Die Sendereihe derStand.punkt ist eine gemeinsame Produktion von OKTO und derStandard.at

Das Video vom derStandard.at-Talk "derStand.punkt"

Sind Lehrer und Schulen zukunftsfit? Diese Frage versuchten am Montagabend drei Experten bei derStand.punkt zu beantworten: der ehemalige SPÖ-Wissenschaftssprecher Josef Broukal, der Lehrer, Autor und Kolumnist Niki Glattauer und die Schuldirektorin der Europa-Schule Vorgartenstraße, Ilse Henner. Die Diskussion wurde von Anita Zielina, Innenpolitik-Ressortleiterin bei derStandard.at, geleitet.

"Insel der Seligen"

Zu Beginn ging es um die Europa-Schule in der Vorgartenstraße, an der es zahlreiche Projekte wie Mediation, Sprachförderung und Therapiehunde gibt. Ist also alles eitel Wonne? "An unserer Schule ist das wirklich Realität. Ich bin wirklich glücklich, ich hab immer das Gefühl, wir sind auf der Insel der Seligen", sagte Direktorin Ilse Henner. Das Team sei sehr engagiert und habe ähnliche Vorstellungen von Schule.

Wie gut ist nun das heimische Schulsystem wirkich? Glattauer zu dieser Frage: "Schule ist nicht gleich Schule, Lehrer ist nicht gleich Lehrer." Das Umfeld, zum Beispiel im Vergleich von Stadt und Land, sei sehr unterschiedlich. Das Schulsystem insgesamt bzeichnete er als "stark verbesserungswürdig". Josef Broukal zeigte sich "verwundert", dass sich die Koalition nicht einigen könne, wie die Schulreform innerhalb der nächsten Jahre umzusetzen sei. "Es ist eine Mogelpackung", so der ehemalige SPÖ-Bildungssprecher. "Ich finde es arg, dass Ministerin Schmied von Kanzler Faymann so im Stich gelassen wird." Schmied habe etwas getan, was in der Spitzenpolitik selten sei. "Sie spielt auf vollem Einsatz", sagte Broukal. Glattauer erwiderte: "Der Kanzler hat sie nicht im Stich gelassen." Die Bildung bräuchte jedenfalls mehr Geld, Schmied habe in die richtige Richtung Bewegung gebracht. Die zwei zusätzlichen Unterrichtsstunden alleine seien jedoch keine sinnvolle Maßnahme. "Im Paket schaut das schon wieder andes aus", sagte Glattauer.

Miteinander kommunizieren

Henner betonte den Wunsch, dass die Lehrer einen "ganztägigen Beruf an einem Standort" haben sollten. "In diese Zeit fällt alles hinein, was sie zu tun haben", sagte sie. Die Schule sei eine Firma mit vielen vielen Mitarbeitern, und die müssten miteinander arbeiten. Zustimmung gab es von Glattauer: Die Lehrer hätten dadurch die Gelegenheit, zu entspannen. Nachsatz: "Ich glaube schon, dass die Lehrer überfordert sind. Nicht, weil sie zu viele Unterrichtsstunden haben, sonden weil das System sie in ein falsches Eck drängt."Manche würden zwar nicht mehrauf 40 Stunden kommen. Tatsache sei aber, dass es "ein total stressiger Beruf" geworden sei. "Eine Ganztagsschule würde auch das Image des Lehrberufes verbessern", stimmte Henner zu. Und: Die Lehrer hätten mehr Möglichkeiten, miteinander zu kommunizieren.

Broukal brachte den Vorschlag ein, dass Lehrer in den letzten zwei Wochen vor Schulbeginn "einrücken" sollten, um mit Schülern für Nachprüfungen zu üben. Bisher sei der damit aber immer nur auf Widerstand gestoßen. "Ich habe immer das Gefühl, dass die Lehrer das nicht zugeben wollen, aber es natürlich auch um Urlaub und Freiheiten geht."

Zum viel besprochenen Thema der beengten Lehrer-Arbeitsplätze im Konferenzzimmer sagte Broukal: "Man hat mir immer diese 75 Zentimeter breiten Arbeitsplätze gezeigt, wo ich immer gesagt habe, das ist eine 'nicht artgerechte Haltung'." In Henners Schule teile es sich auf, die einen seien im Unterricht, die anderen hätten Freizeit. Glattauer: "Bei uns ist das nicht möglich, da müsste umgebaut werden. Es ist unzumutbar. Ich glaube, dass die Leute gar nicht begreifen, unter welchen Bedingungen die Lehrer arbeiten." Schulhäuser wie sie sind, gehörten abgerissen - "das sind ja Kasernen". Die Preußen hätten das Schulhaus als Teil der soldatischen Ausbildung erfunden. Zweiter Kritikpunkt: Man müsse auch die 50-Minuten-Stunde auflösen. "Da gehört etwas geändert. Das Schulhaus sollte zu einem Haus für die Lehrer werden. Wenn sich der Lehrer wohlfühlt, springt das auch auf die Schüler über."

Den Vorschlag, bei den Ganztagsschulen einszupsparen, bezeichnete Henner als "ganz ganz entsetzlich." Es biete sich oft gar nichts anderes an, als die Kinder den ganzen Tag in der Schule zu lassen.

Gesamtschulen flächendeckend

Was sind nun die Hauptprobleme im Schulwesen? Dazu Glattauer: "Unter den Nägeln brennt mir viel. Ich glaube, dass sich das Rollenbild des Lehrer stark verändert hat. Er ist nicht mehr primär Wissensvermittler. Er muss Beziehungen aufbauen können zu Kindern." Darauf werde in der Ausbildung nicht Wert gelegt. Wichtig sei daher, die Lehrerausbildung zu reformieren. Henner stimmte zu: "Es ist wichtig, dass die Lehrer nicht nur die Klugen lieben, sondern auch die Schwachen."

Der Tenor der Diskussion: Die Gesamtschulen müssen flächendeckend sein. "Es darf nicht nur ein dritter Schultyp sein", so Glattauer. Und Broukal fügte hinzu: "Es scheitert einfach an den Bedürfnissen bürgerlicher Eltern, die nicht wollen, dass ihre Kinder mit Kindern einfacher Eltern zusammenkommen." Einen weiteren wichtigen Punkt brachte Henner ein: Die Basis-Ausbildung sollte für alle Lehrer gleich sein, mit späterer Spezialisierung. (Maria Kapeller/derStandard.at, 23. März 2009)

Haben Sie Fragen, Anregungen oder Beschwerden? Senden Sie uns eine Email!