Stephen Gould: "Die Kostüme in Bayreuth drohen einen zu erdrücken. Und dann noch die Hitze, man kann kaum atmen!"

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Wien - Wenn er am kommenden Montag in der Staatsoper in Wagners Götterdämmerung als Siegfried auf der Bühne steht, weiß keiner, was Stephen Gould, der Sohn einer Konzertpianistin und eines Methodistenpfarrers aus Roanoke in Virginia, in seiner Laufbahn alles durchgemacht hat. In der Spannung der Premiere interessiert das ja auch wirklich niemanden. Und ihn selbst schon gar nicht.

Allerdings: Wer kann schon behaupten, dass ihm von Plácido Domingo eine Zehe gebrochen wurde? Während einer Vorstellung von Camille Saint-Saëns' Samson et Dalila sang der große Plácido die männliche Hauptpartie, Stephen Gould wirkte als biblische Gestalt im Chor mit. Seine Sandalen wurden ihm zum Verhängnis. Domingo sprang unabsichtlich auf seinen Fuß, eine der ungeschützten Zehen ging zu Bruch.

Nun steuert Stephen Gould mit der Wiener Staatsoper und den Bayreuther Festspielen die gleichen Destinationen an wie einst Domingo. Dabei hatte er schon überlegt, den Beruf des Sängers an den Nagel zu hängen. Nach seiner Ausbildung am New England Conservatory of Music in Boston hatte er sich der Lyric Opera of Chicago, Center for American Artists, angeschlossen; an der Los Angeles Music Center Opera brachte er es als Argirio in Gioacchino Rossinis Tancredi sogar bis zum Partner der berühmten Marilyn Horn.

Zweite Karriere

Daneben aber musste er fast 3000-mal in Lloyd Webbers Phantom der Oper mitwirken. Letztlich reifte in ihm die Überzeugung, dass einen so hünenhaften Bariton, als der er sich fühlte, niemand brauchen kann.

In der Krise traf er zum Glück John auf Fiorito. Der Bariton aus dem Ensemble der New Yorker Met diagnostizierte, dass Stephen Goulds Technik völlig falsch war und stellte den Kollegen vor die Alternative: entweder Basso cantabile oder Tenor. Gould entschied sich für Letzteres. Und in Linz beginnt's. Da stand er erstmals auf einer deutschsprachigen Bühne: Publikum und Kritik bejubelten im Jänner 2000 seinen Florestan in Ludwig van Beethovens Fidelio.

Das war der Grundstein zu seiner zweiten Karriere. Zubin Mehta setzte ihn schon ein Jahr darauf als Melot für seine Münchner Tristan-Produktion ein; 2002 holte er ihn zum Maggio Musicale nach Florenz, wo er in den Trojanern von Hector Berlioz seinen glänzenden Einstand feierte und ein Jahr später die Titelpartie in Giuseppe Verdis Otello sang.

Und dann kam Wagner. Stephen Gould sagt: "Nicht ich habe Wagner gefunden, Wagner hat vielmehr mich gefunden." Will heißen, Wagners Gestalten haben auf ihn gewartet - und er auf sie. Als erste dieser Wagner-Schemen wartete der Tannhäuser auf ihn. Nachdem er diese Partie schon 2002 in Linz gesungen hatte, feierte er zwei Jahre später unter Christian Thielemann in Bayreuth als liebeskranker Minnesänger seinen Einstand. Thielemann besetzte ihn 2006 auch für die letzten beiden Ring-Abende als Siegfried, die er nun schon zum dritten Mal erfolgreich absolviert hat.

Der Opernvergleich

Da er nun auch in Wien mitten in den Proben zur Götterdämmerung auf der Staatsopernbühne steht, liegt die Frage nahe, ob es zwischen Bayreuth und Wien atmosphärische Unterschiede gibt, und wenn ja, welche. Gould: "Man kann zum Beispiel Franz Welser-Möst und Christian Thielemann überhaupt nicht vergleichen. Ein jeder hat seine besondere Art. Ich fände es auch sehr komisch, wenn es nur einen einzigen Weg gäbe. Thielemann geht Hand in Hand mit Wagner. Er ist ziemlich streng. Welser-Möst gibt mehr Ruhe und Raum für den Text. In Bayreuth muss man den Text manchmal geradezu hinausspucken. Das ist in Wien anders. Da hat man auch mehr Kontakt mit dem Orchester."

Oder die Kostüme. "Sie drohen einen in Bayreuth zu erdrücken. Sie sind so schwer. Und dann noch die Hitze. Man kann kaum atmen. In Wien ist das alles viel weniger belastend. Auch in der Inszenierung gibt es Unterschiede. Tancred Dorst ist ein höflicher und kenntnisreicher Herr, aber er hat keine praktische Erfahrung. Bei Sven-Eric Bechtolf ist alles so menschlich. Man spürt eigentlich gar nicht, dass es sich um Wagner handelt."

Was nichts daran ändert, dass sich Stephen Gould seiner (eingebildeten) Insuffizienzen sehr bewusst ist. Abgesehen, dass er über seinen Friseur klagt, der ihm angeblich einen unmöglichen Haarschnitt verpasst hat, meint er auch zu viele Kilos auf die Waage zu bringen und bedauert (grundlos), dass er noch nicht besser Deutsch kann. Er möchte nämlich jede Bedeutungsnuance in den Wörtern seines Textes ganz genau verstehen. Und deshalb hält er es auch für unerlässlich, dass ein Wagnersänger in Deutschland oder in Österreich lebt. "Denn mit einem Coach allein kann man Wagner nicht lernen." (Peter Vujica, DER STANDARD/Printausgabe, 02.12.2008)