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Ingolf Erler ist Autor des Buches "Keine Chance für Lisa Simpson".

Foto: Archiv

"Im österreichischen Bildungssystem geht alles so langsam voran, da kann es gar keine Husch-Pfusch-Aktionen geben." Für den Soziologen Ingolf Erler ist die Abschaffung der Studiengebühren "erfreulich". Im Interview mit derStandard.at erklärt er, warum das jedoch nur ein kleiner Schritt im Bildungssystem ist. Während in anderen Ländern Bildung als Investititon gesehen werde, sei hierzulande der Begriff sehr emotional behaftet. Über die Studienmöglichkeiten der Reichen und was nach der "Generation Studiengebühren" kommt, erzählt er im Gespräch mit Elisabeth Oberndorfer.

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derStandard.at: Die Abschaffung der Studiengebühren ist unsozial, argumentiert die ÖVP. Was sagen Sie als Soziologe dazu?

Erler: Das baut darauf, dass Kinder aus akademischen Familien an den Universitäten überrepräsentiert sind. Es ist aber ein schwaches Argument. Dann müsste man auch an den Gymnasien Schulgebühren einheben, weil auch hier überdurchschnittlich viele AkademikerInnenkinder sind. Unser Bildungssystem ist schon heute sehr selektiv. Wird das durch eine weitere Barriere gerechter? Einkommensungleichheiten sollten über Steuern behoben werden und nicht über die studierenden Kinder.

derStandard.at: Die OECD-Studie Education at a Glance besagt, dass der Verzicht auf Studiengebühren nicht unbedingt die Probleme im Bildungssystem löse. Sind die Studiengebühren trotzdem soziale Selektion?

Erler: Studiengebühren haben schon einen abschreckenden Effekt. Wie groß der ist, kann man noch nicht sagen. Außerdem wird bis zum Maturaabschluss schon sehr selektiert. Das heißt, bis zur Hochschule kommt nur noch eine kleine Gruppe. Diejenigen, die es bis dorthin schaffen, haben vermutlich auch ein größeres Bestreben, weiterzukommen.

Eine zusätzliche Rolle spielt die duale Ausbildung in Österreich. Die Jugendlichen überlegen sich, ob sie studieren sollen. Während des Studiums haben sie keinen Verdienst und unsichere Jobaussichten, weil sie nicht direkt für den Arbeitsmarkt ausgebildet werden. Daher entscheiden sich viele für einen direkten Arbeitseinstieg nach Lehre oder BHS. Kinder von AkademikerInnen wiederum können aus den Erfahrungen in der Familie abschätzen, welche Chancen sie durch ein Studium haben.

derStandard.at: Ihre Begründung klingt nach einem Plädoyer für die Gesamtschule. Wenn die Gesamtschule in Österreich Realität wird und mehr Studierende an die Unis kommen, brauchen wir nicht erst recht Studiengebühren?

Erler: Unis nehmen sich für sich selbst immer eine gewisse Spezialrolle heraus. Sie haben immer noch das Bild, dass sie eine Elite ausbilden und "der Rest ist die Masse, die braucht da gar nicht reinkommen". Die Unis haben Angst vor einer imaginierten studentischen Masse aus dem Ausland. Eigentlich interessant angesichts des demographischen Wandels und der Globalisierung.

derStandard.at: Wissenschaftsminister Johannes Hahn hat in der parlamentarischen Sitzung als Argument gegen Abschaffung angegeben, dass viele Reiche ihre Kinder im Ausland studieren lassen, weil die heimischen Unis an Qualität verlieren.

Erler: Das machen sie doch jetzt auch schon. Es gibt auch in Österreich und im Ausland relativ teure Privatunis. Wenn es denen nur um die soziale Abgrenzung geht, dann können sie ihre Kinder schon heute dorthin schicken. Eigentlich verstehe ich nicht, warum diejenigen, die sich jede Bildungsoption leisten können Thema sein sollen. Es geht doch darum, wie die Ärmeren Zugang bekommen.

derStandard.at: Die ÖVP kritisiert den Antrag von SPÖ, FPÖ und Grüne als "Husch-Pfusch-Aktion". Wie bewerten Sie dieses Unipaket?

Erler: Ich habe den Eindruck, dass beim österreichischen Bildungssystem alles sehr langsam vorangeht. Insofern ist jede Bewegung zuerst einmal erfreulich. Es sind aber noch einige Fragen unklar, vor allem beim bürokratischen Aufwand: Ab wann gilt man zum Beispiel als berufstätig? Daran muss noch gearbeitet werden.

derStandard.at: In anderen Ländern verlangen Universitäten viel höhere Studienbeiträge, und doch gibt es kaum Proteste. Warum ist in Österreich die Diskussion um die Studiengebühren so ideologisch behaftet?

Erler: In angelsächsischen Ländern wird Bildung anders verstanden. Dort gilt Bildung als Investition. Und in diesen Ländern gibt es auch eine höhere Bereitschaft zur Verschuldung. In den USA liegt die durchschnittliche Verschuldung eines Studierenden mittlerweile bei 30.000 Dollar.

Im deutschsprachigen Raum geht es bei der Bildung vor allem darum, seinen Horizont zu erweitern. Dadurch sehen wir das nicht ausschließlich von der ökonomischen Seite.

Dazu finden wir schon ziemlich starre Positionen im Bildungsbereich. Über eine grundlegende Schulreform, wie die Einführung einer Gesamtschule, wurde schon in den Siebziger Jahren diskutiert. Bildungspolitik wird bei uns noch immer sehr, sehr emotional geführt.

derStandard.at: Die "Generation Studiengebühren" hat schnellstudierende Nebenjobber hervorgebracht. Wie wird die nächste Generation aussehen?

Erler: Ich glaube, dieses schnelle Studieren ist auch eine Folge der neuen Studienarchitektur des Bologna-Prozesses, und nicht nur der Studiengebühren. Das ganze System geht immer mehr in Verkürzung, Verschulung und Beschleunigung. Ich denke, wer so schnell studiert, dem bleibt kaum Zeit das Gelernte zu verarbeiten und zu reflektieren. (Elisabeth Oberndorfer/derStandard.at)