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Zerfahrene Songs zwischen Schmerz und Lust: Die US-Band Xiu Xiu mit Jamie Stewart (Zweiter v. li.) gastiert bei brut im Künstlerhaus.

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"Relax, it's only a ghost" singen Phantom/Ghost im gleichnamigen Song und drängen sich damit quasi doppelt auf, in einem Programm Berücksichtigung zu finden, das "Kingdom of Darkness" heißt und sich "Geistern, Toten und Wiedergängern" widmet.

Da passte zwar auch jede bessere Black-Metal-Band mit ins Programm, Phantom/Ghost repräsentieren diesbezüglich aber so etwas wie die Wandler zwischen den Welten. Immerhin ist es ein Pop-Projekt aus den Schaltkreisen mit Thies Mynther und Dirk von Lowtzow. Zumindest Zweitgenannter ist als Sänger und Gitarrist der Hamburger Kapelle Tocotronic bestens bekannt und geschätzt.

Phantom/Ghosts über Genregrenzen zerfließender Sound, eine Art elektronischer Folk, eignet sich hervorragend für Projektionen aus dem Schattenreich, dem auch von Lowtzows Gesang entnommen scheint, der hier weniger insistierend als bei Tocotronic vorträgt. Wenngleich auch Tocotronic mit dem Album Pure Vernunft darf niemals siegen ihr Glück im Märchenwald versuchten.

Das Grenzgängerische, das sich hier vor allem ästhetisch vermittelt, konveniert mit dem interdisziplinären Anspruch, den brut stellt. Performance. Musik. Theater. Lesungen. DJ-Abende. Installationen. Der ganze Topf. Nicht nur nebeneinander, sondern möglichst auch querfeldein kurzgeschlossen.

Lustwandeln

Diesen Anspruch erfüllen neben Phantom/Ghost auch andere Live-Gäste des brut-Musikprogramms: etwa der Wahlberliner Bernhard Eder, der im Konzerthaus (30. 10.) sein zweitens Album präsentieren wird: Tales From The East Side, auf dem der Singer-Songwriter zwischen zartem Optimismus und heftigen Zweifeln - ähm - lustwandelt.

Apropos Lust: Der Weg von dieser zum nicht nur süßen Schmerz wird bekanntlich gern beschritten. Die US-amerikanische Band Xiu Xiu zählt auf diesem oft existenzialistisch gedeuteten Pfad zu den treuen, ja, Wiedergängern.

Jamie Stewarts Songwriting nimmt sich entsprechend drastisch aus. Seine Reise in die Dunkelheit, ins "Heart of Darkness" , in dem neben einem generellen Welt-ekel auch sein subjektiver Schmerz hörbar wird, zählt zu den erstaunlichsten Pop-Entwürfen der letzten Jahre. Hier wird nicht nur plumper Exhibitionismus anlässlich banaler Verstimmungen inszeniert - hier wird gelitten, be- und gezweifelt wie Sau!

Brummschädel am Morgen

So sehr, dass sich die Selbstzweifel gar im Saitenschlag bemerkbar machen, der zwischen filigran und brutal oszilliert. Art-Punk wird das gerne, aber nicht ganz richtig genannt. Stewart mag mit Baudelaire unterm Kopfpolster eingeschlafen sein. Seinen Brummschädel am nächsten Morgen verdankt er aber weniger dem inhaltlich oft sexuell aufgeladenen Trümmerfolk von Stücken wie You Are Pregnant You, You Are Dead vom aktuellen Album Women As Lovers. Derlei Stücke scheppern zwar gehörig, mehr als ein bisserl Ohrenklingeln bleibt aber nicht über.

Einen wirklich grimmigen Nachhall erzeugen die ruhigen Songs, die Stewart mit garstigen Samples oder enervierendem Synthie-Lärm oder "Ich esse meine Suppe nicht" -Gesang perforiert: Vermeintliche Sicherheit plus Grausamkeit ergibt Verunsicherung. Es spukt im Geisterhaus. Zerfahrene Songstrukturen, launische Rhythmen und grob montierte Übergänge bilden die Rahmen, grimmige G'stanzeln über Folter in Guantánamo den Inhalt.

Willkommen im Albtraum. In jenem von Jamie Stewart. In unser aller Ungemach. Das Königreich der Dunkelheit ist überall. Man muss nur genau hinschauen. Und hören.
(Karl Fluch / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 25.9.2008)