen: Birgit Minichmayr und Nicholas Ofczarek als hochalpines Paar in Schönherrs "Weibsteufel" , ab 12. September am Wiener Akademietheater zu sehen.

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Wien - Nehmen die Wiener Theatertanker für gewöhnlich nur schleppend Herbstfahrt auf, scheint es den hiesigen Bühnen aus Anlass der Saisoneröffnung 2008/09 gar nicht schnell genug gehen zu können. Manche wie das Wiener Josefstadt-Theater haben mit der Dramatisierung von Manns/John von Düffels Buddenbrooks bereits in der Hochsommerhitze ganze Inszenierungsarbeit geleistet.

Die schleichende Umstellung auf den Ganzjahresbetrieb ist das Ergebnis von Festspielnotwendigkeiten: Immer öfter unterwerfen sich die Stadttheater der Verwertungslogik eines hochfrequenten Amüsierdienstes. Festspiele zahlen als Koproduzenten bedeutende Beträge in die ohnehin stagnierenden Theateretats ein. Die Verlegenheit, als gestandenes Stadttheater die eigene Stammklientel dafür mit "Aufgüssen" verwöhnen zu müssen, scheint demgegenüber leicht verschmerzbar. Buddenbrooks gehen übrigens am 25. September in Wien an den Start.

Die Erstveröffentlichungen erscheinen ohnedies pünktlich - und sind nolens volens hausgemacht. Bereits am 5. September stemmt das Wiener Volkstheater Henrik Ibsens "nordischen Faust" , den Peer Gynt. Peers Fahrten durch die Buntpapierprospekte des 19. Jahrhunderts wird von Michael Sturminger inszeniert, Raphael von Bargen gibt den Titelhelden.

Bereits am 25. September folgt am nämlichen Haus die Erstaufführung von Yasmina Rezas Ein spanisches Stück (Regie: Antoine Uitdehaag): kein Großtheater, das auf Rezas bestens gelaunte, immer ein bisschen (zu) gut geölte Wohlstands- und Wohnzimmerschlachten leichtfertig verzichten möchte.

Im großen Haus am Ring werden die knarrenden Türen dafür geöffnet, um in eine neu ausgekleidete Zirbenstube hineinzubitten. Ausgerechnet Karl Schönherrs Der Weibsteufel von 1915 soll Martin Kušejs Besichtigungstour durch hochalpine Krisengebiete am Wiener Akademietheater abschließen (12. September).

Eine Frau (Birgit Minichmayr) wird zum erotischen Zankapfel zwischen einem Ehemann (Werner Wölbern) und einem Grenzjäger (Nicholas Ofczarek). Der von Natur aus schmächtige Gemahl (ein "Saugflaschenmandl" ) bedient sich für seine Schmuggelschliche der bedeutenden Reize seines Weibes. Die Dumpfheit der Zwangsverhältnisse drückt stark ausdrucksmindernd auf das Artikulationsvermögen. Die sexuelle Attraktion überfordert ihre Inhaber - und ferne am Horizont wetterleuchten bereits die Emanzipationsversprechen einer vorerst noch unausgegorenen Moderne. Ein starkes Stück "Heimatliteratur" , das unter Kušejs ideologiekritischen Händen wohl ein Wühlen im Schlick der österreichischen Misere verheißt.

Brecht im Josefstadt-Plüsch

Doch verkehrt ist die Welt auch anderswo. Ausgerechnet das bürgerliche Wiener Josefstadt-Theater schmückt sich zum Auftakt (11. September) mit dem raren Ereignis einer Bertolt-Brecht-Uraufführung: Des Augsburgers Umarbeitung eines japanischen Stücks (Die Judith von Shimonida) ist ein Fund aus Brechts Exilzeit. Der Text demonstriert, ohne doch je nur ein "Lehrstück" zu sein, die schleichende Demontage einer japanischen Patriotin. Er führt die in Basel engagierte Mavie Hörbiger als Wiener Protagonistin ein. Was, mit Blick auf anstehende Veränderungen, vielleicht auch einen Vorausblick auf das personelle Burgtheater-Profil ab 2009/2010 unter Matthias Hartmann eröffnet. Regie führt übrigens Heribert Sasse.

Fragen bleiben vorderhand viele offen. Das Burgtheater hat als Kraftanstrengung in Klaus Bachlers Abschiedsjahr bereits für Oktober einen Cluster aus Faust I und Faust II versprochen. Nun ist Regisseur Jürgen Gosch schwer erkrankt. Noch hüllt man sich im Haus am Ring eisern in Schweigen. Hartmann lässt frohgemut ausrichten, dass er selbst gerne zum Wien-Auftakt einen Doppel-Faust herausgebracht hätte. Gosch habe ihm, Hartmann, gegenüber die Inszenierung sogar "frei gegeben" . Auf die entsprechenden Einigungsmodalitäten darf man also gespannt sein.

Auch andere Vorhaben lassen vermuten, dass das Theaterglück immer auch wie durch ein Wunder entsteht. Am 17. Oktober inszeniert Michael Schottenberg am Volkstheater Sonny Boys. In den Paraderollen zweier greiser Sitzkrieger: Harald Serafin und Peter Weck. (Ronald Pohl / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 28.8.2008)