Der aus Linz stammende Informatiker Thomas Henzinger wird erster Präsident des I.S.T. Austria. Im Gespräch mit Klaus Taschwer erklärt er, warum er den Job annahm, wie er den Standort einschätzt und wie er Topleute nach Gugging holen will.

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Standard: Als Sie das Angebot erhielten, erster Präsident des I.S.T. Austria zu werden, haben Sie lange überlegen müssen?

Henzinger: Ich habe mir das schon einige Zeit durch den Kopf gehen lassen müssen. Ich bin mit der Professur glücklich, die ich zur Zeit innehabe, und suchte deshalb nicht nach einer anderen Stelle.

Standard: Sie sind also vom I.S.T. Austria kontaktiert worden?

Henzinger: Ja. Nach der Absage von Tobias Bonhoeffer wurde ich gefragt, ob ich auch an einer administrativen Aufgabe interessiert wäre. Und so kamen wir ins Gespräch.

Standard: Was hat den Ausschlag gegeben, die Stelle anzunehmen?

Henzinger: Die Gelegenheit ist so einmalig und die Herausforderung so groß, dass mich das einfach sehr reizte.

Standard: Sie und Ihre Frau sind beide Professoren an der ETH Lausanne. Werden Sie ab September 2009, wenn Sie Ihre Stelle offiziell antreten, pendeln oder mit der Familie nach Österreich kommen?

Henzinger: Wir werden gemeinsam im Sommer übersiedeln. Was meine Frau anbetrifft, haben wir noch keine Pläne.

Standard: Sie sind in Linz geboren. Spielte der Österreich-Aspekt bei Ihrer Zusage eine Rolle?
Henzinger: Natürlich. Ich bin wirklich stolz darauf, dass so etwas wie das I.S.T. Austria in Österreich möglich ist. Hier wurde etwas genau so auf den Weg gebracht, wie ich mir das vorstelle - ohne am Beginn selbst involviert gewesen zu sein. Im Grunde wird nun die Idee von Anton Zeilinger so umgesetzt wie sie ursprünglich formuliert worden war.

Standard: Sie sind vor vier Jahren aus den USA nach Europa zurückgekehrt und waren damit einer der Forscher, die gegen den traditionellen Brain drain schwammen. Wie sehen Sie im Moment das Verhältnis zwischen Europa und den USA in Sachen Wissenschaft?

Henzinger: Traditionell bewegte sich der Brain drain von Europa und Asien in die USA. Das hat sich in den letzten Jahren ein wenig umgekehrt. Ich denke, dass Europa wirklich begriffen hat, dass es in der Wissenschaft konkurrenzfähig sein muss. Mit dem European Research Council oder den Exzellenzinitiativen in Deutschland gibt es forschungspolitische Anstrengungen in die richtige Richtung. Das I.S.T. Austria gehört da dazu.

Mein Wunsch ist, dass man nicht nur in der Wissenschaft so denkt, sondern dass man auch in der Bevölkerung stolz auf diese Leistung sind. Das sehe ich auch in anderen kleinen Ländern wie Israel und der Schweiz. Dort weiß die Bevölkerung zum Beispiel, welches Juwel sie mit dem ETH System hat. Es ist meine Hoffnung, dass man das langfristig auch in Österreich verwirklichen kann.

Standard: Die vergangenen 24 Jahre haben Sie an Top-Universitäten in den USA und zuletzt in der Schweiz geforscht. Wie haben Sie Österreich als Wissenschaftsstandort wahrgenommen?

Henzinger: Es gibt auch in Österreich fraglos sehr gute Leute, und ich selbst arbeite seit längerem mit Gruppen in Salzburg und Graz zusammen. Ich bin mir sicher, dass das I.S.T. Austria dem Wissenschaftsstandort Österreich viel zusätzlichen Schwung geben kann. Und genau deshalb ist das Ganze so phantastisch.

Generell ist es für Österreich als kleines Land sehr wichtig, auch in der Wissenschaft den Wunsch zu haben, ganz vorne dabei zu sein. Wir machen das in vielen anderen Bereichen - von der Oper bis zum Skiteam. Warum nicht in der Wissenschaft? Zumal die Wissenschaft der Bereich ist, durch den Ländern in Zukunft einen Vorsprung gegenüber anderen Ländern geben wird.

Standard: Ihr Institut will Topforscher anheuern. Wie kann man die bewegen, ausgerechnet hier her nach Gugging zu kommen?

Henzinger: Ich habe keine Illusion, dass das leicht werden wird. Wir müssen solchen Leuten wirklich ein in jeder Hinsicht attraktives Umfeld bieten. Geld ist sicher auch wichtig, aber oft nicht der Hauptbeweggrund. Ich denke, dass diese Neugründung für Forscher eine einmalige Gelegenheit bietet, im Konsens mit anderen Kollegen eine gemeinsame Vision umzusetzen. So etwas gibt es nur ganz selten.

