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Sonja (Ruth Brauer-Kvam) hat eine Ente geschossen, und die Vogelpest dämpft Heinrichs (Joachim Bißmeier) Jubel.

Foto: APA/Schlager

Wien - Unablässig rieseln kleine Schneeflocken aus dem Schnürboden auf die Bühnenmitte, die das Draußen darstellt. Mit ihrem zentrierten Zylinder, der sich mal schneller, mal langsamer dreht, hat Miriam Busch die Relationen umgestülpt. Aus dem verschneiten Zentrum tritt man hinaus in die Enge trüber, drückender Familienräume. Aneinandergeklebte Tapetenfetzen deuten bereits die Brüchigkeit der Verhältnisse an. Ein "Ausdringling" wird diese bald zerschlagen.

Der am Samstag im Theater in der Josefstadt erstaufgeführte Besuch bei dem Vater ist der erste Teil von Roland Schimmelpfennigs Trilogie der Tiere. Dessen letzter Teil Ende und Anfang ist als Wiener Auftragswerk bereits vor zwei Jahren im Akademietheater uraufgeführt worden. Die Trilogie handelt vom mehrfachen Scheitern der Halbgeschwister Peter und Isabel und will an russische bzw. norwegische Theaterklassiker bis hin zu den antiken Mythen erinnern.

Im zuletzt geschriebenen ersten Teil sucht ein verlorener Sohn (Peter) sein Vaterhaus auf. Den Vater hat er noch nie gesehen, die Mutter hatte ihn für tot erklärt. Der junge Mann tritt mit unklaren Absichten in das fremde Familienleben ein. Vater Heinrich sitzt seinen ausschließlich weiblichen Angehörigen vor: neben Tochter Isabel und Gattin Edith, deren Tochter aus erster Ehe, Marietta, und die Nichte Sonja. Peter hegt zwar keinen sonderlichen Groll gegen seinen Vater, nagt dafür aber umso wütender an dessen struktureller Omnipotenz: Er schläft mit allen Frauen des Hauses, die sich ambivalent ekelnd zu ihm hingezogen fühlen.

In einer laschen Schlussszene wird der Vater auf seinen Sohn schießen, ihn verfehlen und aus dem Haus jagen.

Schimmelpfennig hat sein Stück in kurzen "Szenen und Skizzen" angelegt. Die ständig rotierende Zylinderbühne lässt immer neue Türen sichtbar werden, die tiefer und tiefer ins dunkle Familiengehölz führen. Dazwischen verliert man sich leicht, verpasst sich, missversteht sich. Doch Schimmelpfennigs Figuren legen wenig wert auf Verständnis. Sie beichten zwar ihre Wünsche, Ängste und Träume, bleiben aber durch den fragmentarischen Stil der Szenen und Charakterdeutung stets auf Distanz. Ihnen fehlen bestimmte Mechanismen des Lebendigseins. Genau hier versumpft letztlich der Kern von Schimmelpfennigs Geschichte: Der Autor dreht die losen Andeutungen von Mythen und der Vertreibung aus dem Paradies (Milton) nicht weiter, die Text- und Bildcollagen helfen über diese Lücken nicht hinweg.

Stephanie Mohr inszeniert das Familiendrama nun an der Josefstadt zwar mit gelungenen Bildeinfällen und fein abgestimmter Tempoführung sehr durchdacht, aber ohne jeden Mehrwert. Hervorragende Schauspielleistungen erbringen Joachim Bißmeier und Tatja Seibt als Elternpaar. Florian Teichtmeister vermittelt in der Rolle des Peter, der einer jungen Russischstudentin (Silvia Meisterle) seitenweise aus Tolstojs Krieg und Frieden vorliest, keine Dringlichkeit, erzeugt keine Handlungsgewalt, entwickelt nicht jene fremdbestimmte, getriebene Gestalt, die das Stück nötig gebraucht hätte.

Obwohl er nun wie seine Schwester Isabel (Emily Cox), die ihn durch die ganze Trilogie begleitet, Schauspieler werden möchte, verlässt Peter am Ende die Familie, wie er sie aufgesucht hat: ohne jegliches konkrete Vorhaben. Zu unsicher, um gekränkt zu sein. Ein vager Seinszustand, der sich selbst nicht erklären kann. (Isabella Hager / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 24.11.2008)