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Gloria Steinem, Vorkämpferin der amerikanischen Frauenbewegung.

Foto: AP / Gloria Steinem

Es gibt gute Neuigkeiten: Frauen sind mittlerweile politisch so mächtig, dass selbst die antifeministischen Rechten - also die StammwählerInnen der Republikaner - versuchen, die Geschlechterkluft mit einem "first ever" weiblichen Vizepräsidenten zu überbrücken. Wir verdanken das Frauen - und auch vielen Männern -, die einst das Wahlrecht erkämpft haben. Wir verdanken das Shirley Chisholm, die als Erste das "Nur für weiße Männer"-Schild am Weißen Haus abmontierte, und Hillary Rodham Clinton, die entgegen allen frauenfeindlichen Spötteleien bei den Vorwahlen 18 Millionen Stimmen gewann.

Aber es gibt sogar noch bessere News: Die Strategie wird nicht aufgehen. Es ist nicht das erste Mal, dass ein Chef eine unqualifizierte Frau einstellt, nur weil sie seine Ansichten teilt und alles ablehnt, was den Wünschen und Bedürfnissen der meisten anderen Frauen entspricht. Dem Feminismus ist es nie um irgendwelche Jobs für diese oder jene Frau gegangen, sondern um eine gerechtere Chancenverteilung für alle Frauen dieser Welt. Unser Ziel war es nicht, ein Stück vom bestehenden Kuchen zu ergattern - dafür sind wir zu viele -, sondern einen neuen Kuchen zu backen.

Sarah Palins Nominierung ist für die meisten Frauen, einschließlich eingefleischter Clinton-Anhängerinnen, kein Grund zur Begeisterung. Das Einzige, was Palin mit Hillary verbindet, ist ein Chromosom. Auch wenn ihre Rede noch so kämpferisch und gefinkelt angelegt war - sie konnte nicht darüber hinwegtäuschen, dass unter den Parteitagsdelegierten doppelt so viele Männer wie Frauen sind, der Präsidentschaftskandidat von den Rechten finanziert und gesteuert wird, und sein Programm das ganze Gegenteil jener Inhalte propagier, für die Hillary Clinton stand und Barack Obama nach wie vor steht. Und nur aus Protest McCain/Palin zu wählen ist so, als würde man sagen "Jemand hat meine Schuhe gestohlen, also amputiere ich meine Beine".

Mir geht es hier nicht um Palin-Bashing. Ich verteidige ihr Recht, Unrecht zu haben, selbst in den Fragen, die mir am meisten am Herzen liegen. Ich bedaure es, wenn Leute sagen, sie könne ihren Job nicht machen, weil ihre Kinder die Obsorge der Mutter brauchen - ganz besonders deswegen, weil sie das Gleiche nicht auch von einem Vater verlangen. Es verschafft mir auch kein angenehmes Gefühl, wenn ich sie mir im Rampenlicht der Innen- und Außenpolitik vorstelle, weil sie davon null Ahnung hat und ihr nur noch ein Monat bleibt, um die 37 Jahre Erfahrung von Senator Biden aufzuholen.