Standard: Was es schon gibt, sind drei Forschungsschwerpunkte: Hirnforschung, Materialforschung und quantitative Biologie. Werden Sie daran Veränderungen vornehmen?

Henzinger: Ich denke, das sind sehr gut ausgewählte Gebiete, die in Umwälzung begriffen und zugleich nicht furchtbar teuer sind. Da ich selbst aus dem Fach komme und selbst weiter forschen werde, wird die Informatik ein vierter Schwerpunkt werden. Wir sind da auch schon in Gesprächen mit anderen Forschern aus dem Bereich. Langfristig denkend werden wir nicht an die vier Gebiete gebunden sein.

Standard: Wie werden Sie dann weiter vorgehen? Nach spannenden Gebieten oder spannenden Köpfen?

Henzinger: Wir werden versuchen, immer die bestmöglichen Leute zu rekrutieren. Wir werden aber natürlich auch berücksichtigen, welche Gebiete in der Wissenschaft gerade besonders vielversprechend sind. Ich hoffe aber auch, dass wir mit dem I.S.T. Austria wirklich etwas Interdisziplinäres zustande bringen werden. Interdisziplinarität ist ein oft gebrauchtes Schlagwort, das in existieren Strukturen und Instituten nur schwer umzusetzen ist. Am I.S.T. Austria wird es am Beginn nolens volens so sein, dass ein Informatiker neben einem Biologen und einem Materialwissenschafter sitzt. Ich hoffe, dass wir auch dadurch etwas Einmaliges zustande bringen werden.

Standard: Welche Ziele haben Sie für die nächsten Jahre gesetzt?

Henzinger: Es gibt einen Master- und Budgetplan bis 2016. Bis dahin sollten 50 bis 60 Arbeitsgruppen und entsprechend viele Professoren am I.S.T. Austria forschen. Wichtiger als die Einhaltung des Zeitplans ist die Einhaltung unserer hohen Standards bei der Auswahl der Wissenschafter.

Standard: Wie wollen Sie mit den bestehenden Universitäten in Österreich zusammenarbeiten?

Henzinger: In dem Punkt kann ich im Moment nur wenig sagen. Klar ist, dass es im besten Interesse von I.S.T. Austria und der Universitäten in Österreich sein muss, dass wir gut zusammenarbeiten. Und ich werde mir größte Mühe geben, dass das auch passiert. Ich will noch im Dezember erste Gespräche mit Kollegen von österreichischen Universitäten führen. Da das I.S.T. Austria am Anfang noch sehr klein sein wird, kann ich mir gut vorstellen, dass es zum Beispiel gemeinsame Ph.D.-Programme mit Wiener Universitäten geben wird.

Standard: Werden Sie als I.S.T.-Präsident weiterforschen?

Henzinger: Mir ist klar, dass ich die eigene Forschung noch weiter reduzieren muss. Ich will sie aber auf keinen Fall aufgeben: zum einen, weil das Forschen das Schönste an meinem Beruf ist. Zum anderen denke ich, dass man als Präsident den Respekt nur dann kriegt, wenn man wissenschaftlich aktiv ist.

Standard: Sie selbst sind Informatiker und beschäftigen sich mit Systemverfikation. Was hat man darunter zu verstehen?

Henzinger: Es gibt viele verschiedene Teilrichtungen in der Informatik, und ähnlich wie in der Physik einen theoretischen und einen eher experimentellen Zweig, den man auf Englisch "Software systems building" nennt. Was mich in die Informatik gezogen hat, war, dass man die Theorie gewissermaßen in die Systeme einbauen und zur Anwendung bringen kann. Und dabei gibt es wieder neue Anforderungen an die Theorie. Die beste und spannendste Informatik ist für mich diejenige, die beides kombiniert, und das macht zum Beispiel die Systemverifikation.

Standard: Ihre Forschungen haben auch konkrete Anwendungen. Wie wichtig ist es für Sie, dass das I.S.T Austria zu einer Keimzelle für Start-Ups wird?

Henzinger: Kurzfristig ist das sicher zweitrangig, weil zuerst einmal braucht es Top-Wissenschafter, die Neugier getriebene Forschung ohne alle Beschränkungen machen. In jedem Fall kommen dabei Sachen raus, die für die Wirtschaft und die Gesellschaft als Ganzes nützlich sein können. Und genau das war ja einer der Gründe, ein solches Institut wie das I.S.T. Austria zu gründen. (DER STANDARD Printausgabe, 6./7./8. Dezember 2008)