Herr von Sala (Ulrich Matthes) arbeitet sanft-verfänglich am Untergang Johannas (Nina Hoss): Das Deutsche Theater Berlin zelebriert Schnitzler ohne modernen Mummenschanz.

Foto: Freese/DRAMA

Ergebnis: ein großer Abend des behutsamen Schauspiels.

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Großes Schauspiel, großer Applaus, ein großer Abend: Das Berliner Deutsche Theater erringt mit Arthur Schnitzlers "Der einsame Weg" einen verblüffend einhelligen Erfolg. Das Stück wurde 1904 am nämlichen Ort uraufgeführt: Otto Brahm (1856-1912), der legendäre Direktor, hatte das Deutsche Theater der damals zeitgenössischen Moderne von Gerhart Hauptmann, Henrik Ibsen und Arthur Schnitzler geöffnet.

Der Arzt, Psychologe, Erzähler, Dramatiker und Psychologe Arthur Schnitzler (1862-1931) zeichnet auf sensibel-hintergründige Weise das Porträt einer arrivierten Wiener Künstlerclique. Das Drama gerät ihm unter der Hand zum schmerzhaften Selbstporträt. Auch der erwogene Titel "Egoisten" trifft die in Schwebe stehenden Sachverhalte bestens. Es ist ein Stück über die Schwierigkeit zu leben und zu lieben. Das heißt für Egoisten eben auch: "Für jemanden auf der Welt zu sein."

Christian Petzold, als Autorenfilmer fast wortkarg, aber immer menschen- und bildstark, ist mit "Innere Sicherheiten" und "Yella" bekanntgeworden und wurde gerade mit Jerichow für den Deutschen Filmpreis nominiert. Mit Der einsame Weg gelingt ihm in einer konzentrierten Textfassung und mit sensibler Schauspielerführung ein höchst überzeugendes Regiedebüt für die Bühne, die wiederum von Ausstatter Henrik Ahr klar und eindringlich gestaltet wurde.

Kein morbides Villen-Wien verstellt den Blick auf die Personen, kein Mobiliar dominiert, nur ein heller Lichtkasten. Am Kopfende der schräg ansteigenden Bühne läuft über zwei pausenlose Stunden ein ruhiges Video. Vor den hohen Flügeln eines Berliner Krankenhauses an der Spree fahren unaufgeregt Autos, schwimmen und fliegen Schwäne. Das Bildwerk soll in seiner oft nachtdunkel-monumentalen Last offenbar an Arnold Böcklins Gemälde "Toteninsel "erinnern. Auch Anette Guthers Kostüme sind behutsame, höchst unauffällige Mittler zwischen den Zeiten und Gefühlsepochen.

Leise Stimmungslast

In dieser bildstarken, leisen Stimmungslast stehen und gehen die Schauspieler, wenden sich einander zu, schließen sich zu kleinen Gruppen zusammen, vereinzeln sich, nehmen aber nirgends Platz. Das ergibt ein fast spartanisches, archaisches Beziehungsgeflecht von diskreter Gespanntheit.

Wiewohl durch Kunst und meist komfortable gesellschaftliche Stellung in das Netz eingebunden, besitzt jede Figur Anlass, ihren Mitmenschen zu misstrauen. Barbara Schnitzler (Gabriele Wegrat), sanft leuchtend, dem Tode nahe, ist Opfer des egoistischen, mürrisch egozentrischen Malers Julian (Ernst Stötzner). Der ließ sie schwanger sitzen. Den gemeinsamen Sohn Felix (Alexander Khuon) musste sie dem uninteressanten Kunstbeamten Wegrat (Jörg Gudzuhn) als "ehelich" unterschieben.

Stephan von Sala (Ulrich Matthes), wohlhabend, zog sich vom Militär einst in eine belanglose Dichterposition zurück. Er spielt mit Menschen und will die junge Johanna (Nina Hoss) an sich binden. Die entzieht sich ihm und dem Leben durch einen eher unmotivierten Selbstmord.

Ob Felix, dem das Militär nicht liegt und der sich auch von Sala abgewendet hat, mit dem Leben klarkommt, ist ebenfalls nicht ausgemacht. Der allen vertraute Arzt Reumann (Frank Seppeler) übt nicht nur in dieser Hinsicht bittere Skepsis. Nur um die penetrant oberflächliche Schauspielerin Irene (Almut Zilcher) muss man sich wohl nicht sorgen.

Das Ensemble ist gut "komponiert": Es agiert auf so hohem Niveau wie schon lange nicht und besticht mit unangestrengtem Zusammenspiel. Vor allem Ulrich Matthes, Alexander Khuon, Nina Hoss und Frank Seppeler entfalten unaufdringlich Aura. Die Leuchtkraft des Abends ist einfach erklärt: Es gibt hier kein hemdärmeliges Behauptungs-, kein Regietheater. Man dient gemeinsam, ernsthaft und sensibel, mit Mut zur Demut, einfach einem Text, einem Dichter und einem Publikum. (Lorenz Tomerius aus Berlin, DER STANDARD/Printausgabe, 17.03.2009)