Ahnungslos, aber ehrlich

Palin hat aus ihrem Unwissen allerdings nie ein Hehl gemacht. Als man sie vergangenen Monat zum Amt der VizepräsidentIn befragte, sagte sie: "Ich kann darauf erst eine Antwort geben, wenn mir jemand einmal erklären würde: Was tut so ein Vize eigentlich den ganzen Tag?" Und auf die Frage nach ihrer Haltung zum Irak meinte sie: "Ich habe mich noch nicht wirklich eingehend mit dem Irakkrieg beschäftigt." Sie wurde vor allem deshalb zur Gouverneurin gewählt, weil der Amtsinhaber so unpopulär war, und die Sympathien der BewohnerInnen von Alaska verdankt sie in erster Linie dem Ölreichtum des Landes, der es ihr ermöglichte, jedem/jeder BürgerIn einen 1200-Dollar-Zuschuss zu gewähren. Jetzt wird sie in der McCain-Kampagne als Steuer-Senkerin bejubelt, obwohl es in ihrem Bundesstaat weder Einkommen- noch Mehrwertsteuer gibt. Vielleicht ist McCain auch schon so lange gegen jede Minderheitenförderung, dass er vergessen hat, worum es dabei geht: mehr Menschen einen höheren Standard zu ermöglichen, nicht weniger. Oder er gefällt sich in der Haltung der Bush-Administration, dass es bei der Postenvergabe - siehe Justizministerium - nicht auf die Kompetenz eines/einer Kandidaten/Kandidatin ankommt, sondern primär auf seine Einstellung zu "God, guns and gays".

Machen wir uns jedenfalls nichts vor: Der Übeltäter ist John McCain. Mag sein, dass er sich für Palin im Glauben entschieden hat, Frauen könnten nicht zwischen Form und Inhalt unterscheiden, das Hauptmotiv aber war zweifellos, die Ideologien der Rechten zu bedienen - all jener also, die Abtreibungsbefürworter/innen von vornherein ablehnen. Wäre es nicht so, hätte er ja eine Frau nehmen können, die weiß, was ein Vize tut und sich über den Irak Gedanken gemacht hat. Jemanden wie etwa die texanische Senatorin Kay Bailey Hutchison oder Olympia Snowe aus Maine. McCain hätte so wenigstens einen kleinen Schritt von den Patriarchen des rechten Flügels abrücken können, die bestimmen, was er zu tun oder zu lassen hat - bis hin zur Ablehnung des gesetzlichen Verbots von Gewalt gegen Frauen.

Worin Palins Wert für diese Herren besteht, ist klar: Sie ist so gut wie gegen alles, das von Frauen mehrheitlich unterstützt wird. Sie glaubt an die Notwendigkeit des Kreationismus-Unterrichts, nicht aber an die Klima-Erwärmung. Sie ist gegen Waffenkontrolle aber für den staatlichen Zugriff auf den Mutterleib.

Ich zweifle nicht an Palins Ernsthaftigkeit. Als lebenslanges Mitglied der National Rifle Association unterstützt sie nicht nur den Abschuss von Wölfen vom Helikopter aus, sondern praktiziert es selbst. Sie redet nicht nur über den Ausbau fossiler Brennstoffe, sondern lässt ein Kohlekraftwerk in ihrem eigenen Heimatdorf errichten. Sie plappert nicht nur McCains Appelle zur Kriminalisierung der Abtreibung nach, sondern sagt: Würde eine ihrer Töchter durch Vergewaltigung schwanger werden, sollte sie das Kind austragen.

Als unverbesserliche Optimistin glaube ich trotzdem, dass beide Parteien von dieser Wahl langfristig profitieren könnten: RepublikanerInnen könnten lernen, dass man nicht gleichzeitig bei rechten Patriarchen und Frauen punkten kann. Eine Niederlage im November könnte die zentristische Mehrheit der Reps dazu motivieren, die Parteiführung zurückzuerobern.

Und Amerikas Frauen, die unter nichts so sehr leiden wie unter der Doppelbelastung durch zwei Fulltime-Jobs, hätten endlich die bundesweite Unterstützung eines männlichen Führungsteams, dem bewusst ist, dass die Gleichstellung der Frauen außer Haus nur auf der Basis einer Gleichstellung im Haus funktionieren kann. Obamas und Bidens Wahlkampf gründet auf der Überzeugung, dass Männer willens sein sollten und auch willens sind, sich daheim um ihre Kinder zu kümmern. Ihre Zahl dürfte nicht gering sein ...

(Gloria Steinem, DER STANDARD, Print, 6./7.9.2008) ©"Washington Post": Übersetzung: M. Jäger